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Erwies sich am 17. November 1997 als Falle für Touristen: die Tempelanlage Hatschepsut im Tal der Könige in Luxor. 58 Touristen verloren hier ihr Leben. Bild: Porter

«An diesem Tag hat die Reisebranche ihre Unschuld verloren»

Gregor Waser

Am 17. November 1997 starben bei einem Attentat im ägyptischen Luxor 36 Schweizer Touristen. Für die Reiseveranstalter begann an jenem Tag eine neue Zeitrechnung. Thomas Stirnimann, damals Touroperating-Chef bei Kuoni, und Roland Schmid, Leiter des Krisenstabs bei ITV (Imholz-TUI-Vögele), blicken zurück.

Vor dem Hatschepsut-Tempel in Luxor kommt es am 17. November 1997 gegen 9.30 Uhr zu einem fürchterlichen Anschlag. 58 Touristen, darunter 36 Schweizer, werden von einem islamistischen Kommando angegriffen und getötet.

Die Informationen aus Ägypten treffen in Zürich bei den Reiseveranstaltern Kuoni, Hotelplan und ITV (Imholz-TUI-Vögele), die alle Reisegruppen vor Ort haben, an diesem Morgen nur zögerlich ein. Erst am späteren Nachmittag zeichnet sich das Ausmass des Attentats ab. Das Eidgenössische Departement des Äusseren (EDA) richtet einen Krisenstab und eine Hotline ein, die aber wegen Überlastung rasch zusammenbricht.

Die Schweiz und die Schweizer Reisebranche stehen unter Schock. Die Veranstalter Kuoni, Hotelplan und ITV stehen rund um die Uhr im Kontakt mit Angehörigen, EDA, Medien, Versicherungen, müssen sich um die Repatriierung der Opfer kümmern und sehen sich bald auch Vorwürfen und Entschädigungsforderungen ausgesetzt.

travelnews.ch hat bei Thomas Stirnimann und Roland Schmid, die damals stark in die Ereignisse involviert waren, nachgefragt und jene Tage Revue passieren lassen.

1997 war Thomas Stirnimann Touroperating-Chef bei Kuoni. Heute ist er CEO der Hotelplan Group.

Herr Stirnimann, wie haben Sie den 17. November 1997, den Tag des Luxor-Attentats, erlebt?

Thomas Stirnimann: Die Informationen trafen zunächst nur tröpfelnd und lückenhaft ein. Die Ungewissheit in den ersten Stunden war schlimm. Dann jagte eine Nachricht die andere. Im Vergleich zu heute waren wir aber relativ schlecht vorbereitet. Wir hatten damals zwar schon Kommandoräume und Notfallszenarien, doch es war sehr chaotisch.

Welches war die grösste Herausforderung?

Die vorhandenen Kommunikationsmittel waren total überlastet, ebenso die Involvierten: EDA, Versicherungen, Veranstalter, Airlines. Die Abklärungen benötigten viel Zeit. Die Angehörigen waren lange in Ungewissheit. Aber wir konnten nicht zaubern. Doch alle gaben ihr Bestes im Rahmen ihrer Möglichkeiten.

Wie eng arbeiteten die Veranstalter zusammen?

Die Zusammenarbeit von Hotelplan, Imholz und Kuoni war sehr gut, wir arbeiteten Hand in Hand, auch mit der Elvia Versicherung. Wir hatten, wenn auch in kleinerem Mass, schon vorher Unfälle oder Notfälle gemeinsam zu bewältigen und auf operativer Ebene standen wir im gegenseitigen Kontakt, weil wir auf Charterflügen die Kontingente teilten. Eine solche Katastrophe hatte die Reisebranche aber noch nie erlebt und das hat sie zusammengebracht. Dass man starke Konkurrenten war, rückte in den Hintergrund und niemand profilierte sich bei dieser Geschichte.

«Seither blieb Ägypten volatil und fand nie mehr zu jener stabilen Grösse zurück»

Die Reisebranche sah sich bald auch finanziellen Forderungen ausgesetzt seitens Angehöriger.

Rückblickend ist das ein zwiespältiges Thema, das sich lange hinzögerte, bei dem EDA, Versicherungen und Veranstalter involviert waren. Wir sind damals unseren handwerklich-moralischen Pflichten nachgekommen. Wir haben Opfer und Überlebende repatriiert, gebuchte Kunden für spätere Reisedaten konnten kostenlos annullieren.

Wie ging es mit der Destination Ägypten weiter?

Ein Jahr lange wurde Ägypten nicht mehr angeboten, das war ein Millionen-Schaden. Wir hatten bis zum Anschlag gegen acht wöchentliche Charterflüge im Einsatz. Nach einem Jahr registrierten wir wieder eine Nachfrage und ich flog mit Walter Brüllhardt, dem damaligen Badeferien-Chef, hin, um herauszufinden, wie es um die Sicherheitsvorkehrungen steht und ob diese das Feriengefühl ersticken. So nahmen wir eine erste, später eine weitere Charterverbindung wieder auf. Seither blieb die Destination aber volatil und fand nie mehr zu jener stabilen Grösse zurück.

Welche Erkenntnisse hat die Reisebranche aus jenen Ereignissen gewonnen?

Seither arbeiten wir sehr viel enger mit dem EDA zusammen, Spielregeln wurden festgelegt. Die Welt ist heute mit Krisenherden noch durchsetzter, es ist wichtig, dass wir uns auf das EDA abstützen können. Und die Reiseunternehmen waren nach Luxor viel besser erprobt im Umgang mit Krisen und Katastrophen, was sich bei 9/11 oder dem Tsunami 2004 zeigte – insbesondere auch dank verbesserten Kommunikationsmitteln. Am 17. November 1997 hatte die Reisebranche ihre Unschuld verloren.


Roland Schmid war 1997 Stv. Kommunikationschef und Leiter des Krisenstabs bei ITV (Imholz-TUI-Vögele). Heute ist er selbstständig und arbeitet im Mandatsverhältnis für TUI Suisse und ist Umweltbeauftragter des Schweizer Reise-Verbands (SRV).

Herr Schmid, wie genau erinnern Sie sich noch an den 17. November 1997?

Roland Schmid: Ich stand an der Birmensdorferstrasse im 6. Stock vor dem Kopierer, als die Meldung kurz nach 9.30 Uhr eintraf. Wir hatten Reiseleiter vor Ort. Wir wussten, dass etwas passiert war und Touristen wohl betroffen sind, aber es lagen noch keine genauen Angaben vor. Etwa eine Stunde später trafen offizielle Meldungen ein.

Imholz verzeichnete die meisten Opfer.

Wir hatten 29 Gäste vor Ort. Leider sind 21 von ihnen verstorben, vier wurden teils schwer verletzt, vier blieben unverletzt.

Was geschah in den folgenden Tagen?

Wir hatten in einem Sitzungszimmer einen Krisenraum organisiert und standen permanent im Kontakt mit Angehörigen, Betroffenen vor Ort, EDA, Airlines, Reisebüros, Versicherungen, Presse und den eigenen Mitarbeitern – und den Betroffenen, als sie wieder zu Hause waren. 

Wie erlebten Sie die Frage nach der Verantwortung eines Reiseanbieters?

Der Vorwurf stand im Raum, dass die Reiseveranstalter die Ereignisse hätten vorhersehen müssen. Auch die Forderung nach einer Staatshaftung kam auf, die später aber abgelehnt wurde. EDA, Justiz- und Polizeidepartement, Versicherungen und Reiseunternehmen eröffneten einen Luxor-Fonds mit 4,8 Millionen Franken. Bis dieser zustande kam, dauerte es aber bis im Herbst 2000. Der Kontakt mit dem EDA war nach dem Luxor-Attentat eng. Christian Blickenstorfer, der Leiter der Krisenorganisation im EDA, stand im engen Kontakt mit der Reisebranche. 1998 erfolgten auf der EDA-Webseite die ersten Reisehinweise und allfällige Reisewarnungen, auf die sich seither Reiseveranstalter, Versicherer aber auch Kunden abstützen können.

«Es war der Anfang der Sensibilisierung bei Sicherheits- und Gesundheitstaspekten auf Reisen»

Wie entwickelte sich die Krisenorganisation bei den Reiseunternehmen in den Folgejahren?

Wir hatten vorher schon Telefon- und Checklisten, wussten, welche Partner bei Krisen an den Tisch gehören. Diese Abläufe wurden nach Luxor noch weiter verbessert. Das Bewusstsein war geschärft, dass man die Krisenorganisation stärken muss – im ganzen Unternehmen bis hin zur Destination. Man schrieb Krisenhandbücher, auch der Schweizer Reise-Verband erarbeite eines. Die Reiseversicherungen kreierten für kleinere Anbieter Module, bei denen man sich einkaufen konnte, um im Krisenfall Call-Center miteinbeziehen zu können.

Ist die Reisebranche seit Luxor professioneller geworden?

Zweifellos. Es war das erste wirkliche Grossereignis. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Leistungsträger wurde gebündelt, auch im Sinne der Vorsorge. Da hat man sehr viel gelernt und gemeinsam entwickelt. Die Reiseveranstalter waren zunehmend international besser vernetzt. Auch die Konsumenten machen sich seither mehr Gedanken zu Sinn und Zweck einer Reise, informieren sich nun besser über das Reiseziel, die Kulturen, die politische Situation oder Gesundheitsaspekte. Es war der Anfang der Sensibilisierung bei Sicherheits- und Gesundheitstaspekten auf Reisen.