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Der Tempelberg in Israel mit der für Juden wichtigen Klagemauer (vorne) und dem muslimischen Felsendom im Hintergrund. Sollte eine dritte Intifada losgehen, könnte dies für den Tourismus ins Heilige Land schlimme Folgen haben. Bild: TN

Dem Israel-Boom droht ein abruptes Ende

Jean-Claude Raemy

Die Anerkennung von Jerusalem als Israels Hauptstadt durch US-Präsident Donald Trump könnte verheerende Auswirkungen haben. Anbieter mit Israel-Angeboten beobachten die Entwicklung der Lage genau.

Vor wenigen Wochen noch waren 200 Touristiker aus der Schweiz im Rahmen der SRV-GV in Israel. Tel-Aviv, Jerusalem und das Tote Meer wurden besucht - allesamt eindrückliche Orte, deren Besuch sich lohnt. Während Jerusalem schon seit Jahrhunderten ein wichtiger Pilgerort ist und quasi als erster Ort weltweit dem Overtourism ausgesetzt war, hat sich vor allem auch Tel-Aviv in jüngster Zeit zu einer Trenddestination entwickelt: Die Stadt ist hip, verfügt über tolle Strände und gutes Nachtleben. Da es in letzter Zeit relativ ruhig war im Nahen Osten und Israel indirekt auch davon profitierte, dass Terror ohnehin auch an anderen europäischen Orten stattfindet, boomte der Tourismus im Heiligen Land.

Damit könnte es jäh zu Ende sein. Die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, die US-Botschaft (als einzige aller Länder) von Tel-Aviv nach Jerusalem verlegen zu wollen und die damit implizierte Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt von Israel, sorgen aktuell für Aufruhr in muslimischen Kreisen weltweit, und für Entsetzen bei neutralen Beobachtern. Die Angst geht um, dass das Pulverfass Nahost wieder einmal explodiert. Einzelne muslimische Gruppierungen rufen bereits zu einer dritten Intifada auf. Generalstreiks von Palästinensern sind im Land angekündigt. Diverse Ämter haben ihre Reisehinweise bereits angepasst - das EDA allerdings noch nicht. So oder so werden gewalttätige Ausschreitungen befürchtet. Und dies just vor den Jahresend-Festtagen, an denen Tausende Pilger nach Jerusalem (Christen wegen Weihnachten, Juden wegen Chanukkah) fahren - das Timing von Donald Trump ist also extrem unglücklich.

Was bedeutet dies für Reiseanbieter mit Israel-Angeboten?

Frano Ilic, Pressesprecher des Studienreiseanbieters Studiosus, erklärt: «Die Israel-Saison ist eigentlich im November zu Ende. Um die Weihnachtszeit haben wir nochmals Gruppen vor Ort, dann erst ab Ende Februar wieder.» Insofern gebe es keinen Handlungsdruck und man wolle die Situation erst einmal beobachten - vor allem, was Morgen Freitag passiert (Freitage sind in Israel Wochenendtage). Bislang habe es im Service Center von Studiosus noch keine besorgte Anrufe gegeben, auch nicht von Reisenden, die in Kürze zu einer Weihnachtsreise aufbrechen. Laut Ilic hängt dies allerdings damit zusammen, dass Studiosus bei Israel-Reisen den Kunden das Recht auf kostenlose Umbuchung bis vier Wochen vor Abreise gewährt, also im Hinblick auf vor Ort manchmal schnell wechselnde politische Gegebenheiten eine gewisse Flexibilität erlaubt und Sicherheit in Bezug auf die Buchung schafft. Studiosus hat auf der eigenen Webseite auch bereits Stellung zur neuen Problematik genommen, um allfällige Fragen gleich vorneweg zu begegnen. Wobei Ilic erwähnt, dass Studiosus-Reisende schon bisher dazu aufgefordert wurden, keinen ÖV zu benutzen oder auch, dass keine Reisen mehr nach Bethlehem (liegt mitten in Palästinensergebieten) aufgelegt wurden.

Ilic hofft aber auch, dass die Lage ruhig bleibt: Studiosus (inklusive Marco Polo) erlebe derzeit einen Israel-Boom: Buchten 2016 noch 734 Gäste eine Israel-Reise, waren es 2017 bereits 1300, also ein Plus von 74 Prozent, und die Nachfrage für 2018 sei bislang nochmals deutlich über Vorjahr.

Susanne Sismanis vom Aarauer Spezialisten Suja Reisen legt seit Jahren Reisen nach Israel auf. Die für dieses Jahr letzten Israel-Kunden seien aktuell auf dem Heimweg, während eine geplante Weihnachtsreise nach Jerusalem infolge zu wenig Nachfrage nicht aufgelegt wurde. Sorgen macht sie sich also nicht um aktuelle Kunden und wartet vorerst auch ab, was passiert. Auch für sie wäre eine weitere Intifada allerdings sehr bedauerlich: «Vor zwei Jahren verkauften wir ganz wenig Israel, doch inzwischen ist es ein festes Standbein; wir haben dieses Jahr viele Gruppen und auch Individualreisende dorthin gebracht.» Wobei Suja keine Pilgerreisen organisiert. Sismanis denkt, dass Pilger trotz allem nach Israel reisen würden, aber möglicherweise der FIT-Markt einbreche. In Schieflage käme das Unternehmen aber bei einem Israel-Einbruch nicht: «Wir sind breit genug aufgestellt. Die stets etwas angespannte Lage in Israel zwang uns schon vor Jahren zu einer Diversifizierung des Angebots.» 

Jonas Woiwode von Kultour Ferienreisen AG in Winterthur schliesslich bleibt trotz allem optimistisch: «Die jüngste Entwicklung verlief auch für uns, wie für den gesamten Tourismus in Israel, erfreulich. Ein sprunghafter Anstieg wurde aber nicht verzeichnet, da wir über eine langjährige und stetige Kundschaft für Israel-Reisen verfügen. Die Nachfrage nach Israel ist nach wie vor gross und wir rechnen mit leicht höheren Passagierzahlen als 2017 - sowohl bei Gruppenreisen wie auch bei unseren FIT-Produkten, bei welchen wir schweizweit eine sehr gute Nachfrage verzeichnen dürfen.» Kultour bietet primär Gruppenreisen mit christlichem Hintergrund an, welche selber veranstaltet werden. Individualreisen (primär Fly-Drive) sei inzwischen aber ebenso ein wesentlicher Bestandteil des Israel-Geschäfts. Wieso bleibt Woiwode optimistisch? «Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung mit Israel-Reisen haben wir schon verschiedenste Szenarien erlebt und sind auf politische Spannungen und deren Auswirkungen vorbereitet», erklärt der Spezialist, «unsere Erfahrung zeigt, dass solche sehr schnell und meist punktuell auftreten können, aber sich ebenso schnell wieder beruhigen. Die Sicherheitsvorkehrungen und die Bereitschaft der relevanten israelischen Behörden ist aufgrund langjähriger Erfahrung mit Bedrohung hoch und zu jederzeit gewährleistet. Für uns als Veranstalter hat die Sicherheit unserer Kunden höchste Priorität. Falls Reisen nicht zumutbar erscheinen und Sicherheitsrisiken bestehen, werden Reisegruppen von uns proaktiv abgesagt oder situativ umgeplant. Bei der Beurteilung stützen wir uns dabei primär auf die Einschätzung unserer zuverlässigen Partner vor Ort sowie das EDA. Zurzeit halten wir an sämtlichen geplanten Reisen fest und sind zuversichtlich, diese durchführen zu können - behalten aber die Entwicklung in Israel im Auge.»