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Guru Walk App: Getestet, bewertet, gestaunt
Andreas GüntertWas passiert mit Dir, wenn Du am Begriff Guru vorbeikommst? Bei mir ist das so: Zunächst bin ich neugierig, weil im diesem kurzen Wort so viel Erhabenheit, Wegweisendes und Spirituelles drinsteckt. Ein Lehrer für alle Lebenslagen.
Im zweiten Moment stellt sich Skepsis ein: Will mir da vielleicht jemand Erleuchtung bringen, der vor allem an sein eigenes Licht denkt? Ist da etwa irgendwas – ähem – so ein bitzeli schummrig an der ganzen Sache?
Guru Walk: Tester-Geist geweckt
Natürlich spielt der Name eine gewisse Rolle bei meinem Interesse an der Stadtführungs-App Guru Walk. Aber da ist mehr. Wenn ein Anbieter auslobt, die «besten kostenlosen Touren der Welt» zu haben, weckt das meinen Tester-Geist.
Dies umso mehr, als das Unternehmen nach eigenen Angaben eine gewaltige globale Verbreitung hat: An über 650 Destinationen in 102 Ländern sind solche Guides für Touren aller Art aktiv. Was also ist da dran an so einem Guru? Ich habe das getestet. In Mahón, der Hauptstadt der Baleareninsel Menorca.
Ein kompletter Neuling bin ich nicht in Mahón. Im Gegenteil. Seit Jahren reise ich immer wieder hin; die Hauptstadt der Insel mit ihren 30 000 Einwohnern glaube ich einigermassen gut zu kennen.
Die Ausgangslage ist also spannend: Was kann mir da ein Guru in Mahón noch zeigen und erzählen, das ich nicht schon gesehen oder gehört oder habe?
Unser Guru heisst Jorge, er erscheint überpünktlich am vereinbarten Treffpunkt und nimmt die Kleingruppe mit Charme in Empfang. Über zwei Stunden, länger als gemäss Programm angekündigt, führt er uns durch Mahón.
Zunächst versetzt er seine Erklärungen für meinen Geschmack etwas zu opulent mit Jahreszahlen und weiteren Ausführungen, die ich mir so aus jedem Geschichtsbuch oder Wikipedia-Eintrag holen könnte. Dann wird die Tour besser.
Wege, die ich sonst nie wage
Jorge führt uns über Wege, die ich sonst nie wage. Weil sie mir ein wenig abwegig erscheinen oder weil ich meist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten wähle.
Jorge zeigt uns eine Passage um den Markt herum, die ich sonst nie wähle. Er führt uns zum Aussichtspunkt Bastió des Mirador, den ich zuvor noch nicht besucht habe. Herrliche Aussicht! Ein Punkt für den spirituellen Führer unserer Tour.
Jorge erzählt, wie durch die britische Besatzung englische Wörter ihren Einzug gehalten haben in die Sprache der Menorquiner. Wenn er merkt, dass ein Thema auf erhöhtes Interesse stösst, würzt er nach. Wieder ein Punkt für den den Guide dieser Tour.
Jorge geht auf jede Frage ein, gibt da und dort einen persönliche Anekdote zum Besten, kann unterhaltsam über Unterschiede zwischen dem Leben im Mahón und jenem in seiner Heimatstadt Granada erzählen.
Zum Schluss, die Sonne ist längst untergegangen, zeigt Jorge von der Hafenmauer aus auf eine kleine Insel im Naturhafen von Mahón. Und bemerkt zur Isla del Rey, dass sich dort französische Galeristen niedergelassen hätten. Ooops!
Natürlich sind das keine Franzosen. Hauser & Wirth sind Schweizer, ein Power-Couple der Kunst, das weltweit bekannt ist. Sorry, aber das gibt einen Punkt Abzug.
Um Jorges Inselwissen abseits von Jahreszahlen und Schlachtdaten ein wenig zu prüfen, frage ich ihn nach drei persönlichen Tipps für einen schönen Tapas-Abend.
Mein Tourguide muss nicht lange studieren und nennt mir drei Lokale, die ich alle noch nicht kenne. Ein, wie ich später herausfinde, guter Mix aus einer zentralen Lage und zwei eher quartiernaher Tapas-Bars. Ein Punkt für den Käptn unserer Tour.
Und dann frage ich Jorge noch etwas anderes. Seine Antwort darauf verändert und erleuchtet meinen Aufenthalt auf der Insel nachhaltig. Guru-Style eben.
Mein blaues Wunder
Weil neben Tapas auch Strände superwichtig sind auf Menorca, wünsche ich mir zwei Playa-Tipps. Von dem einen Strand, den mir Jorge nennt, habe ich noch nie gehört: Cala Escorxada.
Der Weg dorthin, bemerkt der Tourguide noch, sei nicht der leichteste. Etwa eine Stunde müsse man schon rechnen, wenn man vom bekannten Küstenpunkt Sant Tomàs aus starte. Was wir am nächsten Tag tun. Diesmal ohne spirituellen Führer.
Wie sich herausstellt, hat Jorge bei der Marschdauer eher etwas tief gestapelt. Die Wanderung dauert, ein paar kleine Pausen eingerechnet, über 75 Minuten.
75 zauberhafte Minuten.
Wahrscheinlich weiss Jorge gar nicht, was er mit seinem Tipp da angerichtet hat. Für mich jedenfalls ist die Wanderung entlang der Südküste etwas vom Schönsten, was ich je auf Menorca gemacht habe.
Mal sandig und mal felsig, mal durch waldige Abschnitte und dann wieder über Geröllpisten – den Escorxada-Strand muss man sich richtiggehend verdienen. Auf die nicht ganze weiche Tour.
Auf ein paar Dinge muss man bei solchen Strandwanderungen – vor allem, wenn man ohne wegweisenden Guru unterwegs ist – je nach Saison achten.
Im Herbst etwa sollte man beim Heimweg die rasch hereinbrechende Dunkelheit und damit verbundene Temperatur-Abkühlung einkalkulieren.
Im Sommer gilt es natürlich, die mittägliche Hitze irgendwie zu umgehen. Also entweder am Morgen früh aufbrechen und dabei einen Schattenspender mitführen.
Oder dann eher gegen Abend los zu marschieren, dabei aber auch das Thema Dunkelheit auf dem Heimweg nicht ausser Acht lassen.
App Guru Walk: Der Ablauf
Obwohl die Touren «kostenlos» sind, müssen User ein Konto erstellen, mit Name, Vorname, Wohnort und E-Mail-Adresse. Wie immer, wenn solche Angaben von mir verlangt werden, gebe ich extra einen fehlerhaften Vornamen an.
Um danach zu prüfen, ob mir Werbe-Mails zuflattern, die mich mit diesem falschen Namen ansprechen. Was hier (bisher) nicht der Fall war. Keine krummen Touren also. Gut so.
Wer seine Einwilligung gibt, per Mitteilung via App erreicht zu werden, kann mit dem Guide in Kontakt treten. So können Sonderwünsche oder kurzfristige Änderungen einer Tour kommuniziert werden.
Hat bei diesem Test von Guru Walk prima geklappt.
Wie kosten «kostenlose» Führungen?
Natürlich ist es ein Widerspruch, wenn GuruWalk die Führungen einerseits als «free» anbietet, auf der Website aber neue Guides mit dem Werbespruch «Verdiene Geld als Guru» heranzüchtet.
Das Verfahren bei diesem Unternehmen ist hier so, wie bei der App FreeTour, die ich einst in Budapest testete. Jede und jeder bezahlt am Schluss der Tour so viel, wie man es für angebracht hält. Bei unserer Kleingruppe waren das im Schnitt zwischen zehn und 20 Euro pro Person.
Ob und wie gut das für den Lebensunterhalt eines Führers solcher Free Walking Tours reicht, war an jenem Abend nicht in Erfahrung zu bringen. Ich will doch hoffen, dass dahinter ein sozialverträgliches Modell steckt.
Das Unternehmen GuruWalk ist in Valencia domiziliert, es erhielt 2019 eine Anschubfinanzierung von einer Million Euro und wird auch von der EU unterstützt.
GuruWalk App: Fazit
Zusammenfassend kann ich sagen, dass der geführte Fussmarsch eine Bereicherung war. Dadurch, dass unser Tourguide selber seit zwölf Jahren auf der Insel lebt, kann er seine Begeisterung glaubhaft vermitteln. In den besten Momenten entsteht ein Gefühl: Was er tut, ist mehr als nur ein Job.
Klar, die französisch-schweizerische Verwechslung ist kein Ruhmesblatt, im Gegenzug aber hat sich der Guide hervorgetan mit seinem Inselwissen. Ein Wissen, das für mich zum blauen Wunder wurde.