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15 Schultage, 15 Parole fürs Leben
Andreas GüntertWie funktioniert eigentlich ein Sprachaufenthalt im Jahre 2022? Nun, das funktioniert eigentlich wie immer. Menschen aus der ganzen Schweiz (und manchmal aus der ganzen Welt) sitzen zusammen in einem Schulzimmer. Und werden dort liebevoll an die Fiesheiten einer Fremdsprache herangeführt.
Sprachreise Italien: Stadt, Land, Meer
Gemäss meiner Mission «Eat Stay Learn» habe ich den Juni 2022 Italien gewidmet. Zuerst mit zwei Schulwochen im Turiner Stadtteil Crocetta. So, wie es das Gesetz damals wollte: Mit Maske im Klassenzimmer. Danach dislozierte ich für eine weitere Italienisch-Schulwoche an die ligurische Küste, nach Sestri Levante. Ein doppelter Glücksfall: Die Sprachschule dort liegt am Meer. Und: Unterricht senza mascherina.
Sprachkurs und Lebensschule
Natürlich wird im Sprachaufenthalt jede Menge konjugiert, mit Fokus auf die unregelmässigen Verben. Anfängerinnen und Anfänger müssen durchs Stahlbad der Präpositionen. Im Konversationsteil wird es dann etwas lockerer. Mindestens für all jene, die nicht einen Insalata Mista aus Spanisch und Italienisch produzieren. So wie ich por ejemplo, ad esempio.
Auf Sprachreise bildet sich Wissen nicht alleine im Klassenzimmer. Was man dort aufschreibt, hört und lernt, kann man in aller Regel nachmittags und abends einem Reality-Test in der tatsächlichen Welt unterziehen. Und lernt dort zuweilen genau so viel wie im geschützten Raum der Sprachschule. Zusammen ergibt das dann im optimalen Fall ein Amalgam, das lange hält.
15 Schultage, 15 Parole
Vieles aus den 15 Schultagen im Piemont und in Ligurien hatte bei mir eine vergleichsweise kurze Halbwertszeit. Präpositionen und ich – das ist kein Bund fürs Leben. Andere Dinge wiederum konnte ich mir prima einprägen. Weil sie so treffend sind. Weil sie Sinn machen. Oder weil sie so schön sind. So schön wie das Belpaese, wenn es einen guten Tag hat.
Von 15 Schultagen in Turin und Sestri Levante nehme ich ein paar Kilos zu viel mit nach Hause. Einen Zaino* voll schöner Erinnerungen Und viele parole, Wörter also, an die ich mich immer erinnern werde. Palabra de honor Äh, parole d’onore. Also jedenfalls: Ehrenwort. Hier eine Auswahl meiner 15 Wörter und Worte, die ich sicher nicht vergessen werde. Jedenfalls nicht so schnell.
Sprachreise Italien: Endlich kapiert (I)
In diese Abteilung gehören für mich Dinge, die ich früher immer verwechselt, falsch ausgesprochen oder sonstwie nicht auf die Reihe bekommen habe. Jetzt aber sollten diese Sachen sitzen. Hoffentlich.
L’ufficio/l’officina
Zwei Wörter die sehr ähnlich klingen. Höllisch ähnlich. Man könnte vermuten, dass das Synonyme für «Büro» sein könnten. Vielleicht sagt man in Norditalien so – und in Süditalien anders?
Ist aber nicht so. L’ufficio ist tatsächlich das Büro. Das sehr ähnlich klingende l’officina aber ist die Werkstatt. Also der Ort, wo Dinge entstehen, die Hand und Fuss haben.
Sprachreise Italien: Compiti
Das ist etwas, das es im Ökosystem Sprachschule wohl immer geben wird: Hausaufgaben. Gekannt hatte ich das Wort zwar schon. Aber immer falsch ausgesprochen. Bei diesem italienischen Wort liegt die Betonung auf dem «o». Capisci?
Vicino a/lontano da
Ob etwas geographisch eher nahe liegt oder eher weit entfernt ist – ein Klassiker in der Konversation. Man kann das einfach sagen. Wenn man weiss, wie. Die Präpositionen dieser Begrifflichkeiten könnten von mir gleichartiger getaktet sein. Aber einmal «a» und einmal «da» – das müsste ich mir eigentlich merken können.
Sprachkurs Italien: Schön zu sagen
Diese Abteilung mag ich besonders gerne. Hier kommen knackige Wörter und hübsche Merksprüche, die Freude machen. Auf immer und ewig.
Freddissimo
Als Schweizer mit einem gewissen Alter ist mir das Wort «Benissimo» natürlich ein Begriff. Ein «-issimo» am Schluss eines Wortes ist, glaube ich zu wissen, der absolute Superlativ. Der superviel gebraucht wird.
Als es beim Aperitivo im Turiner Stadtteil Vanchiglia auch um 20 Uhr abends noch gefühlte 35 Grad superheiss war, bestellte eine Kollegin ein kühles Getränk. Mit dem Verweis: «Freddissimo!». Das wird in der Regel mit «bitterkalt» übersetzt. Aber bei 35 Grad im Schatten macht es auch für ein Getränk Sinn. Weil: Da muss es wirklich freddo sein. Extrakaltissimo eben.
Sprachreise Italien: Die 3 «C» des Sonntags
«Buona Domenica» von Antonello Venditti war früher eines meiner liebsten italienischen Lieder. Den Text habe ich natürlich nicht verstanden. Dafür aber den Groove und das poppige Crescendo umso mehr gemocht.
«Kennt Ihr die drei „C“ des italienischen Sonntags?», warf Lehrerin Anna in Turin in die Runde. Und gab die Antwort gleich selber: «Chiesa, Calcio, Cibo». Letzteres sollte man nicht mit einer deutschen Ladenkette verwechseln, die «jede Woche eine neue Welt» verspricht. Cibo steht für Nahrung, fürs Essen.
Ob die Kirche – vor allem bei den Jungen – noch so wichtig ist? Wage ich zu bezweifeln. Der Fussball sitzt weiterhin fest auf dem Thron denke ich. Bei Cibo bin ich – gewitzt aus eigener Beobachtung und Teilnahme – ganz sicher: In Italien herrscht jeden Sonntag C-Alarm.
Il chiacchierino/la chiacchierina
Herrliches Wort. Und ein Begriff, den ich nicht nur im Klassenzimmer gehört, sondern auch im Text von «Azzurro» von Adriano Celentano gefunden habe. Wer als «chiacchierino» oder «chiacchierina» gilt, ist ein Plappermaul. Ist geschwätzig und redselig. Auf eine positive Art gemeint. Meistens jedenfalls.
Parolone
Das obige Wort für Völker des Nordens nicht ganz einfach auszusprechen. Aber mit etwas Übung haut es hin. Zumal es auch ein Wort gibt für solche schwierigen Wörter: «Parolone». Das ist quasi die Verdickung des Wortes Parole.
Es steht für «schwieriges, langes Wort». Oder, einfacher: Für «Wortungeheuer». Beispiel gefällig? Gerne. Das Wort des chiacchierino gibt es nämlich auch als Verb. Bitte einmal durchkonjugieren, ohne stottern: chiacchierare.
Sprachreise Italien: Endlich kapiert (II)
Nach diesem Ausflug in die Schönheiten der italienischen Sprache nun wieder zurück zu den etwas – ähem – nüchternen Dingen. Was für mich bedeutet: Dann halt mal her mit den Präpositionen.
Erste Regel: Wenn es um eine messbare Menge geht, sagt man immer (hoffentlich wirklich immer): «di». Also beispielsweise: Un etto (100 Gramm) di prosciutto. Oder: una fetta dipane, eine Scheibe Brot. Oder una fetta di Pizza. Wobei mir etwas anderes lieber wäre: Due fette die Pizza.
Sprachreise Italien: Noch eine Regel für «di»
Gleich verhält sich die Sache, wenn wir von der Beschaffenheit eines Produktes sprechen. Ist ein T-Shirt beispielsweise aus Baumwolle: di cotone. Eine Bluse aus Seide? Di seta. Ein Becher aus Plastik? Di plastica. Materialherkunft können wir also. Ist noch nicht viel. Aber ist immerhin etwas.
Eine Regel für «di»
Heisst es di oder da? Della oder nella? Manchmal ist es zum Verrücktwerden. Aber manchmal auch ganz einfach. Zum Thema «di» konnte ich mir zwei Anwendungen merken und also auch mit nach Hause bringen.
Sprachreise Italien: Was die Ragazzi heute hören
Ich habe hier schon von Herrn Venditti gesprochen, und auch von Herrn Celentano. Erwähnen sollte ich auch noch Lucio Dalla und Gianna Nannini. Diese Dame und diese drei Herren sind und waren wichtig für mein Verständnis von Italianità. Mein Eindruck nach fast einem Monat Italien: Solche Persönlichkeiten, glaube ich, gibt es kaum mehr.
Trap Italia
Was derzeit schwer angesagt ist: Trap Italia, ein Derivativ des Hip-Hop. Gemäss meiner Einschätzung ein dem Deutschrap verwandtes Genre mit viel Rap-Singsang, angekurbelt per Tonhöhenkorrektur Auto-Tune. Grundeindruck: Kein melodiöses Dolce Vita, sondern fare molto Beat, oft eher monoton. Für meine Ohren mindestens.
Die Texte des Trap Italia verorte ich eher im derben Bereich. Da muss ich aber vorsichtig sein, weil ich fast nichts verstehen kann davon. So etwas lernt man nun mal nicht in der Sprachschule. Die Hoffnung auf etwas melodiöseren Italo-Sound gebe ich nicht auf. Wahrscheinlich wird die übernächste Generation Dalla, Bennato & Co wieder neu für sich entdecken.
Mit Fare fährst Du immer gut
Jetzt aber zu meinem Lieblingskapitel. Das Verb «Fare» – zu Deutsch «machen» – bringt richtig viel Power in die Sprache Italiens. Manche Redewendungen sind geläufiger, andere weniger. Ich jedenfalls habe das hier nach Hause genommen.
Fare uno spuntino
In der Schweiz könnte man darunter verstehen, dass jemand einen Spunten aufmachen wolle, also ein Restaurant eröffnen. Ist aber nicht so. Fare uno spuntino heisst, dass man einen Imbiss zu sich nimmt.
Sprachreise Italien: fare benzina
Man fährt an eine Tankstelle und tankt dort sein Auto auf. Das könnte man auf viele Arten sagen. In Italien geht das kurz und bündig so: Fare benzina. Genial einfach. Einfach genial.
Fare uno sforzo
Nein, damit ist nicht etwa das Geräusch gemeint, das beim Flatulieren entsteht. Und von «Darmflöte» will ich in diesem Zusammenhang rein niente hören. Bei Fare uno sforzo geht es schlicht und einfach darum, sich am Riemen zu reissen. Und nicht um irgend einen Furz. Capsici?
Fare un pisolino
Bei 35 Grad und mehr am Nachmittag ist fare un pisolono in Italien ein höchst vernünftiges Vorhaben. Zu Deutsch würden wir dem so sagen: Ein Nickerchen machen.
Il tuttofare/la tuttofare
Gefällt mir auch ganz gut. «Tuttofare» steht für «Mädchen für alles», aber auch für «Alleskönnerin». Und in der männlichen Form natürlich für «Alleskönner». Ich bin überzeugt: Im Belpaese steckt in jedem und jeder dieser improvisationsgewitzten Menschen ein Stück tuttofare drin.
Auf Sprachreise, im Klassenverbund
Ich mag Sprachreisen. Ich habe schon in London und México Präpositionen gesetzt, habe in Guatemala (weitgehend erfolglos) das Condicional II erforscht, habe in der Dominikanischen Republik konjugiert und mich in Valencia in der Schule und gratis per Open-Air-Sprachlabor weitergebildet. Was mir unter anderem so gut gefällt an Sprachkursen und Sprachaufenthalten sur place: Wieder einmal im Klassenverbund zu funktionieren.
Mit Schulweg, Pause, Compiti, tutti quanti. In einer kleinen Gruppe Fortschritte machen, Kultur erleben. Und sich als Erwachsene daran zu erinnern, dass wir doch eigentlich alles nur Studenten sind auf diesem Erdenrund. Mit einer totalen Uni-Zeit von – je nach länderspezifischen Sterbetafel – ungefähr 190 Semestern. «May the student in you never die» steht auf einem Buch, das prominent in meinem Zimmer daheim steht. Kann mir ein Tuttofare daraus vielleicht einen Satz bauen? Mit «fare», per favore.
*Weisst Du, was ein «zaino» ist? Musste/durfte ich auch lernen. Es ist: Ein Rucksack. Il zaino/gli zaini, im Fall.
Disclaimer: Wenn nun in diesem hier ausgebreiteten Schul-Rucksack irgendwelche Wörter falsch geschrieben/konjugiert/präpositioniert/interpretiert (oder alles zusammen) sein sollten, dann ist das alleine mein Fehler.
Die Sprachschulen in Turin und Sestri Levante trifft keine Schuld. Sie haben ihr Bestes gegeben. Auch für Fälle, die schwierig waren. Wie meiner, ad esempio.