Reiseanbieter

393 Stimmen gingen ein bei der Travelnews-Umfrage von dieser Woche, ob André Lüthis Angebotskritik berechtigt sei. Grafik: TN

«Unsere Branche ist nun mal nicht im biologischen Gemüseanbau tätig»

André Lüthis Kritik am Preisgebaren der Reiseveranstalter trifft sowohl auf Zustimmung wie auch auf Kritik, etwa von TPS-Co-Präsident Kurt Eberhard.

Es ist ein wunder Punkt im Reisebusiness: Ob Airlines, Hotels, Cruises oder Reiseveranstalter, Nebensaison-Daten und leere Plätze werden häufig mit überaus tiefen, teils unsinnigen Ab-Preisen und Lockvogel-Angeboten proklamiert. Führend dabei ist Ryanair mit 9-Pfund-Tarifen durch halb Europa. Aber auch Badeferien-Veranstalter bedienen sich dem aggressiven Pricing, um freie Plätze loszuwerden. So geschehen am letzten Wochenende: Hotelplan Suisse präsentierte in der Sonntagspresse ein 719-Franken-Ab-Preis nach Marsa Alam in Ägypten, samt Flug, Fünfsterne-Hotel und Halbpension.

Dieses Pricing hat Globetrotter-Chef André Lüthi auf die Palme gebracht, er kritisierte in Facebook- und Twitter-Posts die Ab-Preise heftig und stellte die Frage in den Raum: «Wollten wir nicht etwas lernen aus der Pandemie, ist das der Tourismus, den wir künftig wollen?» Wir haben darüber berichtet.

André Lüthi hat sich nach dem Erscheinen des Artikels bei Travelnews gemeldet und sein Unverständnis über die «boulevardeske» Titelsetzung ausgedrückt. Es sei ihm überhaupt nicht um eine Kritik an Hotelplan gegangen, sondern um eine generelle Kritik am Preisgebaren von Reiseveranstaltern. Er habe mit Hotelplan überhaupt kein Problem.

31 Prozent Zustimmung

Travelnews hat die Leserinnen und Leser um ihre Meinung gefragt, wie sie den Sachverhalt sehen. Das Ergebnis verdeutlicht, wie umstritten das Thema Tiefpreise ist. Total 393 Stimmen gingen ein.

31 Prozent unserer Leserinnen und Leser stimmen André Lüthi zu, er habe «absolut recht» mit seiner Kritik. 26 Prozent dagegen sehen «kein Problem» mit den tiefen Ab-Preisen. Weitere 26 Prozent finden, solche Ab-Preise seien «immer noch besser als halbleere Flieger und Hotels». Und 17 Prozent erachten solche Schaufenster-Angebote als «durchaus zulässig».

Tatsache ist: Tiefpreise in der Nebensaison und Lockvogel-Angebote gab es schon immer, auch in allen anderen Wirtschaftszweigen. Nur hat sich jetzt die Diskussion in der Tourismusindustrie, die eigentlich wegkommen wollte von Overtourism-Zuständen, deutlich verschärft.

Das sagt Kurt Eberhard

Der ehemalige Hotelplan-Suisse-CEO Kurt Eberhard, heute Co-Präsident von Travel Professionals Switzerland (TPS), hat die Diskussion aufgegriffen und diesen Beitrag dazu verfasst:

«Positionierung des eigenen Unternehmens auf Kosten der Konkurrenz? Oder doch ein gutgemeinter Gedankenanstoss zum sinnvolleren, wertbasierten Reisen? Vermutlich liegt die Absicht bei André Lüthi’s FB-Post irgendwo in der Mitte.

Eigentlich müsste er ja auch Antworten liefern, anstatt nur medienwirksam eine Frage im Echoraum der sozialen Medien zu stellen. Z.B. wieviel das angeprangerte Arrangement denn kosten müsste, um es als zeitgemäss und postpandemisch durchgehen zu lassen. Ist es das Doppelte oder gar das Vierfache? Nicht trivial, eine gute Antwort zu finden.

Flugplätze und Hotelbetten sind eine verderbliche Ware. Einmal unbelegt sind sie nachträglich nicht mehr zu verkaufen. Im konkreten Fall von Hotelplans Marsa-Alam-Angebot ist davon auszugehen, dass die Preise auf Flügen mit einer Charterkette basieren. Wenn nun mitten in der Kette ein Flugdatum schlecht läuft, kann man nicht einfach an diesem Datum das Flugzeug stehen lassen. Kunden, welche früher hingeflogen sind, wollen später auch zurückgeflogen werden. Die Preise werden für besagtes Datum folgerichtig gesenkt, die Elastizität der Nachfrage dadurch stimuliert und der Sitz auf dem Flug bleibt nicht ganz unbelegt und trägt, wenn auch reduziert, zum Gesamterfolg der Charterkette bei. Ein paar Kunden freuen sich über ein Schnäppchen und eine Woche im angeblichen Fünfsternhotel. So what?»

«Nicht alle wollen in die Veloferien.»

Eberhard weiter: «Lüthi weiss all das natürlich. Im Umkehrschluss ist seine Frage rhetorisch zu interpretieren und bei seinem Motiv für den FB-Post kommen doch wieder Zweifel auf. Nun ist es ja nicht so, dass bei Globetrotter alles, was verkauft wird, ökologisch sinnvoll und preis-/leistungsmässig stimmig ist. Unsere Branche ist nun mal nicht im biologischen Gemüseanbau tätig und nicht alle wollen in die Veloferien.

Der ‹richtige Preis› hat wenig mit dessen relativer Höhe, sondern mit dem Inhalt zu tun. Flugtarife nach Australien waren vor der Pandemie für unter tausend Franken zu haben. Das sind weit über dreissig Flugstunden hin und zurück. Auch wenn diese Tarife vielleicht im Moment nicht verfügbar sind, werden sie irgendwann wieder auftauchen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Globetrotter diese Angebote seiner Kundschaft in der Vergangenheit vorenthalten hat, noch in der Zukunft vorenthalten wird.

Ob Antarktisreise, Kilimandscharotrekking oder Badeferien in der DomRep, der Preis suggeriert mehr oder weniger Inhalt. Ob die Reise für zwanzigtausend Franken in die Antarktis effektiv sozial und nachhaltig ist, kann, wie beim Ägyptenarrangement, niemand wirklich sagen. Die philippinischen Angestellten auf den Schiffen werden dabei wohl ebenso wenig reich, wie der Hotelangestellte in Ägypten, aber immerhin können sie, wenn auch oft mehr schlecht als recht ihre Familien unterhalten.

Eine Billigreise nach Ägypten als nicht mehr zeitgemäss abzutun und zugleich Antarktisreisen zu promoten ist wie das sprichwörtliche «Wasser predigen und selbst Wein trinken». Die weniger Betuchten sollen zu Hause bleiben und die Reichen weiterhin Pinguine fotografieren und der Eisschmelze beiwohnen. Mit dieser Haltung habe ich persönlich Mühe, weil damit suggeriert wird, dass die einen die Guten und die anderen die Bösen sind.

Das will nicht heissen, dass unsere Branche sich nicht um Themen wie Nachhaltigkeit, Sozialverträglichkeit und ja auch marktgerechte Preise kümmern soll. Aber bitte in einer ehrlichen Diskussion und nicht auf Kosten der Konkurrenz!»

Komplexe Thematik

Die Diskussion, ob werberische Tiefpreise und Lockvogel-Angebote in Zeiten nachhaltiger Bemühungen noch angebracht sind, wird anhalten. André Lüthis Frust darüber, dass der Tourismus nach der Pandemie weiterhin gleich aussieht wie zuvor, ist verständlich.

Dass Lüthi mit seiner Argumentation auf Gegenwind stösst, ist ebenso plausibel. Eine Charterkette aufrechtzuerhalten, bedingt ein flexibles Pricing, wie Kurt Eberhard anführt.

André Lüthis Kritik verhallt dennoch nicht. Wer heute den dicken Rotstift ansetzt, ob Ryanair, Cruises oder Reiseveranstalter, sollte sich bewusst sein, das man sich in Zeiten verstärkter Nachhaltigkeitsdiskussionen und Overtourism-Überdruss auf dünnes Eis begibt. Unsinnige Schnäppchenpreise, die oft auch Mogelpackungen sind – meist kommen noch deutliche Zusatzkosten hinzu –, werden künftig bei Konsumentinnen und Konsumenten vermehrt auf Unverständnis stossen.

(GWA)