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«Wer heute nicht ausbildet, hat morgen keine Profis mehr im Team»
Reto SuterVor zehn Jahren starteten noch 155 junge Menschen eine Lehre in der Schweizer Reisebranche. Seither ging es – Jahr für Jahr – bergab. Reisebüros schlossen, Ausbildungsplätze wurden gestrichen. Dann kam auch noch die Corona-Pandemie, und mit ihr der Tiefpunkt: 2021 wurden gerade einmal 36 Lehrverträge abgeschlossen.
Doch seither zeigte die Kurve wieder nach oben: 2024 waren es bereits 86 neue Lernende. Wie steht es um den Nachwuchs in diesem Jahr? Das wollte Travelnews aus erster Hand erfahren – und hat bei Daniela Maspoli nachgefragt, die seit rund anderthalb Jahren als Ausbildungsverantwortliche beim Schweizer Reise-Verband (SRV) tätig ist.
Frau Maspoli, wie viele Lehrverträge sind für August bereits unterzeichnet?
Daniela Maspoli: Aktuell zählen wir 73 unterschriebene Lehrverträge – zwei weitere dürften in den kommenden Wochen noch dazukommen. Damit bleiben wir aber hinter den Erwartungen zurück. Nach dem klaren Aufwärtstrend der letzten Jahre, insbesondere seit dem Ende der Corona-Pandemie, hatten wir gehofft, das Niveau des Vorjahres mit 86 neuen Lernenden zumindest halten zu können. Der erfreuliche Schwung wurde nun gebremst – das sorgt verständlicherweise für eine gewisse Ernüchterung. Letztlich steht und fällt die Zahl der Lehrverträge mit der Bereitschaft der Betriebe, Ausbildungsplätze anzubieten.
Woran liegt der Rückgang?
Der Knick war bereits im Frühjahr erkennbar. Die drei grossen Player – Hotelplan, Dertour und TUI – stellen jedes Jahr einen Grossteil der Lernenden. Reduziert dort jeder Anbieter auch nur um zwei Lehrstellen, macht sich das deutlich bemerkbar. In kleineren Betrieben ist es zudem oft üblich, nicht jährlich auszubilden: Wer im Vorjahr eine Lernende oder einen Lernenden aufgenommen hat, pausiert häufig im Folgejahr. Das führt zu natürlichen Schwankungen.
Spielt auch die KV-Reform, die im Sommer 2023 in Kraft trat, eine Rolle?
Ja, die KV-Reform ist sicherlich ein zusätzlicher Faktor. Auch wenn nicht alles komplett neu gedacht wurde, bringt sie doch einige Veränderungen im Ausbildungsalltag mit sich – insbesondere für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner. Manche Betriebe sind dadurch verunsichert oder zögern noch. Um sie bestmöglich zu unterstützen, bieten wir vom SRV eintägige Seminare an, in denen sich Ausbildungsverantwortliche praxisnah mit den Neuerungen vertraut machen können.
Die Zahl der Ausbildungsplätze gilt oft als Spiegelbild der Branche. Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit wieder mehr Betriebe den Mut fassen, Lernende auszubilden?
Dieses Thema beschäftigt uns derzeit intensiv. Ein wichtiges Ziel ist es, künftig noch stärker mittelgrosse Betriebe für die Ausbildung zu gewinnen – denn hier liegt eindeutig unausgeschöpftes Potenzial. In enger Abstimmung mit unserem Vorstand wollen wir in den kommenden Monaten verstärkt den Dialog mit Unternehmen suchen, um sie gezielt zu ermutigen, wieder mehr Verantwortung in der Nachwuchsförderung zu übernehmen. Dabei geht es uns auch darum zu verstehen, warum einige Betriebe keine Lernenden (mehr) ausbilden – nur so können wir gezielt unterstützen.
«Mein Ziel ist es, die Marke von 100 Lernenden wieder zu erreichen»
Woran merken Sie, dass junge Menschen trotz aller Herausforderungen nach wie vor Interesse an der Reisebranche haben?
Was Formate wie die Berufsmessen zeigen und wie wir auch aus den den Rückmeldungen der Lehrbetriebe hören: Die junge Generation sieht Perspektiven im Tourismus. Die Faszination für Reisen und die damit verbundenen Emotionen wirken weiterhin positiv. Wir können unsere offenen Lehrstellen in der Regel problemlos besetzen – und das mit sehr qualifizierten, engagierten Jugendlichen. Das zeigt mir klar: Der Wille ist da.
Wie hat sich das Rollenverständnis der Ausbildungsverantwortlichen verändert – gerade im Umgang mit der Generation Z?
Die Wertschätzung am Arbeitsplatz ist für viele junge Menschen heute zentral. Spannend ist, dass durch die KV-Reform der Austausch zwischen Berufsbildnern und Lernenden intensiver geworden ist – etwa durch regelmässigere Feedbacks und die stärkere Begleitung. Das kommt sehr gut an. In Betrieben, in denen Lernende sowohl nach dem alten als auch nach dem neuen Modell ausgebildet werden, erleben wir aber vereinzelt auch ein Ungleichgewicht: Lernende, die vor der Reform gestartet sind, wünschen sich mitunter gleich viel Aufmerksamkeit und Begleitung wie ihre Kolleginnen und Kollegen im neuen System. Das zeigt: Gute Betreuung wird mehr denn je geschätzt – von allen.
Wenn Sie einem skeptischen Reisebüro-Chef erklären müssten, warum sich die Ausbildung von Lernenden lohnt – was sagen Sie?
Der Fachkräftemangel ist Realität. Wer heute nicht ausbildet, hat morgen keine Profis mehr im Team. Wir sitzen alle im selben Boot. Und bei allem Aufwand: Junge Menschen zu begleiten, ihnen Wissen weiterzugeben und ihre Entwicklung mitzuerleben, ist nicht nur sinnvoll, sondern macht auch richtig Freude. Für viele Berufsbildner ist das ein echter Mehrwert – fachlich wie menschlich.
Was wünschen Sie sich mittel- und langfristig für die Nachwuchsförderung in der Schweizer Reisebranche? Gibt es eine persönliche Vision?
Mein Ziel ist es, die Marke von 100 Lernenden wieder zu erreichen – so wie es vor der Corona-Pandemie noch der Fall war. Ob und wie schnell das gelingt, wird sich zeigen. Doch ich bin überzeugt: Mit Engagement, Dialog und einem gemeinsamen Verständnis für die Bedeutung der Nachwuchsförderung ist dieses Ziel erreichbar.
Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger haben seit rund zwei Jahren die Möglichkeit, die Ausbildung als Travel Advisor zu absolvieren. Wie entwickelt sich das?
Sehr erfreulich! Rund 20 Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger nehmen dieses Jahr an der Ausbildung an der IST teil. Sie bringen Erfahrung aus anderen Branchen mit, packen an, sind motiviert – und sie zeigen: Die Reisebranche ist offen für neue Wege und neue Menschen.
Und wenn Sie selbst noch einmal als 15-Jährige vor der Berufswahl stünden – würden Sie sich wieder für die Reisebranche entscheiden?
Keine Sekunde würde ich zögern. Das Produkt ist wunderschön, die Menschen in der Branche sind grossartig – und man kommt schon früh in die Welt hinaus. Studienreisen, Abwechslung, Kundennähe: Ich kann es nur jeder und jedem empfehlen. Für mich war und ist es genau der richtige Weg.