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Die Forderungen der Luftfahrt- und Reisebranche sind schon lange klar. Geht nun etwas oder wird es zum Sommergeschäft hin doch nicht reichen? Bild: AdobeStock

Kommentar Das müsste doch jetzt machbar sein!

Jean-Claude Raemy

Die Initiative «Back in the Air» fordert eine Rückkehr zur Reisefreiheit. So bemerkenswert der Schulterschluss der Reise-Wertschöpfungskette hinsichtlich medialem Durckaufbau gegenüber der Politik auch sein mag: Man kann bestenfalls hoffen, dass es bereits zum Sommergeschäft hin zur Umsetzung des Forderungskatalogs kommt.

In rund drei Monaten stehen die Sommerferien an. Und diese werden für zahlreiche Unternehmen entlang der ganzen touristischen Wertschöpfungskette zum Lackmus-Test: Nach den extrem schwachen Wintermonaten und dem bereits verkorksten Vorjahr muss etwas gehen, sprich, muss in einem gewissen Mass gereist werden können - eine weitere katastrophale Saison können sich zahllose Unternehmen schlicht nicht leisten.

Wir erinnern uns an den Sommer 2020: Der erste Lockdown lag hinter uns, es gab noch gewaltige Unsicherheiten, und doch herrschte etwas Tauwetter und viele Schweizerinnen und Schweizer konnten Sommerferien antreten. Natürlich wurden die Niveaus von 2019 bei Weitem nicht erreicht, aber die Stimmung in der Branche und in der Bevölkerung pendelte zwischen Ärger und Zuversicht. Inzwischen aber haben das Wirrwarr an ständig wechselnden Einreisebestimmungen, die Quarantänepflichten in unterschiedlichster Ausformulierung und zahlreiche Pannen und Hindernisse bei der Durchimpfung für eine Stimmung gesorgt, die zwischen Resignation und Hysterie schwankt. Bislang lief 2021 aus Sicht der Reisebranche noch schlechter als 2020.

Aber noch ist nicht aller Tage Abend! Unter dem Lead von Swiss und dem Flughafen Zürich sowie politischen und wirtschaftlichen Entitäten ist es zu einem Schulterschluss in noch nie dagewesener Breite in der Schweizer Reisewelt gekommen. Die Initiative «Back in the Air» hat nichts weniger als die Erlangung der Reisefreiheit zum Ziel - und mit 36 unterzeichnenden Firmen, Verbänden und Organisationen auch viel Gewicht. Niemand Geringeres als Bundespräsident Guy Parmelin nahm den Forderungskatalog im Rahmen einer medial effektiv breitgeschlagenen Kampagne entgegen. Airlines, Incoming- und Outgoing-Tourismus (in Form von SRV/STAR/TPA sowie den Grossveranstaltern), Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände alle geeint in der Sache: Das macht Mut!

Der Bundesrat wird sich nochmals der Frage stellen müssen, wie wichtig die Luftfahrt bzw. im weiteren Sinne die internationale Mobilität für die Gesamtwirtschaft ist - also nicht nur für den Tourismus per se, sondern für ganz viele weitere davon abhängige Branchen. Vor allem wird er einsehen müssen, dass 14 Monate nach Ausbruch der Pandemie endlich konstruktive Lösungen gefunden sein wollen, statt mit «flexiblen Verboten» Konfusion und Stillstand zu schaffen. Die Gastronomiebranche hat es vorgemacht: Laut sein, immer wieder dem Bundesrat wirkungsvoll auf die Pelle rücken, und somit zumindest Bewegung in der Sache halten. Ob die Terrassen-Freiheit der Gastrobranche genügt, steht auf einem anderen Papier - ebenso, ob «Back in the Air» rechtzeitig zum Sommer hin die gesteckten Ziele erreicht.

Aber der Ansatz ist klar: Es werden Modelle aufgezeigt, wie Mobilität ermöglicht wird, und dabei nicht auf grundlegende neue Sicherheits- bzw. Hygiene-Bedürfnisse verzichtet werden muss. Die Kernforderung lautet (immer noch) «Testing statt Quarantäne»: Wer geimpft, genesen oder negativ ist, soll frei reisen dürfen. Dies soll auch international nachweisbar sein. Es wird also nicht schnöde eine Öffnung hin zur alten Welt gefordert, sondern ein Massnahmenkatalog, welcher Planbarkeit und Verbindlichkeit ermöglicht. Das müsste doch inzwischen machbar sein!

Bekannter Forderungskatalog, knappe Zeit

Wir wissen aber auch: Auf dem Papier ist Machbarkeit viel schneller umgesetzt als im politischen Prozess, zumal im schweizerischen, welcher basisdemokratisch alle Seiten und deren Argumente einzubeziehen versucht. Für die Umsetzung der Forderungen von «Back in the Air» müsste es ja nichts weniger als eine komplette Abkehr von der mittels Risikoländerliste des BAG teils erforderlichen Quarantänepflicht geben, und die Ausarbeitung eines international standardisierten bzw. anerkannten Gesundheits- und Impfnachweises. Ersteres wird schon lange gefordert, an Zweiterem (Stichwort Impfpass) wird gewerkelt. Ob das alles bis zu den Sommerferien hin erledigt ist?

Zum Beispiel sind gerade heute morgen - entgegen ursprünglichen Beteuerungen - Terminvereinbarungen für die Impfgruppen G und F noch nicht möglich. Das wird sicherlich schnell ins Reine gebracht. Aber es zeigt, dass auch in der Schweiz nicht immer alles aalglatt und fristgerecht funktioniert, und die nervliche «Zündschnur» in der Bevölkerung ist inzwischen kurz. Gleich verhält es sich in der Reisebranche. Es kann nicht alles auf den letzten Drücker passieren, und die Nervosität steigt aktuell wieder merklich an. Wie eingangs gesagt: In den kommenden 2-3 Monaten muss massiv etwas passieren, damit im Sommer gereist werden kann. Kommt noch hinzu, dass Ende Sommer die Maximaldauer für die Kurzarbeitsentschädigung von 18 Monaten ausläuft. Hier wird erneuter Druck nötig sein, um eine aus finanzieller Sicht für viele Unternehmen wohl unausweichliche Verlängerung des Bezugsrechts zu erwirken.

Der Optimismus bei den grossen Reiseanbietern für ein einigermassen gutes Sommergeschäft (auf tiefem Niveau berechnet) überwiegt noch - aber verbindliche Versprechungen mag niemand machen, zumal man ja das Heft nicht in der eigenen Hand hat. Gefordert ist aber nicht nur die Schweizer Politik: Aus Sicht der Outgoing-Branche müssen auch die Regierungen in allen Reisezielen handeln. «Reisefreiheit» muss nämlich in zwei Richtungen funktionieren. Sie wird nur bedingt nützen, wenn Asien oder die USA auch im Sommer weiterhin dicht sind.  

Und so macht die Reisebranche weiterhin das, was sie seit Monaten tut: Sie bereitet sich auf die nächste Saison vor, optimiert ihre Prozesse, feilt an Hygiene- und Sicherheitsmassnahmen, und richtet Stossgebete zum Himmel und Forderungen an die Behörden, damit es endlich zumindest schrittweise losgehen möge. Und sie hat sich nun auch vereint. Dieses Zusammenwachsen hin zu einem branchenweiten «Lobby-Auftritt» - man kann ja noch nicht von einer langfristigen Lobby-Gruppierung sprechen - ist erfreulich, und gestern Abend schien tatsächlich so etwas wie ein Ruck durch die Branche zu gehen. Allerdings: Die Forderungen an die Politik sind nicht neu, lediglich der mediale Druck wurde erhöht. Ich selber würde mein Haus nicht darauf verwetten, dass das Problem schon per Sommerferien gelöst ist. Aber ich hoffe auch, dass ich unrecht habe.