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30 Minuten zuvor aus London gelandet und bereits in seinem Büro in Glattbrugg: Hans Lerch. Bild: GW

«Das war der grösste Bock, den die Kuoni-Gremien geschossen haben»

Gregor Waser

Nach 110 Jahren endet die Schweizer Geschichte von Kuoni in diesen Tagen. 35 Jahre lang hat Hans Lerch die Firma mitgeprägt. Im Interview mit travelnews.ch blickt er zurück.

Mit einer Zahnradfahrt für einen Franken auf den Zürcher Üetliberg begann die Geschichte von Kuoni im Jahr 1906. In diesen Tagen wird der Verkauf des restlichen Unternehmens an die schwedische Beteiligungsgesellschaft EQT abgeschlossen, das Touroperating und die Reisebüros gingen zuvor schon an die deutsche Rewe-Gruppe. Jetzt endet die rein schweizerische Geschichte des Traditionsunternehmens.

Nach Gründer Alfred Kuoni und dem langjährigen Mr. Kuoni Jack Bolli prägte in den 90er- und 00er-Jahren insbesondere Hans Lerch die Geschicke von Kuoni. Insgesamt war er 35 Jahre für Kuoni tätig, von 1999 bis 2005 als CEO. Travelnews.ch traf den 66-Jährigen zu einem längeren Gespräch über frühere Erfolgsrezepte und das jähe Ende.

Herr Lerch, wie haben Sie das Ende von Kuoni erlebt?

Hans Lerch: Das zeichnete sich ja ab. Als es dann so weit war und in der Zeitung stand, war es aber trotzdem ein Schock. Wie bei einem Krebsleidenden. Man erwartet das Ende und es kommt dann doch unerwartet.

Wieviel unter Wert wurde Kuoni verkauft?

Alleine das Schweiz- und Grossbritannien-Geschäft hätte vor gut zehn Jahren noch für mehr als eine Milliarde Franken verkauft werden können. Nun gingen diese beiden Gesellschaften plus Skandinavien und Benelux für 120 Millionen an die Rewe. Obendrauf schickte man noch 350 Millionen Cash aus Kundenvorauszahlungen nach Köln. Das ist Triple-A-Dilettantismus, vor allem was dazu führte, aber auch wie’s gemacht wurde.

Sie waren 35 Jahre lang bei Kuoni und haben wohl bis zuletzt noch viel Herzblut für die Firma übrig.

Na ja, es sind die Leute, die das Herzblut ausmachen und ich bin nun doch schon elf Jahre weg. Mich beschäftigt, dass nach Bally und der Swissair ein weiteres Schweizer Unternehmen aufgrund von Konzeptlosigkeit und unfähigen Gremien groundete. Wenige haben noch etwas vom Geschäft verstanden, da ging viel zu viel Know-how verloren über die Jahre.

Haben nicht gerade Sie viele Leute zu Hotelplan geholt?

Nein. Die sind selber gegangen. Als der Verwaltungsrat unter Andreas Schmid auf das Management losging, so als wüssten wir überhaupt nicht, was wir tun, sind viele Leute weg. Ich musste gehen, aber zu viele in den obersten Chargen gingen von alleine. Thomas Stirnimann übernahm mit Peter Diethelm Travelhouse und wurde danach von Hotelplan übernommen. Das bewog  dann viele Leute von Kuoni Schweiz zu Hotelplan zu wechseln, das war ab 2007. Ich kam 2009 in den Hotelplan-Verwaltungsrat.

«Man ist von einer Kultur der Eigenverantwortung in eine Kultur kollektiver Verantwortungslosigkeit abgerutscht»

Sie haben in den 90er- und 00er-Jahren die erfolgreichste Zeit bei Kuoni mitgeprägt. Was machte die Firma damals anders?

Im Tourismus kann man alles kopieren, doch unsere Trümpfe waren die Fachkompetenz, der Teamgeist und der Führungsstil. Die Leute wussten, von was sie reden, das Schweiz-Team und eigentlich der ganze Konzern waren sehr gut aufgestellt. Wir haben an der langen Leine geführt. Die Leute konnten im Unternehmen unternehmerisch tätig sein, es galt eine Kultur der Eigenverantwortung. Wenn etwas schief rauskommt, bist du verantwortlich, wenns gut rauskommt auch und du erhältst einen Bonus, das war die Losung und bewirkte diesen Drive. Der Verwaltungsrat fand dann aber, die Firma sei viel zu dezentral aufgestellt, vor allem auch nach Schmid, unter Boysen, Karrer, Schnell und wer da sonst noch dabei war. Es folgte der zentrale Einkauf, zentrale IT, zentrales dies und das — eine Riesenbürokratie. Man ist von einer Kultur der Eigenverantwortung in eine Kultur kollektiver Verantwortungslosigkeit abgerutscht. Das sind dann eben Unternehmen, in denen niemand mehr schuld ist und schuld sein kann. Für alles gibt es Entschuldigungen. Wenn der Andere das gemacht hätte und wenn der Markt nicht gewesen wäre, hätte ich es auch besser machen können, heisst es dann.  Dieser dramatische Eingriff in die DNA war der grösste Bock, den der Verwaltungsrat, aber auch die operative Führung geschossen haben.

Welche Führungskultur haben Sie bei Kuoni eingebracht oder übernommen?

Ich versuchte so zu führen, wie ich Jack Bolli wahrgenommen habe.

Wie war sein Stil?

In der Schweiz war er sicher sehr kontrollierend, viel mehr als ich, doch den Auslandgesellschaften liess er viel Freiraum, so konnten sie sich auch stark entwickeln — ihr kennt das besser, lautete seine Devise. Diese versuchte ich zu kopieren. Als Auslandschef in Asien hatte ich Jack Bollis Stil geschätzt.

Vor 15 Jahren hat man Sie vor allem als Hardliner wahrgenommen.

Das Eine geht nicht ohne das Andere, die lange Leine ist so zu verstehen: man muss die Leute arbeiten lassen, man darf aber nicht den Eindruck erwecken, dass es keine Leitplanken gibt. Wenn die Kompetenz überschritten oder der Freiraum missbraucht wurde, dann, ja dann haben die Zeitungen jeweils geschrieben, Lerch der Hardliner, wenn ich jemanden sanktionieren musste. Aber als Micromanager war ich nie bekannt.

Standen Sie mit Jack Bolli noch lange in Kontakt?

1988 wurde er pensioniert und war danach Ehrenpräsident. Ich traf ihn regelmässig zum Lunch oder auf einen Whisky auf seinem Balkon, auch noch wenige Monate vor seinem Tod im Jahr 2003. Er hat mich gefördert und das braucht es ja, um Karriere zu machen (lacht). Du, die machen uns den Kuoni kaputt, ereiferte er sich jeweils über den Verwaltungsrat. Nein, nein, entgegnete ich, so weit lassen wir es nicht kommen. Nun kam es aber leider so weit.

Wie hat Bolli den Spirit von Kuoni geprägt?

Er war ein begnadeter Charmeur und Netzwerker, er brachte die Duz-Mentalität bei Kuoni ein. Für viele war er der übergrosse Bolli, ihn hat man verehrt. Er ist in einer Zeit gross geworden, wo der Tourismus ein Goldesel war. Pattaya-Arrangements für 4000 oder 5000 Franken und 20 bis 25 Prozent Marge drauf... Er hat das Unternehmen gebaut, Filialen eröffnet, Kuoni vertikalisiert und die Firma im Ausland aufgebaut. Das entwickelte sich sehr gut, Frankreich, England sowieso — unter Peter Diethelm. Ende der 90er-Jahre erwirtschaftete Diethelm alleine in England 100 Millionen Franken Gewinn.

Und wenn Sie die Schweizer Reisebranche heute anschauen — glauben Sie noch an das Modell Reisebüro?

Ich glaube ans Modell Tourismus, und dass dieser künftig noch vertrieben werden muss. Ich glaube nicht mehr ans heutige Konstrukt, wo man zum Teil noch stark am traditionellen Touroperatorsystem festhält. Ausser man ist ein absoluter Spezialist. Hotelplan ist in der OTA-Landschaft schon sehr weit und verdient mit dynamischem Paketieren fast schon mehr als traditionell. Und die Kraft der Marke wird auch künftig eine grosse Rolle spielen, da sehe ich gute Chancen für Hotelplan, vor allem dank dem guten technologischen Fundament. Auf der Reisebüro-Seite wird man als reiner Retailer keine Berechtigung mehr haben, den klassischen Wiederverkäufer, der eigentlich keinen zusätzlichen Value kreiert, braucht es nicht mehr. Aber was man heute in der Branche Microtouroperating nennt — und das machen ja die meisten einstigen Retailer und deshalb sind sie keine Retailer mehr — hat eine solide, profitable Zukunft.

«Ich hatte gehofft, dass die Migros Kuoni übernimmt»

Sie sind Ende 2015 aus dem Hotelplan-Verwaltungsrat ausgetreten. Wie blicken Sie auf Ihre Zeit bei Hotelplan zurück?

Nach meinen zwei Jahren bei SAir Technics ging ich zu Hotelplan aus einem Grund: ich hatte gehofft, dass die Migros Kuoni übernimmt oder eine gemeinsame Firma bildet, das war 2009. So hätte man Kuoni retten können und man hat auch geredet. Dann ging Christoph Zuber und ich wurde angfragt, den CEO-Posten zu übernehmen, was ich widerwillig für zwei Jahre tat — widerwillig deshalb, weil das nie mein Plan gewesen war. Ab 2012 war ich wieder im Verwaltungsrat und 2015 kam Kuoni  dann richtig auf dem Markt.  Aber die Migros wollte nur die Schweiz und hatte so gegen die Rewe keine Chance. Dann war’s für mich Zeit zu gehen.

Wie schauen Ihre Engagements heute aus?

Für Abercrombie & Kent wende ich etwa 60 Prozent meiner Zeit auf und bin da sehr oft unterwegs zwischen Chicago, New York, London und irgendwo. Geoffrey Kent ist Chairman, ich bin Executive Vice Chairman, führe die Firma und bereite sie zum Verkauf vor.

Abercrombie & Kent wird verkauft?

Eine Private Equity-Gesellschaft hält 60 Prozent, Geoffrey Kent 30 Prozent, ich und das Management je 5 Prozent. Im Leben sind drei Dinge sicher: Man muss sterben, man muss Steuern zahlen und Private-Equity-Investoren verkaufen ihre Portfoliogesellschaften. Immerhin war A&K 10 Jahre lang bei der Fortress Investment Group. Der Brand ist sehr etabliert, einer der besten Luxusbrands der Welt, insbesondere in Nordamerika, Australien und Grossbritannien und die Firma ist profitabel.

Und daneben?

Bei Kühne und Nagel bin ich noch im Board, bin Präsident und Minderheitsaktionär bei der Internationalen Schule für Touristik IST, mit Max Katz habe ich die Best of Switzerland Tours AG, präsidiere eine Medizinalstiftung und bin auch noch bei New Venturetech Vizepräsident im Verwaltungsrat... mehr als genug also.

Hans Lerch, den Touristen, gibt es den auch?

Ich kenne zwar sehr viele Flugplätze, Hotels und Büros auf der ganzen Welt. Doch bei einem Business Trip noch eine Stadtrundfahrt anzuhängen ist weniger mein Ding, alleine schon wegen den Kleidern, man reist ja mit so kleinem Koffer wie möglich. Aber doch, mal etwas anzuschauen wäre nicht schlecht (lacht).