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SRV-Forum zu NDC: «Full Content ist Geschichte»
Gregor WaserDas Thema New Distribution Capability (NDC) ist komplex und bleibt es – auch nach der gestrigen Austragung des KMU-Forums des Schweizer Reise-Verbands (SRV) am Swiss-Hauptsitz in Kloten. Gross war der Aufmarsch seitens der Retailer und Experten, rund 60 Personen waren anwesend, darunter zahlreiche Vertreter seitens der Lufthansa Gruppe und der GDS Travelport, Amadeus und Sabre.
Durch den Nachmittag führte SRV-Fachexperte Flug, Marcel Herter – und zwar nicht bloss als Moderator, sondern gleich auch als treffender Analyst der künftigen Airline-Distribution. Herter holte aus: «Der anfänglich abstrakte, unausgereifte und auf das technische Protokoll reduzierte Begriff NDC hat sich zwischenzeitlich konkretisiert. Heute, sieben Jahre nach Projektstart bei der IATA, werden die Konturen und Möglichkeiten der angestrebten Distributionspolitik erkennbar.» Stand heute seien 50 Airlines in unterschiedlichem Umfang NDC-fähig, insbesondere die Leaderboard-Airlines LH Group, British Airways, Iberia und Air France-KLM. Heute seien gewisse Sparpreise und Zusatzangebote nur noch über Direct-Connect buchbar.
Aus Sicht des KMU-Reisebüros stellten sich während des Nachmittags immer mehr Fragen: Welche Rolle spielt das Reisebüro in der künftigen Airline-Distribution? Welche Bedeutung hat ein Direct Connect für ein KMU? Sind die zusätzlichen Kosten gerechtfertigt? Sollen KMU-Reisebüros weiterhin ausschliesslich auf die GDS bauen und eben eine direkte Anbindung an die Airlines? Wie komme ich überhaupt als Reisebüro in diesem fragmentierten Markt für den für meine Kunden relevanten Content?
Neue Kräfteverhältnisse
Klar wurde: Den «Full Content», also den Zugriff auf alle verfügbaren Tarife und Spezialpreise, bleibt Reisebüros künftig verwehrt. Denn auch die GDS werden bei den neuen Kräfteverhältnissen von den Produktionsküchen der Airlines weggeschubst und entwickeln sich vom Global Distribution System (GDS) zum Multisource-Provider. Oder anders gesagt: nicht mehr die GDS bereiten das Endangebot auf, sondern sie avancieren zur blossen Schaltstelle und sind darauf angewiesen, welchen Content ihnen von den Airlines überhaupt freigeschaltet wird.
Gut und hilfreich war der Nachmittag für die SRV-Retailer trotz sich türmenden Fragen allemal, nur schon wegen den Kontakten zu den NDC-Experten. Von Travelport äusserte sich Marcel van de Wal zum Thema, der Commercial Director Central Europe: «Bis Ende 2018 werden fünf Airlines NDC-fähig sein.»
Und die NDC-Person bei der Lufthansa Group kennen die Schweizer Retailer nun auch. Es ist Johannes Walter, der Senior Director Global Market Management, der Teil eines 60-köpfigen Teams ist und auch für die NDC-Anliegen der Schweizer Reisebüros zuständig ist. Bei seinen Ausführungen wurde klar, was dynamische Angebote sind. Künftig werden die LH-Airlines nicht mehr nur drei, vier Tarifstufen wie solche mit 49, 79, 99 und 129 Franken publizieren, sondern ein dynamisches Angebot heisst dann auch eine Staffelung à la 49, 50, 51, 52, 53 Franken. Gleichzeitig unterstrich Walter, wie wichtig der LH Group die Partnerschaft mit Reisebüros sei.
Weitere Speeches ergänzten den Nachmittag, denn es ging auch um die Frage, welche Auswirkung die neue Distributionswelt auf Mid- und Backoffice-Systeme hat. Alon Meissels von Atriis, Philipp Wellstein von Welltravel, Helmut Pilz von Umbrella und Pablo Castillo von Hotelplan HIT stellten ihre Lösungen und die Auswirkungen auf ihre Systeme vor. Castillo wurde aus dem Publikum gefragt, ob Hotelplan schon Direktanbindungen mit weiteren Airlines neben der LH Group habe. Er bejahte und verwies auf touristische Carrier wie TUIfly und Sunexpress.
Zunächst schienen die Reisebüros von der Infoflut erschlagen zu sein und schwiegen. Da ergriff SRV-Geschäftsführer Walter Kunz das Mikrofon und wollte von Jürg Christen, dem Head of Sales Switzerland bei der LH Group, wissen, wer denn bitteschön eine Direktanbindung zur LH Group bezahlen soll? «Wir können ja keine Investition tätigen und dabei nichts verdienen».
Christen erklärte, dass es durchaus Verdienstmöglichkeiten gebe. Die GDS-Gebühr von 16 Franken falle dann ja weg, der Kunde könnte in diesem Fall dem Reisebüro 10 Franken mehr bezahlen. Zudem eröffne das NDC-Partnerprogramm nicht nur eine technologische Lösung, sondern auch den Zugang zu exklusiven Tarifen und einer bilateral zu vereinbarenden, kommerziellen Komponente. Da böten sich zusätzliche Erträge an.
In seinem Resümee hielt Marcel Herter fest: «Positiv ist sicherlich, dass eines das Reizwort ADM künftig entfällt. Airlines haben nun keinen Grund mehr, solche Nachbelastungen auszustellen. Weiter dürften sich die Zahlungsströme vereinfachen, ohne Umweg über BSP oder IATA. Negativ ist aber zweifellos: den Full Content wird es nicht mehr geben».
Und wie hat den Reisebüros der KMU-Event gefallen. Sabine Nyffeler von Müllener Touristik Herisau äusserte sich positiv: «Ich habe nun eine Ahnung erhalten, wie sich die Airline-Distribution entwickelt. Der Austausch mit allen beteiligten Parteien war sehr gut, vor allem, dass man persönlich mit diesen Leuten reden konnte. Die Plattform des SRV, die er geboten hat, habe ich als wertvoll empfunden.»