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Einwurf Nachhaltig reisen: Auch Reisebüros brauchen eine Linie
Vanessa BayNachhaltigkeit ist bekanntlich eine unbestrittene Forderung, insbesondere für uns in der Reisebranche – zumindest, bis sie ans eigene Portemonnaie (Reisende) oder ans Geschäftsmodell (Reisebüros/TOs) geht. Es ist ein moralinbehaftetes Thema; überall wird mit dem Mahnfinger gewedelt und schlechtes Gewissen allenthalben verbreitet. Im Endeffekt produziert eine bloss moralische Entrüstung jedoch keine Förderung von Nachhaltigkeit, sondern allzu oft genau das Gegenteil: «Après moi, le déluge!», sonst kann ich ja gleich den Laden dicht machen.
Das ist Quatsch. Ohne jemandem am Zeug rumflicken zu wollen, stelle ich hier einfach ein paar Überlegungen vor, die der einen oder dem anderen vielleicht Anregung geben können, den eigenen Standpunkt jenseits von einem solch fundamentalistischen Entweder-Oder zu bedenken.
Was wirklich wichtig ist: Eine Linie zu haben. Man muss wissen, was man tut und warum. Und was man nicht tut und warum nicht. Es geht um eine eigene Linie, zu der man ganz persönlich steht. Es müssen also keineswegs alle Reisebüros die gleiche Linie haben, aber alle müssten eine haben, die sie sich seriös (und nicht einfach gleichgültig) erarbeitet haben. Nicht nur die Vorgesetzten, alle Mitarbeitenden eines Reisebüros müssen die Linie kennen und dahinterstehen – sonst sind sie am falschen Platz.
Reisebüros sollen Nachhaltigskeits-Themen ansprechen
Bei dieser «Linien-Findung» ist es wichtig, Nachhaltigkeit nicht nur als ein eng ökologisches Kriterium zu sehen. Wenn alles nur danach bewertet würde, dann wären wir am besten gar nicht auf der Welt … Es gibt auch nicht-ökologische Aspekte, die zur Nachhaltigkeit zählen: politische, soziale, kulturelle, erzieherische und so weiter. Was bringt es, wenn jemand ökologisch vorbildlich alle Geschäftsreisen nur noch per Zug macht, aber deshalb seine Kinder kaum mehr sieht? Was nützt es, wenn jemand gar nie fliegt und in der Folge die Welt überhaupt nur noch mit Klein-Switzerland verwechselt? Und was hilft es, wenn ein Reisebüro niemandem mehr eine Kreuzfahrt verkauft, dafür aber drei Mitarbeitende entlassen muss?
Nachhaltigkeit bemisst sich nach einem Gesamtbild pro Kopf. Man sollte im Auge haben, wie jemand überhaupt lebt und sich unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten verhält. Für jemand, der einmal pro Jahr Badeferien in der Karibik macht und ansonsten beispielsweise autofrei lebt, sieht die Bilanz anders aus, als wenn jemand monatlich zum Shopping in eine Europäische Hauptstadt düst. Ziel der Beratung eines Reisebüros kann es dabei nur sein, auf solche Fragen selbst sensibilisiert zu sein und die Kunden dafür ebenso zu sensibilisieren. Man hat durchaus Einfluss darauf, wer letztlich was bucht – und für gute Beratung sind Kunden immer ansprechbar. Es ist nicht gesagt, dass einem Kunden klar ist, was dreimal Umsteigen unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten bedeutet und warum er besser den vielleicht hundert Franken teureren direkten Flug nehmen sollte.
Das letzte Wort bleibt faktisch beim Kunden, das ist klar. Aber das Reisebüro kann und soll so ein Thema dennoch ansprechen – selbst mit dem Risiko, dass der Kunde woanders hingeht. Und wer seine Beratung auf Grund einer klaren und reflektierten Linie aufbaut, kann selbstbewusster und überzeugter auftreten und in dem Spannungsfeld und seinen Dilemmata gezielter navigieren. Was wäre für jede Reiseberatung wünschenswerter?
Es geht um das «Wie» des Reisens
Es geht um Ausgestalten, nicht um Auslassen. Die Frage lautet nicht «Reisen oder nicht reisen?», sondern «Wie reisen?» Wir sollten nicht einer Verzichtspolitik das Wort reden, sondern einem besseren Bewusstsein bei dem, was man tut. Das betrifft natürlich schon die Tour Operator, die ihre Produkte so oder anders designen können. Es gibt viele sehr gute Beispiele dafür – und andere natürlich auch. Aber wir wollen hier nicht die ganze Verantwortung auf sie schieben. Ich spreche hier von Reisebüros, und die haben die erforderliche Professionalität, um ihre Kunden dabei zu beraten, eine unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten kluge Reise oder Ferien zu designen. Es wäre vermessen zu erwarten, dass alle Kunden bereits selbst jedes hierfür nötige Know-how mitbringen. Oder auch nur das Bedürfnis danach: Dieses kann aber durchaus wachsen, wenn man mit qualifizierter Beratung auf Besseres aufmerksam gemacht wird.
Im Grunde läuft meine Haltung auf die Forderung hinaus: Auch das Bemühen um Nachhaltigkeit muss nachhaltig sein. Wenn ich es in eine Analogie packen kann: Diäten nützen nichts, man muss die Ernährungsgewohnheiten ändern. Aber nichts mehr essen ist dabei keine gute Idee. Auch nicht, nie mehr Schokolade zu naschen. Aufs Mass kommt es an, und auf die Mischung. So freut es mich natürlich, wie sehr das Thema in den letzten Jahren an Bedeutung im Schweizer Reise-Verband (SRV) gewonnen hat. Ein spezielles Kränzchen muss hier dem Fachverantwortlichen Roland Schmid gewunden werden. Wenn jedoch der SRV seine GV in einem mehrtägigen Event abhält, für den 200 Menschen ins Emirat Ras al-Khaimah fliegen, so könnte nun manch einer kommen und alle Nachhaltigkeitsüberzeugungen des Verbands als frommes, aber leeres Geschwätz abtun. Nur: Wenn – der scheidende SRV-Präsident Max. E. Katz betonte das zu Recht – die Reisebranche nicht mehr reist, wohin kommen wir denn dann?
Dennoch kann man erwarten, dass unser Branchenverband für alle ein Vorbild ist, sich also auch eine Linie gibt und danach handelt. Sei es, dass die übernächste GV in der Schweiz stattfindet oder dass im kommenden Jahr für mindestens einen Reiseweg nach Sevilla der Zug genommen wird.
Niemand will hier das Kind mit dem Bade ausschütten. Aber wir alle – als Verband, als Reisebüros, als Geschäfts- und Privatreisende und natürlich auch ich als Vertreterin einer Kommunikationsagentur – sollten uns über unsere Linie klar sein und sie argumentativ überzeugend vertreten können. Keine Angst, für ein Reisebüro muss dies keine Masterarbeit werden. Aber sich die Zeit für Überlegungen, Auseinandersetzung, Gespräche und Ideen zu nehmen – und das Ganze am besten auch schriftlich festzuhalten – so viel Zeit muss sein. Früher oder später muss unsere Branche nachhaltig sein. Oder sie wird nicht mehr sein.