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Die Zeiten für die Reiseindustrie waren schon leichter. Trotzdem verliert Sonja Müller Lang, Inhaberin und Geschäftsführerin von Women Travel den Optimismus nicht, wie sie im Garten des Volkarthaus in Winterthur erzählt. Bild: NWI

«Die andere Variante wäre Verzweifeln gewesen»

Nina Wild

Sonja Müller Lang, Inhaberin und Geschäftsführerin von Women Travel, spricht im Travelnews-Interview über die Entstehung der Frauenreisen, die Bewältigung der Krise und wie sie es geschafft hat, den Mut nicht zu verlieren.

Es ist ein heisser Sommertag, als sich die Autorin aufmacht, um Sonja Müller Lang im Volkarthaus in Winterthur zu besuchen. In diesem 1905 erbauten Gebäude an der Turnerstrasse 1 unweit des Bahnhofs, befinden sich neben dem Radio Stadtfilter auch die Büroräumlichkeiten von Langs Reiseunternehmen Women Travel. Im Garten dieses geschichtsträchtigen Hauses lässt es sich gemütlich Kaffee trinken und reden, während einem der Wind um die Nase weht.

Frau Müller Lang, wie ist Women Travel überhaupt entstanden?

Sonja Müller Lang: Das war 1990 in der Zeit der Frauenbewegung. Es kam immer mehr die Frage auf, weshalb es beispielsweise bei der Stadtführung in Zürich nur über die Männer gesprochen wurde. Wieso gibt es keine Geschichten und Denkmäler von Frauen? Damals fanden auch Frauenstreiks statt, Frauen forderten Rechte und Gleichheit. Das weibliche Geschlecht wollte sichtbar werden. Das gelang. Mit der Zeit gab es Frauenrundgänge, Frauenhotels und Frauenbuchhandlungen, welche sich mit Themen rund um die Frau befassten – wofür es vorher wenig Bewusstsein gab.

Also haben Sie gedacht, dass nun auch die Zeit für Frauenreisen ist?

Ja, ich finde Reisen so etwas Tolles, ganz egal ob jemand lieber alleine oder in einer Gruppe unterwegs sein möchte. Unterwegs trifft man auf interessante Menschen, hat spannende Erlebnisse und manchmal kann es sogar sein, dass sich der Aufenthalt ungeplant verlängert, weil der Ort so schön ist. Das fand ich schon immer faszinierend. Zu dieser Zeit aber nahm ich den professionellen Tourismus eher als langweilig wahr. Die Zeit der Fernreisen begann erst, die Informationen über exotischen Destinationen waren nur spärlich vorhanden, es gab noch kein Internet. Unsere ersten Reiseprogramme habe ich auf einer Schreibmaschine geschrieben… Mit den Reisen «von Frauen für Frauen» wollte ich die Angebote erweitern die Reiseziele in intelligente Reiseprogramme packen.

Und weshalb beleuchten Sie auf ihren Rundreisen speziell den Alltag von Frauen?

Mich interessiert einfach wahnsinnig, was Frauen in den verschiedenen Ländern Tag ein und Tag aus tun. Als ich noch für einen Asien-Spezialisten arbeitete und im Malaysia war, sagte ich zu meiner Reiseleiterin: «Weisst du, es wäre viel spannender, wenn wir mal eine ganz andere Stadttour machen würden, wo du zeigst, wie du deine Einkäufe erledigst, kochst, wohnst und wie deine Ansichten über das Leben sind.» Sie war sofort von meiner Idee begeistert und zusammen haben wir die ersten Touren organisiert.

«Aktuell fragen wir uns beispielsweise auch, ob sich vielleicht Saudi-Arabien eignen würde?»

Das war vor 31 Jahren. Wie hat sich das Geschäft nach und nach entwickelt?

Spannend war, dass es meinen Kundinnen am Anfang nicht primär um die Destination ging, sondern um die Philosophie dahinter. Später als ich mir einen Kundinnen-Stamm aufbaute, stellte sich vermehrt die Frage, wohin die nächste Reise denn nun gehen soll. Also kamen immer weitere Reiseziele hinzu. Natürlich gibt es Länder, welche sich besser eignen, als andere. Aktuell fragen wir uns beispielsweise auch, ob sich vielleicht Saudi-Arabien eignen würde? Zentral bei unseren Angeboten ist, dass wir nicht nur Sehenswürdigkeiten abhaken sondern wirkliche Einblicke in das Leben vor Ort erhalten. Wir feiern Feste mit Einheimischen, besuchen Künstlerinnen, können den Frauen beim Kochen über die Schulter schauen und mitanpacken. Das wird von unseren Kundinnen auch sehr geschätzt.

Sie bieten Reisen nach Indien, in den Oman oder andere exotische Destinationen an. Vor Ort treffen ihre Gruppen unzählige Frauen mit spannenden Geschichten – wie kommen Sie an diese Persönlichkeiten?

Das hat natürlich viel mit Networking zu tun. Wenn ich an einer Messe neue Kontakte knüpfe, dann schaue ich mir die Möglichkeiten aus einem anderen Blickwinkel an. Es ist wichtig, dass ich diese Personen finde, welche innerhalb einer Destination noch etwas Spezielleres anbieten und meine Ideen umsetzen können. Oftmals heisst es dann, dass die Umsetzung der Women Travel-Philosophie unmöglich ist – oder aber jemand sagt: «Genau, das machen wir!» Wir haben glücklicherweise super Agenturen, mit welchen wir zusammenarbeiten und mit uns landes- sowie frauenspezifische Aktivitäten und Erlebnisse organisieren. Wer im Tourismus arbeitet ist stetig auf der Suche nach neuen und innovativen Erlebnissen. Und manchmal treffe ich auf jemanden, der oder die persönliche Kontakte hat. Dann wird eine Reise ganz besonders spannend.

Feminismus und Emanzipation sind in den letzten Jahren grosse Themen geworden. Spüren Sie das auch bei Ihren Kundinnen?

Ja, auf jeden Fall. Die Frauen haben sich sehr verändert in den letzten Jahrzehnten. Sie verdienen mehr, haben bessere Ausbildungen und sind selbstbewusster. Das ist natürlich eine sensationelle Entwicklung! Wir haben viele Kundinnen, welche unbedingt an exotische Ziele reisen möchten, ihr Mann hingegen nicht. Diese finden es toll, wenn gemeinsam in einer Frauengruppe gereist wird – und wir dürfen sie nachher jahrelang zu unseren Kundinnen zählen. So habe ich mir das übrigens auch nicht vorgestellt. Bei mir stand immer der Inhalt der Reisen im Fokus und mit der Zeit habe ich gemerkt, wie toll das Verreisen innerhalb einer Frauengruppe ist.

Ihr Kernbusiness sind also geführte Frauen-Gruppenreisen?

Es kommt ein wenig darauf an, wir haben auch viele Individualreisende. Der Pluspunkt mit den Gruppen ist aber, dass wir viel speziellere Aktivitäten organisieren können. Für eine Einzelperson lässt sich beispielsweise schwieriger ein Treffen mit einer isländischen Künstlerin organisieren, welche noch einen Apéro zaubert und anschliessend Abendessen kocht. Mit der Gruppe war dieses Erlebnis natürlich einfacher umzusetzen. Zahlenmässig kann ich aber nicht sagen, wie viele unserer Kundinnen individuell reisen und wie viele in der Gruppe.

Bis letztes Jahr im März haben Sie gemeinsam mit anderen Frauen ferne Länder erkundet. Und genau im 30. Jubiläumsjahr von Women Travel stellt Corona plötzlich die ganze Reisewelt auf den Kopf. Wie hat die Pandemie Ihr Geschäft beeinflusst?

Es war extrem. Der Anfang der Pandemie war geprägt von Rückholaktionen, das war ein 24-Stunden-Job. Ich war dann fest überzeugt, dass dieses Chaos bis im Herbst vorüber ist und sich alles normalisieren wird. Als die Grenzen geschlossen wurden, wurde uns immer mehr bewusst, dass es eine schlimmere Krise ist. Ich musste mich fragen, was ich jetzt mache und was die Situation für die Firma bedeutet. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir auch noch keine Härtefallhilfe. Aus finanzieller Sicht mussten wir schauen, wie und vor allem für wie lange wir über die Runden kommen. Mit den Mitarbeiterinnen haben wir ebenfalls die verschiedenen Optionen wie Kurz- oder Teilzeitarbeit angeschaut, um die Krise zu überstehen. Und dann galt es, die Zeit bis zur Normalisierung abzuwarten.

«Meine Freundinnen und ich haben uns zum Kaffee getroffen und Ideen ausgearbeitet, 95 Prozent davon waren unbrauchbar – aber aus den restlichen fünf Prozent sind tolle Projekte entstanden.»

Krise aussitzen war bei Ihnen aber nicht Programm. Sehr schnell haben Sie verschiedene Schweiz-Reisen in Ihrem Newsletter angepriesen.

Mir kam sofort der Gedanke, dass die Schweizer Hotellerie aufgrund der Situation auch leidet. Wieso also nicht Schweiz-Reisen anbieten? Bereits im ersten Lockdown reisten wir als einzige Passagiere im Zug über Auffahrt nach Meiringen. Interlaken habe ich noch nie so leer gesehen ohne die ausländischen Gäste. So haben die Ideen im Berner Oberland zu fruchten begonnen. Ich habe dann auch ein Yoga-Retreat gemacht, das ich auch für meine Kundinnen leicht angepasst anbieten wollte – und habe gleichzeitig den Schweizer Tourismus kennengelernt. Das ist ein komplett anderes Business als ich gekannt habe. Bis anhin war ich es mir beispielsweise nicht gewohnt, mit unseren Gruppen in einem Bed & Breakfast und noch dazu in einem Yoga-Retreat zu entspannen, in einem kleinen Dorf, wo nichts los ist. Das ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Und ich habe gemerkt, dass unsere Kundschaft auch auf die Schweiz anspricht. Daraus entstanden sind Trips mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten: Heilfasten, Genuss-Tage, Hexentouren, Kulturreisen, Kunst im Bergell und viele mehr.

Wie haben Sie es geschafft innert kurzer Zeit ein so grosses Schweiz-Reiseportfolio aus dem Boden zu stampfen und den Optimismus nicht zu verlieren?

Ich glaube, das ist einfach mein Naturell. Die andere Variante wäre Verzweifeln gewesen. Viele Leute aus meinem Umfeld haben mich gefragt, wie es mit unseren Reisen nun weiter geht. Darauf hatte ich erst keine Antwort. Meine Freundinnen und ich haben uns zum Kaffee getroffen und Ideen ausgearbeitet, 95 Prozent davon waren unbrauchbar – aber aus den restlichen fünf Prozent sind tolle Projekte entstanden. Denn was ich im Ausland anbieten kann, lässt sich – wenn auch nicht ganz gleich – ebenso hier in der Schweiz umsetzen.

«Die Leute wollen wieder überall hin. Das Problem ist aber nach wie vor, dass wir nicht wissen, ob die Reisen dann tatsächlich stattfinden können.»

Und wie haben Ihre Kundinnen auf das neue Programm reagiert?

Sehr gut, das Feedback war durchaus positiv. Kürzlich hatte ich eine Anfrage, ob es die Usbekistan-Reisen denn noch gäbe, da wir ja jetzt das Puschlav anbieten. Da musste ich schmunzeln, denn natürlich sind solche Erkundungstouren in ferne Länder nach wie vor buchbar.

Wie steht es denn aktuell generell um die Nachfrage?

Es zieht wieder an. Die Leute wollen wieder überall hin. Das Problem ist aber nach wie vor, dass wir nicht wissen, ob die Reisen dann tatsächlich stattfinden können. Aktuell nehmen wir die Buchungen entgegen mit einer kostenlosen Annullationsmöglichkeit bis 30 Tage vor Abreise. Ich hatte die Hoffnung, dass Reisen ab Herbst wieder uneingeschränkt möglich sind. Je näher die Jahreszeit kommt, bin ich aber doch nicht so ganz davon überzeugt. Es herrscht nach wie vor eine grosse Unsicherheit – sowohl bei den Reiseanbietern als auch bei den Reisenden selbst. Und als Veranstalterin bin ich in der Pflicht.

Für das kommende Jahr haben wir schon eine sehr gute Buchungslage, das stimmt uns optimistisch.