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«Wie kann man sein Geschäft derart vernachlässigen?»
Reto SuterDino Inverardi ist seit fast 45 Jahren Dekorateur aus Leidenschaft. Die Reisebranche hat seine berufliche Karriere geprägt. In seinen besten Zeiten, vor der Corona-Pandemie, dekorierte er bis zu 110 Reisebüros in der gesamten Deutschschweiz, heute sind es noch etwa 70.
Einst machten kleine Reisebüros rund 20 Prozent seines Umsatzes aus, Heute zählen ausschliesslich grosse Veranstalter zu seinen Auftraggebern, etwa Anbieter wie Mitglieder der «Travel Professionals Switzerland» (TPS), Kontiki, Excellence Flussreisen und Universal Mallorca Travel.
Travelnews hat Dino Inverardi in seinem Atelier in Schlieren zum Gespräch getroffen. Der Schaufenster-Spezialist nutzte die Gelegenheit, um einen kritischen Blick auf die Entwicklungen der Branche zu werfen und eine Standortbestimmung zur aktuellen Lage bei der Schaufensterdekoration vorzunehmen.
Herr Inverardi, wie viel Geld ist der Reisebranche eine schöne Schaufenster-Dekoration wert?
Dino Inverardi: Selbst erfolgreiche Veranstalter, die Millionenumsätze erzielen, zeigen sich zunehmend sparsam, wenn es um Investitionen in die Schaufenster-Deko geht. Grössere Ausgaben werden oft nur zögerlich und nach langem Abwägen getätigt. Dennoch werde ich nicht müde, auf die Notwendigkeit von Neuerungen hinzuweisen, damit die Schaufenster attraktiv daherkommen.
Was sind die aktuellen Trends bei der Dekoration von Reisebüro-Schaufenstern?
Aktuell liegt der Fokus bei der Dekoration von Reisebüro-Schaufenstern auf modernen und gleichzeitig kosteneffizienten Lösungen. Im Trend sind momentan LED-Leuchtkästen, die aus mehreren Elementen ein harmonisches Gesamtbild entstehen lassen.
«Mir leuchtet es nicht ein, dass solche Bildschirme den Umsatz ankurbeln sollen»
Mit wie viel Liebe stellen Sie solche Leuchtkästen auf?
Mit sehr viel Liebe! Denn wenn schon investiert wird, dann soll es auch gut aussehen. Ich achte darauf, dass die Leuchtkästen perfekt positioniert sind und eine gewisse Dreidimensionalität schaffen – es soll ansprechend und lebendig wirken. Es ist zwar keine Fliessbandarbeit im eigentlichen Sinn, aber es fühlt sich manchmal so an.
Was man auch häufig sieht, sind Screens mit Bewegtbild. Animieren solche Bildschirme die Passanten wirklich zum Stehenbleiben?
Aus meiner Sicht nicht, die Realität sieht anders aus. Die meisten Leute sind entweder aufs Handy fixiert oder hetzen im Stress durch die Stadt. Um die Aufmerksamkeit zu gewinnen, bräuchte es schon etwas wirklich Faszinierendes. Bei Schmuck etwa bleiben Sie stehen, weil die Ringe klein und detailreich sind. Aber bei einem Reisebüro mit austauschbarem Screen, glaube ich, funktioniert das nicht so. Niemand wird sich 30 Sekunden vor einen Bildschirm stellen, um den gesamten Inhalt zu erfassen. Wer hat dafür schon die Zeit oder Geduld? Mir leuchtet es nicht ein, dass solche Bildschirme den Umsatz ankurbeln sollen.
Besteht in den Reisebüros, die Sie beliefern, noch kreativer Freiraum?
Nicht wirklich, es handelt sich um sogenannte Serien-Systemfenster. Sie unterscheiden sich je nach Veranstalter zwar deutlich voneinander. Eines haben sie aber gemeinsam: Sie müssen alle speditiv aufgestellt sein. Vor Ort haben wir für die Dekoration etwa 15 Minuten Zeit. Würden wir individuelle Gestaltungen anbieten, wäre der Zeitaufwand bedeutend grösser und unsere Arbeit dementsprechend deutlich teurer. In früheren Jahren konnten wir uns bei Spezialfenstern, also Schaufenstern, die individueller gestaltet waren und mehr dem Kundenwunsch entsprachen, bis zu anderthalb Stunden für das Ausstellen Zeit nehmen. Teilweise gab es sogar eine Jahresplanung, bei der alle zwei Monate eine neue Dekoration umgesetzt wurde. Heute kostet ein Serienfenster etwa 180 Franken. Eine individuelle Gestaltung dafür würde fast das Fünffache kosten. Dafür wäre sie viel individueller und auf die Wünsche des Reisebüros angepasst.
Wie häufig sollte man die Schaufenster-Deko wechseln?
Meiner Meinung nach sollte die Schaufenster-Dekoration alle vier bis sechs Wochen gewechselt werden. Ein viel längeren Zeitraum bringt kaum einen Mehrwert, da sich der Effekt schnell abnutzt. Ein regelmässiger Wechsel macht das Schaufenster attraktiver und interessanter. Wenn man etwas bereits zehnmal gesehen hat, schenkt man ihm keine Beachtung mehr und die visuelle Anziehungskraft geht verloren. Der Verkaufsgedanke dahinter verpufft.

Inwieweit beeinflusst das Schaufenster eines Reisebüros die Kaufentscheidung potenzieller Kundinnen und Kunden?
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Schaufenster eines Reisebüros immer noch eine entscheidende Rolle spielt. Früher konnte man das klar messen – mit Wettbewerben und Talon-Rückläufen, die zeigten, was der Dispenser tatsächlich gebracht hat. Es ist schon vorgekommen, dass ein Reisebüro-Inhaber eine fünfstellige Franken-Buchung allein auf ein attraktives und interessant präsentiertes Schaufenster zurückführte. Auch heute bekomme ich noch regelmässige Rückmeldungen von Reisebüros, die berichten, dass bestimmte Aktionen gemessen am Umsatz gut liefen und sie Kataloge nachbestellen mussten, weil die entsprechende Nachfrage sehr gross war. Das Schaufenster mag als altmodisch bezeichnet werden, aber es bleibt ein Werbeplatz, der Ideen vermittelt, die Fantasie anregt und Bedürfnisse weckt. Mehr als viele glauben.
«Für mich sind Feriensouvenirs wie Muscheln und Sand im Schaufenster ein absolutes No-Go»
Kleine Reisebüros dekorieren oft mit Muscheln, Sand und vielleicht noch einem Liegestuhl. Was halten Sie davon?
Für mich sind Feriensouvenirs wie Muscheln und Sand im Schaufenster ein absolutes No-Go. Das Problem ist, dass viele Reisebüros nicht über genügend hochwertiges Material verfügen, um ihre Auslage ansprechend zu gestalten. Natürlich fehlt es oft auch an der Zeit oder am Know-how, sich wirklich darum zu kümmern. Klar, der Strand ist ein klassisches Ferienthema, aber das ist viel zu allgemein und bedient nur das einfachste Klischee.
Wo müssten die Reisebüros ansetzen?
Viel besser wäre es, sich auf etwas Spezifisches zu konzentrieren. Wenn man sich als Nordamerika-Spezialist positioniert, warum nicht eine Freiheitsstatue ins Schaufenster stellen – aber dann bitte keine weiteren sieben Deko-Elemente dazu. So etwas muss ein Eye-Catcher sein, nicht ein überladenes Durcheinander. Aber viele Reisebüros ruinieren mit ihrer überfrachteten Dekoration jede Chance, Aufmerksamkeit zu erregen. In den ganz schlimmen Fällen sehen die Schaufenster aus wie ein Secondhand Shop.
Auch bei der Sauberkeit scheint es teilweise zu hapern...
Tote Fliegen, verdreckte Scheiben, Spinnweben – ich traue oft meinen Augen nicht, wenn ich bei manchen Reisebüros vorbeikomme. Es scheint einfach niemanden zu interessieren. Das Putzen der Scheiben gehört nicht zu unserem Auftrag, aber den Boden, auf dem wir arbeiten, halten wir sauber, damit die neue Dekoration zur Geltung kommt. Tatsächlich haben wir sogar darüber nachgedacht, das Fensterputzen in unser Angebot aufzunehmen, da die Situation in einigen Büros stark verbesserungswürdig ist. Selbst wenn wir höflich darauf hinweisen, dass eine gereinigte Schaufensterscheibe den Durchblick und den ersten Eindruck deutlich verbessern würde, wird dieser Ratschlag oft ignoriert. Wir haben schon Argumente zu hören bekommen, dass man schlicht keine Zeit dazu habe und dass es zu viel kosten würde wenn man es extern machen lassen würde. Wie kann man sein Geschäft derart vernachlässigen?
«Ein schlecht beleuchtetes Schaufenster wirkt genauso abschreckend wie ein zugezogener Vorhang»
Was ist der schlimmste Fehler, den ein Reisebüro bei der Schaufenster-Deko machen kann?
Eine unzureichende Beleuchtung und eine veraltete und verbleichte Beschriftung können viel kaputt machen. Ein schlecht beleuchtetes Schaufenster wirkt genauso abschreckend wie ein zugezogener Vorhang. Einige Büros nutzen veraltete Spots mit Energiesparlampen, die kaum Strahlkraft besitzen. Dabei wäre es für jeden Inhaber hilfreich, wenn man selbst einmal – mit den Augen eines Passanten – das Schaufenster und die Aussenfassade kritisch begutachten würde: Ist die Beleuchtung ausreichend, die Beschriftung ansprechend, das Fenster sauber? Von Grünpflanzen im Schaufenster rate ich ebenfalls entschieden ab. Sie mögen anfangs attraktiv wirken, doch nach kurzer Zeit wird der Anblick immer trauriger und ungepflegter.
Sind Sie nach all Ihren Erfahrungen desillusioniert?
Das Feuer, die Leidenschaft ist definitiv noch da – vor allem, wenn jemand bereit wäre, in eine tolle Dekoration zu investieren. Doch muss ich zugeben, dass sich der Spass mit der Zeit etwas abgeschwächt hat.