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«Die inhaltliche Komponente ist für Messen wie die ITB noch wichtiger geworden», analysiert David Ruetz, Head of ITB. Bild: zVg

«Es braucht die ITB für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb der Reisebranche»

Jean-Claude Raemy

Im Frühsommer gab der Schweizer ITB-Chef David Ruetz wesentliche Neuerungen bei der weltweit grössten Tourismusmesse bekannt. Wie ist das angekommen? Wo steht man? Travelnews hat mit dem Head of ITB gesprochen.

Im Juni verkündete Travelnews, dass aus der ITB Berlin - der wichtigsten Reisemesse weltweit - künftig eine reine Fachmesse wird. Klar war bereits zu jenem Zeitpunkt, dass die Messe nur noch drei Tage dauern würde (Dienstag bis Donnerstag, 7.-9. März 2023), dass das Gastland Georgien sein würde und dass die Privatbesucher als Alternative zum «Berlin Travel Festival» pilgern könnten, welches übrigens am kommenden 25. November 2022 startet. Unter dem Leitmotiv «Open for Change» wird die ITB Berlin nun bereit sein für ihr Live-Comeback nach drei Jahren mit Pandemie-bedingten Messe-Einschränkungen. Wie kommt das an und welche News gibt es im Hinblick auf Aussteller und Formate rund fünf Monate vor der ITB zu verkünden?

David Ruetz, der Schweizer «Head of ITB», erklärt im Rahmen eines Teams-Meetings mit Travelnews: «Das neue Konzept kommt gut an. Wir sind zu fast drei Vierteln ausverkauft, sprich, über 70 Prozent der Ausstellungsfläche sind ausgebucht - trotz unserer digitalen Versuche in den letzten Jahren.» Das ist alles andere als selbstverständlich, denn die netto angebotene Ausstellungsfläche an der ITB entspricht in etwa demselben Niveau wie 2019. Zwar bleiben einige der früheren Hallen infolge einer kontinuierlichen, schrittweisen Renovierung geschlossen (im kommenden Jahr sind es die Hallen am Funkturm-Innenring), doch dies wird wettgemacht durch das «Hub27»: Das neue Veranstaltungsgebäude mit direktem Zugang zu den Hallen 1 und 25 ist eine säulenfreie Halle mit 10'000 Quadratmetern Fläche sowie einem 550 Quadratmeter grossen eigenen Foyer-Bereich. Hier werden an der ITB 2023 unter anderem die Auftritte der Schweiz sowie von Deutschland und dem Gastland Georgien untergebracht sein, darüber hinaus auch diverse Airlines, die «ITB Blogger Base» und mehrere «Business Satellites».

Wo aber ist die Aussteller-Nachfrage generell besonders stark? Ruetz erklärt, dass es vor allem ein starkes Comeback im Bereich Travel Technology gegeben habe: «Die wesentliche Innovation in der Reisebranche hat - gerade in den letzten Jahren - vor allem im Bereich der Prozesse und weniger der Produkte stattgefunden. Das spürt man einerseits bei der Nachfrage von Ausstellern im Tech-Bereich, dort primär im Bereich der Hotel-Softwares und der Payment-Anbieter. Im eTravel-Bereich werden wir Themen wie Künstliche Intelligenz, Robotik, Virtual Reality, Deep Data oder Cyber-Sicherheit beleuchten und damit die Vorreiterrolle der ITB bei Trend- und Innovationsthemen unter Beweis stellen. Andererseits haben natürlich auch wir von den erwähnten ‹digitalen Versuchen› der letzten Jahre gelernt und nehmen diese Erfahrungen mit.» Als Beispiel für Letzteres erwähnt Ruetz erwähnt Ruetz die Bereitstellung eines hybriden Studios, in welchem TV-Technologie und Live-Zuschauerkapazitäten bereitgestellt sind; Unternehmen können dieses buchen und dort Konferenzen abhalten, die dann in professioneller Weise live auf ihren Kanälen, auf Youtube oder auch auf der neuen Online-Plattform «ITBxplore» übertragen werden.

Zu Letzterem sei gesagt: Aussteller haben mit ihrem ITB Berlin-Ticket exklusiven Zugang zu ITBxplore. Darin lässt sich im Ausstellerverzeichnis stöbern, das Kongress-Programm planen und man kann auch Vor-Ort-Termine mit Ein- und Verkäufern der Branche vereinbaren. Die digitalen Services der Plattform stehen vorab zur Vorbereitung und im Nachgang an die Messe bis 2024 zur Verfügung. Teilnehmer können sich zudem die ITB Berlin App herunterladen und ihr Profil im Januar 2023 vervollständigen.

Saudi-Arabien klotzt, drei Länder bereiten Sorgen

Doch zurück zu den Ausstellern: Stark nachgefragt sind Ausstellerplätze nicht nur im Bereich der Technologie, sondern auch in den Segmenten Kreuzfahrten, Adventure, Responsible Travel, LGBTQI+, Medical Travel, Luxus oder Tours & Activities. Auch bei den Airlines ist eine gute Buchungslage bei den Ständen zu verzeichnen; nota bene wird die Lufthansa Group mitsamt der Swiss wieder prominent vertreten sein. Es sind auch völlig neue Aussteller präsent - auf Nachfrage von Travelnews nennt Ruetz beispielsweise die Restaurant- und Hotelkette Hard Rock International.

Was ist mit den Destinationen? Dort sei die Nachfrage besonders bei den arabischen Destinationen gross, wie Ruetz erklärt: «Länder wie Marokko, Agypten, die V.A.E., Katar oder Oman werden allesamt wieder in voller Stärke zurück sein. Das aufstrebende Tourismusland Saudi-Arabien hat gar eine ganze Halle für sich. Natürlich ist auch der Auftritt des Gastlandes Georgien gross, ebenso sind beliebte klassische Ferienländer von europäischen Gästen wie die Türkei, Griechenland, Spanien, Kroatien, Malta, Montenegro oder Bulgarien zurück, dazu auch spannende Ziele wie Aserbaidschan.»

Zurück sind natürlich auch die asiatischen Destinationen; hier zeigen vor allem die Malediven mit einem noch grösseren Auftritt als früher eine starke Präsenz. In gewohnter Stärke zurück sind zudem auch Singapur, Thailand, Malaysia, Südkorea, die Philippinen, Indien oder Japan, natürlich flankiert von diversen Hotelketten wie Dusit und Centara. Weitere gute News in Form von grossen Aussteller-Auftritten gibt es zu Australien, den USA und Kanada, zahlreichen Inseln der Karibik (z.B. Aruba, Bahamas, Barbados, die Dominikanische Republik, Jamaika und auch Kuba), sowie aus Afrika, mit z.B. Mauritius und den Seychellen in gewohnter Präsenz, dazu bislang auch NTOs aus Botswana, Namibia, Kenia, Tansania, Uganda, Malawi, Eswatini, Zanzibar oder Ghana, ebenso wie die African Travel & Tourism Association (ATTA), «Southern Africa on Show» oder zahlreiche private Anbieter, Hotels und Reiseveranstalter.

Wer fehlt? «Die ITB ist eben auch ein Spiegel der Weltpolitik», holt Ruetz aus, «die veränderte Weltlage bringt stets auch Änderungen bei den Messen mit.» So wird es keine russischen Aussteller geben (russische Teilnehmer auf Einkäuferseite sind aber erlaubt, sofern sie ein Visum erhalten), währenddem es beim Iran und bei China noch grosse Fragezeichen gibt. China wird zwar mit einem (verkleinerten) Stand präsent sein, doch aufgrund der weiterhin restriktiven Covid-Massnahmen rechnet Ruetz nicht damit, dass viele chinesische Einkäufer nach Berlin kommen. «Die Wichtigkeit der Länder China, Russland und Iran für die ITB darf man nicht unterschätzen», so Ruetz. Er hofft jedoch, dass China nun bald wieder öffnet, wonach es dort zu einer explosionsartigen Entwicklung der Nachfrage kommen werde, und dass sich die Lage im Iran normalisiert und Russland sich nicht noch weiter von der Staatengemeinschaft isoliert.

Realistische Besucher-Erwartungen

Auch wenn die ITB von der Ausstellungsfläche her möglicherweise wieder an die Zahlen von 2019 anknüpft, macht sich Ruetz nichts vor: «Wir rechnen mit weniger Fachbesuchern als noch 2019, dafür mit einem besseren Messegeschäft.» Aufgrund der Konsolidierung im globalen Tourismusgeschäft werden wohl weniger Einkäufer als in anderen Jahren vorbeischauen, dafür dürfte das an der Messe generierte Geschäft genauso hoch oder gar höher als sonst sein - weil der Bedarf für Investitionen klar ist und sich die Branche nach den Pandemiejahren neu aufstellen muss.

Zum Vergleich: Vor der Pandemie stellten auf der ITB Berlin 2019 rund 10'000 Aussteller aus 181 Ländern ihre Produkte und Dienstleistungen rund 160'000 Besuchern, darunter 113'500 Fachbesuchern (also rund zwei Drittel aller Besucher) vor.

Reichhaltiges Kongress-Programm

Parallel zur ITB Berlin 2023 wird auf dem Berliner Messegelände in den Hallen 7.1a und 7.1b sowie auf den Convention-Bühnen in Halle 6.1. und 3.1 - also auf insgesamt vier Bühnen! - auch wieder der «ITB Berlin Kongress» stattfinden. Ausgewählte Sessions werden zum digitalen Stream auf der erwähnten ITBxplore-Plattform angeboten. «Die inhaltliche Komponente ist für Messen wie die unsere noch wichtiger geworden», analysiert Ruetz. Der weltweit wichtigste Fachkongress der Reisebranche bietet Keynotes, Podiumsdiskussionen, Interviews und Awards zu wegweisenden Themen aus dem ganzen Reisebranchen-Kosmos.

Zur Info: Der ITB Berlin Kongress fand 2022 digital auf der Brand-Webseite itb.com statt und verzeichnete 60'700 Kongress-Teilnehmende aus 125 Ländern mit mehr als 100 Sessions mit 223 Speakern. 2022 startete die neue B2B Netzwerk-Eventserie «TRVLX by ITB» in europäischen Märkten - das Kick-Off Event fand im Mai in Georgien statt.

Neues Sonderformat für die Medien

Ganz neu ist der «ITB Media Monday» am 6. März im Palais am Funkturm. Nach der offiziellen Eröffnungspressekonferenz am Montag um 10 Uhr haben Aussteller die Möglichkeit, ihre Botschaften bereits einen Tag vor Beginn der ITB Berlin in die Welt zu tragen und das Palais exklusiv für hybride Präsentationen und Pressekonferenzen zu buchen. Der «Call for Paper» für die Bewerbungen auf einen der begehrten Slots startet im November.

Für die Medienvertreter heisst das: Einen Tag vorher anreisen und dann in einem geschlossenen Format mit den (PR-)Vertretern ausgewählter Aussteller diskutieren und Infos einholen - so kennt man das auch schon von anderen Messen, welche für Medien spezielle Formate eingerichtet haben. Ruetz erklärt gegenüber Travelnews, dass die Idee natürlich sei, den gedrängten Meeting-Kalender für Aussteller/Anbieter etwas zu entschlacken, indem den Medienvertretern ein eigenes Format gegeben wird, wodurch man sich an den Hauptmessetagen besser auf Einkäufer konzentrieren kann. Wie das bei Medienvertretern ankommt, wird sich weisen. Wer früh kommt, wird jedenfalls am Vorabend der ITB Berlin 2023 auf der offiziellen Eröffnungsgala im CityCube Berlin auch das Beste des Gastlands Georgien erleben können.

Doch in Sachen Meetings gibt es ohnehin noch weitere News. Ein neues Lounge-Konzept wird gleichzeitig mit der neuen «Business+ Lounge» in Halle 7.2A und den erwähnten «Business Satellites» (u.a. im Hub27) lanciert. Diese geben den ITB-Teilnehmenden auch an hektischen Messetagen die Möglichkeit, je nach Bedarf entspannt Gespräche zu führen oder in Ruhe E-Mails zu bearbeiten. Vier Sitzplätze stehen je Tisch zur Verfügung. Die Meeting-Tische können im neuen Online-Shop sowohl für sich als auch für Gesprächspartner*innen pro Stunde für 58 Euro gebucht werden. Darüber hinaus gibt es in der «Business+ Lounge» Co-Working-Arbeitsplätze, die als Rückzugsmöglichkeiten genutzt werden können, um Termine vor- oder nachzubereiten oder mobile Endgeräte zu laden. Die Co-Working Area steht ausschliesslich Kunden mit Meeting-Tisch-Ticket zur Verfügung. Die Slot-Buchung erfolgt voraussichtlich ab Dezember 2022 über den Online-Shop auf itb.com. Gut zu wissen: Während der ITB Berlin befinden sich an den beiden Locations QR-Codes, um einen der Tische auch kurzfristig während der Veranstaltung zu buchen. Die Meeting-Tische sind an den Messetagen täglich von 10 – 18 Uhr zugänglich.

Vorläufiges Fazit

Ruetz ist mit der aktuellen Nachfrage von Ausstellerseite sehr zufrieden; bei den Teilnehmenden erwartet er eine gewisse Kurzfristigkeit bei den Anmeldungen, ist aber auch da zuversichtlich: «Die ITB ist mehr denn je die ‹place to be›. Wir haben festgestellt, dass rein digitale Formate durchaus gewisse Vorteile haben, aber dort fehlt das ‹periphere Sehen›, das man bei einer Live-Messe hat, also den Gesamtüberblick, den Direktkontakt, gewissermassen auch den ‹Faktor Zufall›, durch welchen sich an Messen immer wieder neue spannende Kontakte und Gelegenheiten ergeben. Die Neukunden-Akquise funktioniert in Online-Formaten einfach nicht. Es braucht die ITB für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb der Reisebranche, auf welche es nach diesen Krisenjahren mehr denn je ankommt.»

Gutes Gelingen der ITB! Dass es aufwärts geht, zeigt alleine der Umstand, dass Ruetz nach dem Gespräch in Richtung Singapur abhob, wo die ITB Singapur auch wieder live stattfindet. Mit der ITB China wird es noch etwas dauern, aber man bereitet sich auch dort auf den Restart vor. Gute Vorzeichen für das künftige Properieren der Reisebranche!