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«Wir erwarten auch in den kommenden 12 Monaten keine Öffnung»
Jean-Claude RaemyDie Corona-Krise hat den Schweizer Outgoing- wie auch den Incoming-Tourismus hart getroffen. Man kann aber auch festhalten: Es hat Hilfe in Form von Härtefallgeldern, à-fond-perdu-Krediten und Kurzarbeitsmassnahmen gegeben, und mittlerweile gibt es mit fortschreitender Impfquote auch wieder ein Licht am Ende des Tunnels. Anderswo fehlen ähnliche Perspektiven aber noch komplett. Man muss dafür nicht unbedingt den ohnehin hinkenden Vergleich mit einem Drittweltland bemühen. Travelnews hat nach «Down Under» geschaut, also nach Australien und Neuseeland: Die Tourismusbranche dort erhält fast keine Unterstützung vom Staat und wird weiterhin von einer kompletten Abschottungspolitik erstickt.
Schauen wir mal konkret Neuseeland an: Das oft mit der Schweiz verglichene Reiseziel am anderen Ende der Welt hat, Stand 11. Mai 2021, total 2644 Covid19-Fälle verzeichnet, und dabei 26 Tote. Was gerne als Erfolg ausgelegt wird, ist das Ergebnis einer Corona-Politik, die nicht auf Eindämmung aus ist, sondern auf komplette Eliminierung. Konkret also mit einer Abschottung des Landes - was angesichts der Tatsache, dass es eine Insel ist, relativ gut umgesetzt werden kann. Diese Abschottung hat es den Neuseeländern auch erlaubt, ihr Leben relativ frei fortzuführen: Maskenpflicht herrscht nur im ÖV und ausser den üblichen Empfehlungen wie Distancing und Händewaschen wird normal gelebt, mit grossen Events, offenen Restaurants etc. Auch das Reisen ins Ausland wäre erlaubt, und dies in die meisten Länder. Allerdings: Bei Rückkehr nach Neuseeland winkt eine Quarantäne. Und das nicht zuhause, sondern in einem «MIQ» («managed isolation & quarantine»), worin man sich auf eigene Kosten aufzuhalten hat. Da es für das 5-Millionen-Einwohner-Land aktuell nur gerade 6000 MIQs gibt, sind diese meist ausgebucht - mit zurückkehrenden Neuseeländern oder in Neuseeland wohnberechtigten sowie einigen wenigen Gastarbeitern. Touristen - selbst wenn sie dies in Kauf nähmen - dürfen nicht einreisen.
Oder genauer gesagt: Aktuell dürfen nur Touristen aus Australien einreisen, sowie in Kürze auch von den Cook Islands. Letztere haben noch gar keinen Corona-Fall verzeichnet, und durften trotzdem bislang nicht einreisen. Mit den Nachbarn aus Australien wird eine «Bubble» aufgezogen, was auch damit zu tun hat, dass ein Fünftel der Neuseeländer in Australien wohnt - jedoch monatelang keine Möglichkeit hatte, die Verwandtschaft in Neuseeland zu besuchen bzw. diese zu empfangen. Wer nun glaubt, dass mit den Australiern und Bewohnern einiger Südpazifikstaaten das Tourismusgeschäft in Gang kommt, irrt: In Neuseelands Incoming-Tourismus machen diese gerade mal 20 Prozent der Besucher aus.
Das Gros der Besucher kommt üblicherweise aus Nordamerika, Asien und Europa. Aktuell kommt von dort aber niemand. Gibt es wenigstens Hoffnung mit fortschreitender flächendeckender Covid-Impfung? Kaum. Neuseeland liegt bei der Anzahl geimpfter Personen weltweit auf Rang 116, aktuell hat gerade mal 1,8 Prozent der Bevölkerung bereits eine Impfung erhalten. Der Abschluss des Impfprogramms dürfte sich bis Mitte 2022 herauszögern. Und erst kürzlich hat die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern wieder versichert, dass es mit einer Grenzöffnung «noch eine Weile dauern wird».
«Es fehlt uns komplett an Perspektiven»
Was bedeutet das für die lokale Tourismusindustrie? Diese stellt sich auf eine lang anhaltende harte Zeit ein. Travelnews hat Claudio Kellenberger, den Schweizer Inhaber der DMC Maori Trails Ltd., telefonisch in Gisborne am anderen Ende der Welt erreicht. Das Städtchen an Neuseelands Ostküste rühmt sich damit, als erste grössere Ortschaft der Welt jeweils die Sonne an einem neuen Tag aufgehen zu sehen. Für Kellenberger geht, zumindest was das Geschäft anbetrifft, jedoch aktuell gar keine Sonne auf: «Es fehlt uns komplett an Perspektiven und die Regierung hat zwar immer wieder solche versprochen, jedoch die Regeln immer wieder kurzfristig verändert.»
Schlimm sei, dass der Fokus auf sich selber von der Bevölkerung getragen wird. Dazu Kellenberger: «Die neuseeländische Bevölkerung ist eigentlich zufrieden mit der Abschottung, und laut Umfragen wollen 70 Prozent der Bevölkerung die Grenzen bis auf Weiteres geschlossen halten. Da schlägt die Inselmentalität voll durch. Die Regierung wird sich nicht gegen diesen Willen stellen.» Dabei wird in Kauf genommen, dass die Tourismusindustrie weitgehend zerstört wird, aber nicht nur diese: Die Landwirtschaft und insbesondere die Weinproduktions-Industrie, welche stark von ausländischen Arbeitskräften abhängig ist, liegen auch am Boden. Ihr im Vergleich zum Tourismus starkes Lobbying sei bislang auch auf taube Ohren gestossen, und so rotten tonnenweise ungepflückte Trauben vor sich her.
Gibt es wenigstens Hilfe? Laut Kellenberger wurden 2020 mal 400 Millionen NZ-Dollar für die Tourismusindustrie beiseite gelegt. Dies war Geld für Kreditaufnahmen, welche kaum ein KMU vornehmen wollte. Eine weitere Hilfsfinanzierung von 200 Millionen Dollar sah derweil nur 14 Millionen in Cash vor; der Rest des Geldes wurde für Projekte für «mentale Gesundheit» oder «Buchhaltungshilfe» aufgebraucht, mit welchen man der Tourismusindustrie über die Runden helfen wollte. Das wenige Geld für Direkthilfen floss hauptsächlich in den Süden des Landes. Kellenberger erklärt wieso: «In den Grossregionen Auckland, Wellington oder Christchurch halten sich einige Tourismus-Anbieter mit einheimischen Ausflüglern über Wasser. Viele Regionen lebten aber fast ausschliesslich von ausländischen Touristen. Franz Josef beispielsweise erlebt nun einen Massen-Exodus, die Schulen und Feuerwehrstationen etc. schliessen. Dorthin fliesst nun Staatsgeld, es wird aber die Abwanderung nicht aufhalten können.»
Inzwischen gebe es zwar auch das STAPP (Strategic Tourism Asset Protection Program), mit welchem «relevante» Touristen-Sehenswürdigkeiten über Wasser gehalten werden - etwa Hobbiton, das Filmset von der «Herr der Ringe»-Trilogie. Die Kriterien, wer unter STAPP-Schutz kommt und wer nicht, sind derweil völlig unklar. In der Summe sieht es Kellenberger so, dass KMUs nichts erhalten, grössere Player indes schon. Dabei will Kellenberger gar nicht einfach Geld haben: «Wir fordern gar keinen Cash, sondern einen klaren Plan, eine Perspektive, auf welche wir hinarbeiten können.» Daraus wird vorerst nichts: Nachdem ein Lohnunterstützungs-Programm bereits im letzten Sommer auslief, hat die Tourismusbranche in Neuseeland bereits 40 Prozent aller Jobs verloren. Und so wird es weitergehen.
Dabei wäre die Nachfrage da: «Wir haben Anfragen aus aller Welt, welche mir bestimmt 60-80'000 Dollar pro Woche einbringen würden wenn umgesetzt, doch ich kann sie wegen den geschlossenen Grenzen gar nicht annehmen», sagt Kellenberger. Überdies besteht ein Kapazitätsproblem: Flogen vor Corona 34 Airlines nach Neuseeland, sind es momentan eigentlich nur nur noch drei (Air New Zealand, Qantas und Jetstar), dazu gibt es Fracht- oder Rückführungsflüge von Singapore (1x/Wo.) und Emirates (2x/Wo.). Bei der für Neuseeland kritischen Luftanbindung wieder frühere Levels zu erreichen, dürfte wohl lange Zeit in Anspruch nehmen.
Doch resignieren mag Kellenberger nicht: «Ich versuche nun, meine Firma fit zu machen, etwa im Bereich IT, und im ‹Winterschlaf› über die nächsten Monate zu bringen. Ich hoffe, dass Neuseeland bei der Impfung vorwärts macht und irgendwann zur Einsicht kommt, dass eine komplette Abschottung keine nachhaltige Strategie ist und diverse Wirtschaftszweige auf Jahre hinaus geschädigt werden.» Ihm bleibt vorerst die Hoffnung, dass es irgendwann mal 2022 vorsichtig losgeht und 2023 wieder «richtig» losgeht - wenn nicht, sieht es zappenduster aus. Konkret rechnet Kellenberger jedenfalls nicht damit, dass eine Grenzöffnung in den kommenden 12 Monaten stattfindet. Für diesen Case ist er gewappnet.
«Australiens Tourismus wird um 40 Jahre zurückgeworfen»
Nicht viel besser sieht die Lage in Australien aus - obwohl auch hier kaum Coronafälle verzeichnet wurden (per 12. Mai waren es insgesamt 29'947 Fälle mit 910 Verstorbenen, dies bei über 25 Millionen Einwohnern). Travelnews hat bei Sebastien Cros, dem französischen Gründer und Geschäftsführer der DMC Across Australia mit Sitz in Sydney, um eine Stellungnahme angefragt. Seine Stimmung ist natürlich am Tiefpunkt: Am selben Tag wurde das neue australische Regierungs-Budget verabschiedet. Dieses sieht zwar ein Investitionsprogramm vor, mittels welchem bis zu 250'000 Jobs generiert werden sollen - im selben Atemzug wurde aber gesagt, dass Grenzen wohl «bis Mitte 2022» geschlossen bleiben. Cros bemängelt nebst diesem Umstand auch die völlige Unklarheit, in welcher man die Inbound-Industrie in diesem Zusammenhang belässt: Ob es irgendeine Form von Support gibt, ist unklar.
«Australien hatte ein Hilfsprogramm für die Tourismusindustrie, mittels welcher wir uns über Wasser halten konnten», holt Cros aus, «doch seit März 2021 wurden wir komplett fallen gelassen. Australien setzt seither voll auf Domestic-Tourismus. Doch dieser Tourismus ist schwach, auf wenige Regionen konzentriert, und Australier buchen direkt, ohne auf DMCs zurückzugreifen. Für alle entlang der touristischen Wertschöpfungskette, welche bislang auf internationalen Tourismus ausgerichtet waren, wird es richtig eng.» Cros erwartet in naher Zukunft zahlreiche Firmenschliessungen - und geht davon aus, dass durch den Wegfall zahlloser DMCs und kleiner Anbieter Australien langfristig ein Problem haben wird, um wieder eine Rolle im internationalen Tourismusgeschäft zu spielen. «Australien wird touristisch gerade um 40 Jahre zurückgeworfen», sagt Cros, «es wird mehrere Jahre brauchen, um das internationale Tourismusgeschäft wieder aufzubauen - in dieser Zeit könnten uns zahlreiche andere, effizienter und ‹offener› operierende Ziele entscheiden abhängen.»
Auch Cros geht davon aus, dass aufgrund der übervorsichtigen Corona-Politik die Grenzen «frühestens im Juni 2022 oder gar erst im September 2022» öffnen werden. Also ein weiteres ganzes Jahr ohne ausländische Touristen, was viele touristische Unternehmen im Land, aber auch spezialisierte Anbieter im Ausland wohl nicht überleben werden. Cros hat für sich bereits entschieden: Auch er stellt sein Unternehmen nun in künstlichen «Winterschlaf» bis Januar 2022; das kann er sich dank über die letzten 20 Jahre aufgebaute Cash-Reserven und einer strikten Kostenkontrolle erlauben. Produkte werden für Mitte 2022 aufgelegt und er hofft, ab Anfang 2022 wieder erste Buchungen verzeichnen zu können, um dann ab der zweiten Hälfte 2022 wieder etwas Geschäft machen zu können.
«Es wird nicht einfach, aber ich bleibe motiviert, denn Australien ist ein fantastisches Reiseland», sagt Cros fast schon trotzig. Vorerst wird er das Land selber weiter bereisen und plant nun einen 8000 Kilometer langen Roadtrip von Adelaide via Perth und Broome nach Darwin. Darüber wird er auf seinem Facebook-Account berichten, «damit die Leute weiterhin von Australien träumen können.»
Der Weg wird nicht nur auf dieser Reise lang sein - der Weg zurück in ein vernünftiges Geschäften im Tourismus Down Under dürfte noch viel anstrengender werden.