Reiseanbieter

Hatten an der Medienkonferenz von dieser Woche einige Zahlen zu erläutern: SRV-Präsident Martin Wittwer (stehend), SRV-Geschäftsführer Walter Kunz, Prof. Dr. Christian Laesser (Universität St. Gallen) und Olaf Nink (CEO Allianz Partners Schweiz). Bild: TN

Kommentar Diese drei Aussagen sind fraglich

Gregor Waser

Die neuen SRV- und Allianz-Marktstudien sind aufschlussreich und machen Hoffnung auf eine baldige Normalität in der Reisewelt. Aber einige der herausgefilterten Trends lassen sich auch anders lesen.

In diesem Jahr erwarten die Schweizer Reisebüros einen Umsatz von rund 75 Prozent im Vergleich zu 2019. Das ist sehr solide und erfreulich nach den zwei Geschäftsjahren zum Vergessen. Wenn die Fernreisen in der ersten Jahreshälfte zu einem erheblichen Teil nicht ausgefallen wären, könnte der 75-Prozent-Wert für das laufende Jahr noch höher liegen. Denn im Sommer lief es sehr gut, einige Veranstalter liegen im Sommergeschäft sogar über 2019. Das Reisebusiness läuft wieder, die Reiselust ist zurück.

Nun wieder mit mehrheitlich offenen Langstrecken-Reisezielen liegen die Erwartungen für 2023 höher. Bei der Reisebüro-Umfrage des SRV und der Universität St. Gallen, an der 297 Schweizer Reisebüros teilnahmen, kam eine sehr optimistische Prognose heraus. Diese Prognose und zwei weitere vermeintliche Entwicklungen stellen wir aber in Frage.

1. Hochgegriffene Umsatzprognose 2023

Die befragten Reisebüros gehen davon aus, 2023 ein Geschäftsvolumen von 85 bis 90 Prozent von 2019 zu erreichen. Das ist sehr ambitioniert, wohl auch ein bisschen blauäugig und dem Umfragezeitraum im Monat Juni geschuldet, als einige Vorzeichen noch nicht so deutlich erkennbar waren. Dass die 85 bis 90 Prozent sehr hoch gegriffen sind, räumt selbst Studienverfasser Prof. Dr. Christian Laesser ein: «Die steigende Inflation könnte der Reiselust einen Dämpfer versetzen. Denn diese wird die Kaufkraft der Leute schmälern.»

Ob Inflation, Kriegswirren, Energiekrise oder eine mögliche Rückkehr der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Einreisehürden: nach den zwei Krisenjahren planen nun die meisten Reiseunternehmen wieder mit einem deutlichen Personalausbau. Schliesslich hat die Branche in der Krise über 1000 Vollzeitstellen gestrichen. Jetzt fehlen die Leute aber, um die vielen Buchungen zu stemmen. «Selber schuld», heisst es nun da und dort. Klar, im Rückblick sind viele schlauer. Doch als im März 2020 die Reisewelt bis auf weiteres stillstand, galt es zu reagieren.

Dass der Arbeitsmarkt nun völlig ausgetrocknet ist und viele Reiseprofis vorerst anderweitig unterkamen, ist nun aber die neue Realität. Damit gilt es die prognostizierten 85 bis 90 Prozent zusätzlich in Frage zu stellen.

2. Kein weiterer Niedergang bei den Reisebüros

In den beiden sehr guten SRV- und Allianzstudien, die einen treffenden Einblick in das aktuelle Befinden der Reisebranche und das künftige Reiseverhalten geben, gibt es aber weitere Zahlen, die man so und so lesen kann.

Die Kurve jener Buchungen, die im Reisebüro erfolgen, fällt gemäss Allianz-Studie kontinuierlich. Gaben 2019 noch 26 Prozent der befragen Schweizerinnen und Schweizer an, ihre Ferien im Reisebüro zu buchen, fiel dieser Wert kontinuierlich auf 21, 20 und aktuell 19 Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil der Befragten, die Online-Kanäle bevorzugen, in den letzten drei Jahren von 21 auf 31 Prozent.

Bevor bei der offensichtlichen Leseart dieses Trends bei den Reisebüros Endzeitstimmung aufkommt, gilt es aber festzuhalten: viele Reisebüro haben ihre Online-Präsenz ausgebaut und generieren nicht mehr alle Buchungen offline, also stationär am Reisebüro-Desk, am Telefon oder via Email, sondern streichen selber Online-Buchungen ein.

Zudem ist das aktuelle Reisejahr 2022, auf das sich die neuen Werte beziehen, nach wie vor ein besonderes. Es erfolgen viele Europa-Reisen, die eher direkt oder online abgewickelt werden. Die Langstrecken-Buchungen, die Domäne der Reisebüros, liegen in diesem Jahr noch deutlich zurück. Wenn in der nächstjährigen Allianz-Studie der Reisebüro-Anteil wieder höher als 19 Prozent liegt, würde das nicht überraschen. Reisebüros konnten während der Pandemie zwar nur wenig Umsatz einstreichen, aber mit Goodwill und Hilfeleistungen bei der zum Teil auch jungen Kundschaft punkten – dieser Effekt wird nicht einfach verpuffen.

3. Reiseform «Workation» ist kein Rohrkrepierer

Und dann gab es noch eine weitere Zahl, die man unterschiedlich lesen kann. Gemäss der Allianz-Studie ist der neue Trend «Workation» gar keiner. Schweizerinnen und Schweizer wollten nichts wissen von der Kombination «Arbeit & Ferien».

Nun, die Frage lautete: «Werden Sie künftig vermehrt aus den Ferien im Ausland oder der Schweiz arbeiten?» Nö, sagen dabei 79 der Schweizerinnen und 71 Prozent der Schweizer. Daraus zu schliessen, dass der Workation-Hype bloss medial hochgekocht sei und nicht mehr als ein Rohrkrepierer, ist vorschnell. Schliesslich dürfte ein Grossteil der Befragten im eigenen Unternehmen gar keine Workation-Option ziehen können. Liest man die Erhebung umgekehrt, kann man sagen: 21 Prozent der Schweizerinnen und 29 Prozent der Schweizer gehen davon aus, künftig während den Ferien im Ausland oder im Zweitwohnsitz auch teilweise zu arbeiten. Das ist nicht Nichts, sondern eine Reiseform, die Fahrt aufnimmt, Beratung benötigt und durchaus auch für Reisebüro-Umsatz sorgen kann.