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Live-Gespräch ohne Publikum, direkt in die virtuelle Plattform der «Land in Sicht» gesendet (v.l.): Jean-Claude Raemy (Travelnews, Moderator), Karim Twerenbold (VRP Twerenbold Reisen Gruppe), Dieter Zümpel (CEO DER Touristik Suisse) und Deniz Ugur (CEO Bentour Reisen). Bild: Screenshot Youtube

Eine Rückkehr auf die Flughöhe von 2019 bereits 2022 hält keiner für realistisch

Beim «Tourismus-Talk» Im Rahmen des Pre-Openings zur virtuellen Ferienmesse «Land in Sicht» stellten sich die drei Reiseveranstalter-Chefs Dieter Zümpel (DER Touristik), Deniz Ugur (Bentour) und Karim Twerenbold (Twerenbold Reisen Gruppe) den Fragen von Jean-Claude Raemy (Travelnews) zu den drängendsten Problemen der Krise und der Ausgestaltung des «new normal». Unter dem Strich wurden Entschlossenheit und Kampfgeist sichtbar, aber ohne rasche Beihilfe von Behörden wird es mit dem Neustart der Touristik schwierig.

«What’s the new normal – und wie kommen wir dorthin?»: Am Pre-Opening der virtuellen Ferienmesse Land in Sicht, versuchten Dieter Zümpel (CEO DER Touristik Suisse), Deniz Ugur (CEO Bentour Reisen) und Karim Twerenbold (VR-Präsident Twerenbold Reisen Gruppe) Antworten auf diese zentrale Frage zu finden. Das virtuelle Publikum ؘ– unter dem Strich waren es «live» rund 200 Personen ؘ– verfolgte die aus der Cafeteria des Twerenbold-Hauptsitzes in Baden gesendete und von Travelnews-Chefredaktor Jean-Claude Raemy moderierte Diskussion per Livestream.

Seit über einem Jahr viel Arbeit, aber kaum Umsatz, so sieht die «neue Realität» momentan wohl nicht nur bei DER Touristik Suisse aus, wo man laut CEO Dieter Zümpel im Vergleich zu einem Normaljahr rund 75% im Minus liegt. Auch Deniz Ugur von Bentour spricht von der «Mutter aller Krisen», auf welche man nun mit der x-ten Version einer Lösung reagiert habe – Flextarif mit PCR-Test inklusive. Doch lamentieren wolle man nicht.

Stattdessen drängen alle drei Protagonisten auf verlässliche Perspektiven. «Wir sind Unternehmer und brauchen Planbarkeit», so Karim Twerenbold. Gerne werde man sich an eine gemeinsame Stossrichtung anpassen. Eine zentrale Forderung dabei: die Abschaffung der Risikoländerliste des BAG. Twerenbold spürt eine gewisse Willkür, die Liste betreffend: «Man kann es nicht genau nachvollziehen.» Eine Flusskreuzfahrt etwa führe teils über zwei bis vier oder sogar sieben europäische Länder. Es müsse darum eine einheitliche Lösung geben, welche Reisen vernünftig planbar macht. Deniz Ugur ergänzt: «Die ganze Welt ist ein Risikogebiet. Jeder, der zurückkommt, muss getestet werden. Dafür sind wir bereit. Aber dann muss auch mal gut sein.» Wenn die Menschen geimpft und/oder negativ PCR-getestet seien, halte er eine Quarantäne gar für verfassungswidrig.

«Wenn die Menschen geimpft und/oder negativ PCR-getestet sind, halte ich Quarantänen für verfassungswidrig.»

Deniz Ugur, Bentour Reisen

Doch die Diskussionsteilnehmer können der Krise auch Positives abringen. «Es war zwar sehr schmerzhaft, Mitarbeitende entlassen zu müssen», sagt etwa Dieter Zümpel. Aber in den jetzigen Mitarbeiterstamm investiere man nun sehr viel, zum Beispiel im Bereich Kundenberatung per Video oder Social Media: «Damit investieren wir in den Erhalt unserer Substanz als Unternehmen», so Zümpel.

Von Investments in neue Technologien in Bussen und auf Schiffen berichtet auch Karim Twerenbold. «Neue Filter auf unseren Schiffen und in unseren Bussen filtern Viren, Pollen und Geruch», beschreibt er ein Beispiel, «wir können die Krise nutzen, um vieles sehr gut zu machen und Vertrauen bei den Kunden zu schaffen.»

Dies sieht auch Zümpel so. Gerade durch die Unsicherheit und die vielen Fragen zu Quarantäne, Tests und Reisemöglichkeiten für Geimpfte habe man enorm viel Kundenkontakt, auch wenn er sich nicht direkt in Buchungen ausdrücke. «Es gibt einen grossen Wunsch zu reisen und ein grosses Bedürfnis für Beratung. Und innert 24 Stunden kann sich wieder alles ändern», so der DER Touristik Suisse CEO.

Steigende Wertschätzung des Reisens

Und was wird sich in der Wahrnehmung der Menschen hinsichtlich dem Reisen per se ändern? Hier ist Deniz Ugur sich sicher: «Die Wertschätzung für das Reisen wird steigen.» Es sei immer selbstverständlich gewesen, dass man Ferien machen und am Strand sein könne. Jetzt sei dies nicht mehr so selbstverständlich. Ugur: «Der Tourismus war noch nie so bedeutsam, wie er es jetzt sein wird.» Eine Verteufelung des sogenannten Massentourismus lehnt der Türkeireise-Spezialist derweil ab. «Nicht jeder kann sich eine Individualreise für die ganze Familie in den Himalaya leisten», formuliert es Ugur etwas überspitzt. Zudem seien ein Flugzeug oder ein Hotel vor allem dann nachhaltig, wenn sie voll besetzt seien.

Auch die Bedeutung des Tourismus für die Wirtschaft betonten die Protagonisten im Talk mehrfach. Karim Twerenbold: «Der Tourismus macht weltweit 11% der Wirtschaftsleistung aus. Es hängt global unglaublich viel an dieser Branche. Man tendiert dazu, das zu vergessen.» Und Deniz Ugur unterstrich: «Die Outgoing-Branche schafft nicht nur Wertschöpfung im Ausland.» Die Infrastruktur der Schweiz bestehe auch aus Flughäfen und Airlines. Und von den Outgoing-Umsätzen mache der Fluganteil immerhin 30-40% aus. «Zudem trifft es die Beteiligten in den Destinationen viel härter als uns. Die Menschen im Ausland, die im Tourismus arbeiten, brauchen uns», so der Bentour-Chef. Dort gehe es um Millionen von Beschäftigten, sagte auch Zümpel. Und Twerenbold betonte: «Gerade die südeuropäischen Länder müssen den Tourismus haben.»

Ein Thema im Talk war auch die neu lancierte Initiative «Back in the Air». Diese europaweit auszurollen, sei natürlich wünschenswert, beantwortete Dieter Zümpel eine Frage aus dem Publikum. Was die Lobbyarbeit in Bern angehe, zeigten sich die Touristiker mit den Bemühungen der jüngsten Zeit recht zufrieden. «Hier wurde nun eine gute Basis gelegt. Es ist wichtig, dass wir da jetzt dranbleiben», so Twerenbold.

Wann kommt die «Normalität» zurück?

Eine Rückkehr auf die Flughöhe von 2019 bereits 2022 hält keiner der Unternehmenschefs für realistisch. Dieter Zümpel ist sich nicht sicher, ob Europa im Sommer 2021 wieder komplett bereisbar sein wird: «Wir werden auf jeden Fall immer ‹just in time› reagieren müssen, was zum Beispiel die Kapazitäten der Hotels oder die Flugpläne angeht. Der Wiederanlauf wird eine grosse Herausforderung.» Das Sommergeschäft 2021 werde keinesfalls auf dem Niveau eines normalen Jahres sein. «Zum Winter hin bin ich deutlich optimistischer, wenn die Impfkampagne gut verläuft», so Zümpel. Ein Niveau wie 2019 werde man wohl frühestens 2023 wieder erreichen.

«Wir werden immer wieder Rückschläge haben», meint auch Karim Twerenbold und lobte dabei die Mitarbeitenden. Diese müssten seit mehr als einem Jahr harte Zeiten durchstehen, teilweise mit Kurzarbeit von ein bis zwei Tagen in der Woche, «und sie sind trotzdem motiviert und wollen das Beste für die Kunden.»

Für die Talkteilnehmer stellen sich für die Zukunft viele entscheidende Fragen: Wie verändern sich die Buchungskanäle? Wer hat welchen Platz in der Leistungskette? Auch Nachhaltigkeit sei und bleibe ein grosses Thema, dem man sich stelle. «Spannend wird, ob der Kunde bereit ist, materiell und immateriell dafür zu bezahlen», sagte dazu Dieter Zümpel. Doch auch die Geschäftsmodelle würden sich radikal verändern, sagte er. Etwa was die Zusammenarbeit mit den Airlines, den Hoteliers, Vorauszahlungen, Charterkapazitäten, Stornierungen und das dringend zu aktualisierende Pauschalreisegesetz angehe.

Vielleicht werde es ein «back to normal» im Sinne von 2019 auch gar nicht mehr geben, so Zümpel.


Hier gibt's den Talk in voller Länge

(TN)