Reiseanbieter

Wenn die Systeme nicht das hergeben, was man selber (oder der Kunde) braucht, gilt die Maxime «Hilf Dir selbst». Bild: Fotolia

Kommentar Ich, alles, sofort, überall

Jean-Claude Raemy

Heutige Kundenwünsche treiben die Umgestaltung der Wertschöpfungskette voran. Welche Rolle kommt künftig den Reisebüros und Reiseveranstaltern zu?

Neulich, an der ITB Berlin, eröffnete mir ein Vertreter einer kleinen australischen Destination Management Company, dass er in Kontakt mit diversen Schweizer Reisebüros stehe – Filialen eines grossen touristischen Konzerns ebenso wie Unabhängige. Diese hätten ihn angegangen, um direkten Zugriff auf sein neues Buchungssystem zu erhalten.

Bei genauerer Betrachtung eröffnet sich hier deutlich, in welche Richtung sich der Vertrieb in der Schweiz und weltweit bewegt. Die Ausgangslage ist klar: Das Internet hat uns gelehrt, dass wir eine sofortige Befriedigung unserer Bedürfnisse erwarten dürfen, nicht nur beim Kauf relativ einfacher «Commodities» wie Bücher bei Amazon oder Laptops bei Digitec, sondern auch bei komplexeren Handelswaren wie etwa Reisen. Diese Geisteshaltung überträgt sich aber auch auf das Offline-Kaufverhalten: Wer in ein Reisebüro kommt, lässt sich nicht mit Antworten wie «das haben wir nicht» oder «das wissen wir nicht» oder «das können wir ihnen erst in drei Tagen sagen» abspeisen. Veraltete IT-Systeme bei Veranstaltern oder zu lange organisatorische Wege innerhalb der Wertschöpfungskette führen leider immer noch oft zu dieser Art Antwort.

Hilf Dir selbst

Kein Wunder, behelfen sich die Reisebüros selber. Das Phänomen des «Micro-Touroperating» gibt es schon einige Jahre, aber es akzentuiert sich weiterhin. Das Damoklesschwert des Pauschalreisegesetzes wirkt auf die meisten Reisebüros nicht abschreckend. Dazu gibt es zahlreiche spezielle Reisebüro-Partnerprogramme, zum Beispiel Expedia TAAP, welche «gefahrlos» genutzt werden können. Nutzt man dennoch den klassischen Reiseveranstalter, wird erwartet, dass dieser «wirklich alles» anbieten kann. Was aber nicht realistisch ist, auch wenn dieser zahllose (teure) XML-Schnittstellen zu Content-Anbietern hat.

Der Anspruch «alles, sofort» führt zu vielen Friktionen zwischen Reisebüros und Veranstaltern. Die Destinations-Abteilungen der TOs werden von vielen Reisebüros möglichst gemieden, ausser es gibt eine extrem komplizierte Anfrage oder man hat keine Zeit oder Lust, etwas selber einzubuchen. Die partnerschaftliche Kooperation, im besten Sinne, ist oft ausgehebelt. Dazu kommt es schon mal vor, dass ein Veranstalter selber bei Expedia oder Booking  oder sonstwie online, also ausserhalb der eigenen Systeme, etwas bucht und dann die Leistung mit einer  Marge ans Reisebüro weitergibt, welches dann wiederum eine Marge drauf schlägt und die Leistung letztlich dem Kunden verkauft.

Das Problem: So ist der «klassische Vertrieb» nie wirklich preislich konkurrenzfähig, oder er bietet dem Kunden (absichtlich?) nicht den bestmöglichen Preis. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, wie viele Kunden die Buchung eines x-beliebigen Hotels irgendwo immer noch als echte Dienstleistung verstehen und entsprechend honorieren. In anderen Märkten, wo die Online-Affinität deutlich höher ist, etwa in Skandinavien, gibt es deutlich weniger Reisebüros – und jene, die es noch gibt, leben hauptsächlich von der Beratungsleistung.

Warenkörbe können viel, aber nicht alles

So oder so bleibt die Technologie der primäre Innovationstreiber im touristischen Vertrieb. Alle grossen Reiseveranstalter arbeiten an ausgefeilten Warenkorb-Lösungen. Darin kombiniert sich der Online-Kunde flexibel seine Wunschferien. Wir sprechen hier nicht mehr nur von Flug und Hotel, sondern von komplexen Reisen mitsamt Einbindung zahlreicher Zusatzangebote wie Tagesausflügen oder Restaurant-Besuchen oder Flughafentransfers. Wer möglichst viel Content möglichst einfach im Web buchbar macht, gewinnt. Giganten wie Priceline oder Expedia machen es vor.

Kommt es also zu weiterer Konzentration in der Tourismusindustrie? Gewiss. Grosse Anbieter vereinen immer mehr Power auf sich: AirBnB will zum Player in der Branche werden, Google könnte es werden. Super-Content-Portale globalen Ausmasses sind nicht mehr weit entfernt. Und doch darf man die Kraft lokal oder national gut verankerter Marken nicht unterschätzen, sowie den persönlichen Bezug. Auch wenn künftig 80% der Menschheit ihre Reise in Super-Content-Portalen buchen, so wird es immer noch jene geben, welche auf menschliche Interaktion und vertrauenswürdige Empfehlungen aus dem eigenen Bekanntenkreis (statt aus der Millionen-Community grosser Portale) setzen. Es geht also nur darum, seine Nische zu finden und gut zu besetzen.