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Zeremonien und Prozessionen sind auch aus touristischer Sicht Grossveranstaltungen - wie wird das in Zukunft aussehen? Bild: Shirish Suwal

Kommentar Wie soll der klimafreundliche Massentourismus aussehen?

Jean-Claude Raemy

Nach den massiven Einbrüchen im globalen Tourismus wartet nun alles auf den Restart. Doch inzwischen haben ganz andere Anliegen auch an Gewicht gewonnen, welche eine Rückkehr in alte Muster verhindern sollen. Die Frage stellt sich, wie der Tourismus aussehen wird - und ob die aktuelle Tourismusbranche dafür bereit ist.

Der Kontrast zwischen 2019 und 2020 hätte nicht grösser sein können. Das grosse Wort im globalen Tourismus war vor zwei Jahren noch «Overtourism», bereits im Jahr darauf war der Tourismus Corona-bedingt weltweit um 40 Jahre zurückgeworfen worden und auch 2021 hat sich die Lage bislang nicht deutlich verbessert. Aber mit fortschreitender Impfung ist nun ein Ende des Tunnels in Sicht.

Nun machen Begriffe wie «revenge travel» die Runde - also der grosse Nachholbedarf. Ist die plötzliche «Explosion» der Nachfrage blosses Wunschdenken der Reisebranche? Und, noch viel wichtiger, ist diese überhaupt wünschenswert?

Die Realität wird sich irgendwo in der Mitte bewegen. Die Nachfrage wird schon bald wieder deutlich anziehen. Und das ist durchaus wünschenswert, für Reisevermittler, Airlines sowie für Millionen Unternehmer und Angestellte in den jeweiligen Zielgebieten. Der Tourismus ist der weltweit grösste Arbeitgeber; die Rückkehr des Tourismus wird von sehr vielen Menschen herbeigesehnt. Allerdings bietet Corona auch eine unglaubliche Chance: Die Zähler wurden quasi auf Null gestellt, und man kann nun «from scratch» den Tourismus neu aufstellen. Oder etwa doch nicht?

Klar ist, dass Corona an der Prämisse der Notwendigkeit, den Klimawandel zu bekämpfen, nichts verändert hat. Was neu ist, ist dass sich gewisse Bevölkerungsteile nun an die «ruhigere» Welt gewöhnt haben und nicht mehr in alte Muster zurückkehren wollen, aus Umweltschutz- wie auch aus ganz anderen Gründen. Besonders unter Beschuss sind hierbei die Kurzstreckenflüge gekommen: Sowohl Frankreich als auch Deutschland wollen diese begrenzen und stattdessen den Zug priorisieren. Vor Kurzem hat EU-Klimakommissar Frans Timmermans noch einen draufgelegt und erklärt, dass sich (EU-) Bürger mit einer Flugreise pro Jahr begnügen sollten. Darüber hätte man 2019 wohl vielerorts noch gelacht; jetzt, wo viele im letzten Jahr einmal oder keinmal geflogen sind und daran auch nicht zugrunde gingen, hat der Vorschlag an Kraft gewonnen. In der Schweiz wird derweil versucht, mittels CO2-Abgabe den Flugverkehr einzudämmen. Es gibt also Verbote oder Verteuerungen oder anderweitige Anreize (politische Bevorzugung von Zug gegenüber Flug), mittels denen die (Flug-) Reisewut eingedämmt werden soll.

Das Problem: Die Leute wollen reisen. Kurzfristig werden aber nicht alle auf den Zug umsteigen können, und wenn man sich die Strassensituation von 2019 vergegenwärtigt, graust es vor einer weiteren Verstopfung der grossen Strassenachsen zur Ferienzeit. Wohlbemerkt werden hier auch nicht alle Autofahrer mit Elektromobilen unterwegs sein, schon gar nicht auf internationalen Reisen. Die Versuche, das Fliegen einzudämmen, sind aber auch Einschränkungen der nachfragegetriebenen Bewegungsfreiheit und verkennen zudem die Bedürfnisse einer globalisierten Wirtschaft. Weniger Flüge ist, zumindest aus Sicht der Flugbranche, nicht die richtige Option - wenn, dann CO2-freie synthetische Kraftstoffe.

Denn: Man kann zwar Kurzstreckenflüge einschränken, nicht aber die Lust der Massen auf Mobilität. Es wird, wenngleich nicht sofort, zu Umwälzungen im Verkehr kommen, ob politisch gesteuert oder freiwillig. Transportunternehmen aus den Luftfahrt-, Schienen- und Strassensektoren sind schon seit Jahren daran, diese Zukunft zu gestalten.

Weshalb die Frage jetzt lautet: Sind auch die Reiseveranstalter hier dran? Oder wird das Feld einfach den «Transporteuren» überlassen, die grüner werden müssen? Es gibt bereits bei vielen Veranstaltern Konzepte für möglichst grünes Reisen, man bietet CO2-Kompensationen an oder lanciert E-Bike-Reisen. Das sind aber Mikro-Entwicklungen. Dazu haben infolge von Corona abgeschiedene Hotels und individuelle Angebote an Zuspruch gewonnen, Camping, Ferienwohnungen und Autoferien sind erste Gewinner der Krise. Die Frage ist doch aber: Was passiert, wenn sich wieder die Massen in Bewegung setzen?

Man wird das Gefühl nicht los, dass es noch kein generelles Konzept der Touristik für einen Restart gibt, der Massentourismus und Klimakompatibilität unter einen Hut bringt. Zunächst einmal will man, aus finanzieller Sicht verständlicherweise, die wirtschaftliche Horrorzeit der vergangenen Monate hinter sich lassen und möglichst Menschen befördern. Die Sensibilität vieler Kunden für Klima- bzw. Gesundheitsfragen mag gestiegen sein, vielen ist sie aber auch weiterhin egal. «Billig mal schnell weit weg» ist mit Corona nicht verschwunden. Muss man es wieder ermöglichen? Man sollte doch eher weniger auf Volumen ausgerichtete Reisemöglichkeiten anbieten, durchaus auch für viele Menschen, aber mit kanalisierten Verkehrsströmen und Kapazitäten, vernünftigen Preisen und möglichst CO2-Neutralität entlang der ganzen Wertschöpfungskette. Das wäre mal ein Signal an die Öffentlichkeit! Es sind in der Umweltfrage natürlich sehr viele Branchen gefordert - aber auf die vermeintliche «frivole» Touristik wird eben immer ein besonderes Augenmerk gelegt.

Um mit Politikern und einer zunehmend kritischen öffentlichen Meinung klarzukommen, ist eine neue Angebotsgestaltung in der Touristik nötig, und zwar weltweit, und am besten schon bald.