Reiseanbieter

Michael Mettler, von 2006 bis 2016 CEO von Baumeler Reisen, übernahm 2017 Helbling Reisen in Gossau SG und Teufen AR. Bild: HO

«Es kann nicht sein, dass wir so viel Arbeit gratis machen»

Gregor Waser

Michael Mettler, Inhaber und Geschäftsführer von Helbling Reisen in Gossau SG und Teufen AR, sagt im Interview, wie seine Reisebüros aus der Krise finden und dass der Schweizer Reise-Verband sich für das Honorarthema einsetzen sollte.

Herr Mettler, wie beurteilen Sie das laufende Jahr aus Sicht von Helbling Reisen?

Michael Mettler: Wir dachten anfangs Jahr, dass wir den Vorjahresumsatz, der sich noch auf 30 Prozent des 2019-Umsatzes bewegte, locker übertreffen könnten. Doch bald zeigte sich: es wird wohl schwieriger. Zwar ziehen jetzt die Buchungen auf den Sommer hin an, doch es wird hart, nur schon das tiefe Vorjahresniveau zu erreichen. Für uns entscheidend ist nun, dass der Bundesrat signalisiert hat, es geht Richtung Öffnung und dass die Impfungen viele Freiheiten ermöglichen. Beim Konsumenten wächst die Motivation und das wird uns Buchungen reinspülen. Der Mai war schon verhältnismässig gut und die ersten Juni-Tage zeigen auch eine deutliche Aufwärtstendenz.

Welche Hoffnungen haben Sie betreffend dem Langstreckengeschäft auf den kommenden Winter hin?

Ich glaube schon, dass da noch einiges gehen wird. Im Moment erfolgen Langstrecken-Buchungen ebenfalls noch sehr kurzfristig auf den Sommer hin. Viele Kunden haben die Planung im letzten Jahr schon einmal in Angriff genommen und wurden dann enttäuscht. Viele warten darum nun ab und schauen erst, was mit dem Impfzertifikat passiert und möglich ist. Buchungen für Fernreisen mit Abflugsdaten im Winter gibt es erst wenige.

Wie zeigt sich die personelle Situation bei Helbling Reisen? Wir haben gesehen, dass Sie neue Leute suchen.

Es war so, dass wir uns schon sehr früh in der Krise von zwei Mitarbeitenden trennten. Eine von ihnen hatte erst frisch angefangen und wir wussten, wenn wir sie mitziehen, kann sie uns in der Krise nur limitiert unterstützen – bei all den Rückholaktionen und Umbuchungen. Das Ziel war, mit einem um zwei Personen geschrumpften Team weiterzugehen. Dann gab es aber auch noch zwei Mitarbeiterinnen, die uns verliessen – aus mehreren Gründen. Es gibt einerseits wegen der Kurzarbeit gewisse Lohneinbussen, obwohl wir unseren Leuten offengelassen haben, nebenher sonst noch eine Tätigkeit aufzunehmen. Und dann spielte eine schon vor der Krise vorhandene Schaltermüdigkeit mit, die sich nun in der Krise bei all den Problemfällen akzentuierte. Die Teamverkleinerung gibt uns nun schon ziemliche Löcher, die wir wieder füllen möchten, um bereit zu sein, wenn es wieder losgeht. Alles in allem sind wir in Gossau und Teufen nun 15 Personen.

«Wenn wir hinter unsere Arbeit ein Preisschild hängen können, dann hat das viel mit Aufwertung unserer Branche und unserer Mitarbeitenden zu tun.»

Wie erleben Sie den Alltag? Um eine einzelne Buchung zu erzielen, gilt es wohl viel zu tun.

Ja, der Aufwand ist schon sehr gross, es gilt viele Telefonate zu führen etwa über Einreisebestimmungen oder über Fragen darüber, was passiert, wenn ich vor Ort positiv getestet werde. Travelnews hat über die monetäre Bedeutung der Reisebüro-Dienstleistung geschrieben, das ist bei uns ein dominierendes Thema. Da hatten wir schon mehrere Sitzungen dazu. Es kann nicht sein, dass wir wieder in denselben Hammer laufen, wenn sich eine ähnliche Situation wie im 2020 ergeben würde, dass wir sehr viel Arbeit gratis machen. Da muss etwas gehen.

In welche Richtung?

Die grosse Frage, die sich für mich stellt, ist: bleiben wir reine Vermittler? Hier spielt die Frage rein: welchen Wert hat unsere Reiseberatung? Und in diesem Punkt, das ist meine ganz persönliche Meinung, versteckt sich der SRV stets hinter der Wettbewerbskommission. Und das darf einfach nicht sein.

Wie sollte das Honorarthema denn ausschauen?

Es gibt zum Beispiel den Architektenverband. Hier verrechnen die Architekten nach SIA-Normen. Schauen Sie sich deren Webseite an: hier gibt es x-verschiedene Normen und das sind lediglich Vorschläge. Nach der Haltung: so sieht es der Verband und haltet euch vielleicht daran, bewegt euch innerhalb dieser Richtlinien. Wieso sollen wir das nicht auch können? Das sehe ich nicht ein. Wenn wir hinter unsere Arbeit ein Preisschild hängen können, dann hat das viel mit Aufwertung unserer Branche und unserer Mitarbeitenden zu tun. Das würde sich positiv auf das Mitarbeiter-Feeling übertragen. Der Wunsch und Wert, im Reisebüro arbeiten zu wollen, würde deutlich besser werden. Die Krise hat gezeigt, wir haben so viel gratis gearbeitet, das darf einfach nicht sein. Diese Arbeit, das ganze Umbuchen, dies hatte einen Mehrwert für den Konsumenten.

Wie käme aber eine Honoraraufstellung beim Kunden an?

Klar, für den Konsumenten muss es auch eine Umstellung geben. Deswegen sage ich: ein SRV müsste als Verband hinstehen und sagen, unsere Empfehlung ist, dass wir mit Honoraren arbeiten: zum Beispiel bis zur Offertstellung mit so und so viel Prozent, das wären geeignete Ansätze.

Wie handhaben Sie das Thema bei Helbling Reisen?

Wir haben bei uns damit begonnen. Der Fall der Annullation ist für uns als Wiederverkäufer schwierig, etwa wenn ein Touroperator bis 14 Tage vor Abreise gratis annullieren lässt. In einem solchen Fall haben wir die ganze Arbeit schon geleistet und dürften dann aber nichts verlangen. Wir haben nun begonnen, in unserer Offerte festzuhalten, wie viele Stunden wir für den Kunden bereits gearbeitet haben. Auf der Rechnung werden die total aufgewendeten Arbeitsstunden aufgelistet. Begleitend schreiben wir in unseren AGBs, dass wenn die Reise nicht stattfinden wird, dann erlauben wir uns, die angefallenen Stunden in Rechnung zu stellen. Es geht hier um ein grundlegendes Zeichen. Der Konsument sollte sich bewusst sein, dass wenn er in ein Reisebüro geht und über einen gewissen Grad an Informationen hinausgeht, dann kostet es.

Welchen Stundentarif wenden Sie denn an?

Wir haben 100 Franken angesetzt.

Da kommt eine spannende Diskussion auf die Reisebranche zu…

… die übrigens am 16. Juni in einem Mayday-Call ebenfalls erfolgt. Juristin Sophie Winkler wird da erklären, wie es ausschaut, wenn wir als Retailer ein reines Pauschalarrangement vermitteln und noch einen Honorar-Baustein dranhängen, ob wir dann im Vermittlerverhältnis verbleiben oder ob in einem solchen Fall schon das Veranstaltermodul zum Zug kommt. Entsprechend muss dann eben auch das Bundesgesetz für Pauschalreisen ausfallen. Diese Diskussionen müssen jetzt geführt werden, so dass wir dann bei einem neuen Gesetz auch das Richtige erreichen können.

«Plötzlich fanden auch die anfangs skeptischen Mitarbeitenden Spass an der neuen Arbeitsform.»

Welche weiteren Learnings haben Sie aus der Krise gezogen?

Die Digitalisierung ist ein wichtiger Punkt. Schon vor vier Jahren, als ich Helbling Reisen übernahm, rüsteten wir unsere IT um auf eine Terminalserver-Lösung, um von überall her auf die Daten zugreifen zu können. Doch nun mussten wir feststellen, ein Terminalserver ist zu langsam für die Video- und Bildübertragung. Mit der Krise wurde Remote zu arbeiten sehr wichtig. Entsprechend haben wir unsere IT nochmals umgestellt, wir haben nun alle einen Laptop, einen zweiten Bildschirm und eine zusätzliche Kamera, neu auch Voice-over-IP. Die Telefon-App erlaubt, den Anruf wo auch immer entgegenzunehmen, ob im Homeoffice oder in einem Café in Kapstadt. Weiter haben sich bei uns im Bereich Marketing die virtuellen Kundenabende etabliert. Wir schauen diese Möglichkeit als gute Ergänzung an. Gerade im Winter waren diese Sessions sehr gut nachgefragt.

Wieviele Kunden schauten jeweils zu?

Dies variiert je nach Destination. Den Seychellen-Abend haben 180 Leute verfolgt, wobei es da auch einen Wettbewerb gab (lacht). Sonst sind es so um die 100 Kunden, bei ausgefallenen Destinationen wie Ruanda, Uganda oder Westafrika auch mal weniger. Der interaktive Mix hat sich bewährt: wir beginnen mit einer Vorstellung, es folgt ein Vortrag, zwischendurch eine Frage-Antwort-Runde, ein zweiter Teil des Vortrags und eine Schlussrunde.

Gehen Sie teilweise auch gestärkt aus der Krise raus?

Es gab zweifellos viele Lerneffekte, die wir künftig nutzen können. Ein Beispiel: unsere Präsenz an der virtuellen Ferienmesse. Der Aufwand unsererseits für diese komplett neue Welt war riesig – obwohl wir keine Hinterwäldler sind, was digitale Medien anbelangt. Es gab Mitarbeitende, die zunächst nicht verstehen konnten, dass wir das auf uns nehmen und da dabei sein wollen und die ob der Technik gar Tränen hatten. Doch die Live-Erfahrung war dann sehr hilfreich – auf dem einen Bildschirm das Reisebüro-Tool, auf dem anderen Bildschirm die Ferienmesse oder eben den Kunden. Plötzlich fanden auch die anfangs skeptischen Mitarbeitenden Spass an der neuen Arbeitsform. Die Auseinandersetzung mit der digitalen Welt und unserer neuen IT brachte einen sehr guten Lerneffekt.

Haben Sie den Eindruck, dass auch der Kunde in den letzten eineinhalb Jahren Bildschirm-affiner geworden ist und offener für eine Online-Beratung?

Absolut. Wir sehen ja auch, wer an den virtuellen Abenden teilnimmt, darunter sind zahlreiche über 70-Jährige. Die haben ihr Tablet und schalten sich ein. Das ist nicht eine Ablösung sondern eine Ergänzung.

Dann kommt jetzt die virtuelle Beratung bei Ihnen?

Dieses Thema hat uns schon vor Corona beschäftigt. Wir werden künftig die Stammkunden- und Neukunden-Betreuung unterschiedlich handhaben. Bei einem neuen Kunden ist der klassische Schalter gefragt. Bei einem Stammkunden braucht es komplett flexible Öffnungszeiten und Mitarbeitende – in diese Richtung arbeiten wir. Bei der Stammkundenbetreuung kommt die ganze Videoberatung ergänzend hinzu. Hier erhalten unsere Mitarbeitenden eine grosse Flexibilität.

Ist eine Expansion von Helbling Reisen ein Thema?

Durchaus, wir schauen uns um. Die aktuelle Zeit bietet zweifellos Gelegenheiten, wenn nun der eine oder andere Reisebüro-Inhaber in der Corona-Krise sagt, ich habe es langsam gesehen. Neue Beteiligungen sind für uns denkbar.

Wie beurteilen Sie rückblickend die finanzielle Unterstützung, die Reisebüros erhalten haben?

Ende 2020, als das Wasser vielen bis zum Hals stand, ging es schon sehr langsam voran. Auch die Dossierweitergabe vom Bund zu den Kantonen deutete auf eine weitere Verzögerung hin und wir mussten nochmals schwitzen. Der Kanton St. Gallen nahm dann aber Tempo auf. Im Januar erhielten wir die Zusage für eine Härtefallunterstützung, dies war dann eine riesige Erleichterung, um etwa auch Mitarbeitende halten zu können – ohne die gibt es keinen Restart.

«Für mich ist es ganz zentral, dass der SRV-Präsident ein Politiker ist.»

Sie sitzen auch in der Arbeitsgruppe des SRV, in der es um die künftige Ausrichtung des Verbands geht. Welche Wünsche tragen Sie hier zusammen?

Primär geht es um die Frage, ob es in nicht an der Zeit ist, die Kräfte der drei Verbände SRV, TPA und STAR zu bündeln, gemeinsam für alle Reisebüros aufzutreten, um so auch eine gewisse Relevanz zu haben, die wir – wie wir nun gesehen haben – uns hart erarbeiten mussten. Künftig müssen wir bei allen herausfordernden Themen wie etwa dem Pauschalreisegesetz unseren Einfluss in der Politik geltend machen. Bis im August müssen wir unseren Vorschlag zuhanden des Vorstandes abgeben.

Jüngst haben wir mit Nationalratspräsident Andreas Aeby über eine mögliche SRV-Präsidentschaft gesprochen. Wäre das aus Ihrer Sicht eine valable Kandidatur?

Ich sage das nicht im Namen der Arbeitsgruppe, sondern aus der Position von Helbling Reisen: für mich ist es ganz zentral, dass der Präsident ein Politiker ist. Andreas Aeby ist eine Möglichkeit. Es gibt aber bestimmt noch andere valable Kandidaten – und vor allem Kandidatinnen. Wir haben im SRV-Vorstand extrem viel Branchen-Knowhow, auch bei den Mitgliedern, da können wir sehr gut einen Politiker hinzunehmen, der unser Fähnchen auch im Sturm aufrecht hält und unsere Interessen vertritt.

Mit welchem Gefühl schauen Sie über das Pandemieende hinaus? Wie wird sich die Schweizer Reisebranche künftig schlagen?

Dass es aufwärts geht, davon bin ich fest überzeugt, die Leute wollen wieder reisen. Viele Schweizer Reisebüros haben gute Überlebenschancen, viele haben ein gutes Kostenbewusstsein, gerade auch kleine Reisebüros. Die mittelgrossen dürften es eher schwieriger haben. Ich könnte mir vorstellen, dass es eine Konzentration zu eher kleineren und eher grösseren Konstrukten gibt. Entsprechend machen Konstrukte, wie sie Let’s go Tours mit Rolf Meier Reisen oder uns nun hat, auch diesbezüglich Sinn.

Diese Beteiligung von Let’s go Tours bei Helbling Reisen ... Ist der Deal eigentlich aus der Corona-Not heraus entstanden?

Die Beteiligung war bereits vor Corona angedacht. Innerhalb der TTS-Gruppe hatten wir schon bisher einen sehr guten Austausch, wenn auch auf freiwilliger, nicht verpflichtender Basis. Bei einer Kreuzbeteiligung spielen jetzt stärkere Verbindlichkeiten. Aus TO-Sicht geht’s dabei um eine gewisse Sicherung des Absatzkanals. Und bei uns ist der Wissenstransfer immer wichtiger. Die Helbling-Mitarbeitenden erhalten nun ein noch vertiefteres Wissen und noch spezifischere Produktkenntnisse für ihre Spezialgebiete, als sie in einem normalen Dienstleister-Verhältnis erhalten würden.