Reiseanbieter

«Saudi-Arabien wird vorerst für Kulturinteressierte spannend sein»
Saudi-Arabien versucht aktuell unter grossem Einsatz, sich einen Platz auf der touristischen Landkarte zu erkämpfen. Seit vier Jahren gibt es diverse Lockerungen im Land, etwa gegenüber Frauen (siehe hier und hier) und seitdem ist auch klar, dass Touristen als neue Einnahmequelle angesehen werden. Einige touristische Megaprojekte wurden längst lanciert, doch der richtige Startschuss erfolgte erst 2019 mit der freien Vergabe von Touristenvisa. Zwar machte dann Corona die Bemühungen vorerst wieder zunichte und aktuell kann man nicht nach Saudi-Arabien reisen. Dennoch wurde vor Kurzem ein grosser «Trade Kickoff» durchgeführt (Travelnews berichtete) und seitdem werden wir mit einem steten Flow an PR aus Saudi-Arabien berieselt.
Statt Letztere ungefiltert weiterzugeben, wollten wir von zwei Spezialisten wissen, welche Chancen sie dem Tourismus in Saudi-Arabien wirklich einräumen und wie sich die Lage präsentiert.
Philippe Raselli, Geschäftsführer von Holiday Maker Tours, hat Saudi-Arabien schon länger im Fokus. Ist es denn bereits ein Geschäft? «Aktuell noch nicht wirklich, es kommen erst vereinzelte Anfragen», sagt Raselli, welcher schon seit langem eine Studienreise ins Land auflegen wollte, dieses Vorhaben jedoch immer wieder verschieben musste. Eine Gruppenreise ist für Februar 2022 in Vorbereitung, dafür sei das Interesse bereits gut vorhanden: «Das Land geniesst jetzt dank grosser PR-Bemühungen etwas grössere Aufmerksamkeit und natürlich gibt es Kunden, die einfach mal ‹als Erste› in dieses touristisch neue Land reisen wollen», sagt Raselli. Er rechnet mit einer Öffnung des Landes im Herbst oder Winter, das sei realistisch.
Ob sich danach gleich ein Boom einstellt? Immerhin ist Saudi-Arabien nicht sehr weit entfernt, in unserem Winter schön warm und eben noch relativ unbekannt. Raselli sieht es nuanciert: «Es gibt schon noch eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem Land und ich denke es wird ein paar Jahre brauchen, bevor Schweizer dort auch Badeferien machen. Unsere Angebotsgestaltung konzentriert sich derzeit mehr auf Rundreisen zu kulturellen Stätten. Da sehe ich grosses Potenzial, zumal der Erhalt von Visa inzwischen recht einfach ist.»
«Wir wollen den Menschen dort begegnen»
Ein Unternehmen, welches auch bereits Angebote in Saudi-Arabien ausgearbeitet hat, ist Background Tours. Der Kulturreiseveranstalter der Globetrotter Group sieht im Land ebenfalls beträchtliches Potenzial, wie Geschäftsführer Mischa Niederl ausführt: «Wir beschäftigen uns seit 2018 mit Saudi-Arabien und fanden damals auf der ITB auch eine passende DMC. Eine ursprünglich auf Februar 2021 angedachte Saudi-Arabien-Rundreise mussten wir dann aber aus bekannten Gründen auf den Februar 2022 verschieben. Mit dem deutschen Orientalisten Heiner Walter haben wir dafür als Reiseleiter einen absoluten Experten gewinnen können; er war der erste ausländische Gruppen-Reiseleiter in Saudi-Arabien überhaupt.» Die Reise dürfte laut Niederl rein von den bisherigen und noch erwarteten Anmeldungen problemlos zustandekommen - vorausgesetzt, das Land lässt sich dann überhaupt wieder bereisen.
«Die Nachfrage für dieses Land, im Kulturbereich, ist sehr erfreulich», so Niederl. Auch er geht davon aus, dass es wohl etwas länger gehen dürfte, bis auch Badeferien im Land gebucht werden. Niederl, der früher selber als Reiseleiter in Ägypten arbeitete, weiss natürlich, dass auch die gegenüberliegende Seite des Roten Meers toll ist und gar noch weniger berührt als Ägypten, aber aktuell brauche es eben noch Zeit, bis Saudi-Arabien sein bisheriges Image modernisieren kann. Das Land einfach verurteilen und nicht hinreisen sei aber keine Lösung: «Da müsste man ganz viele Reiseziele hinterfragen. Wir müssen auch nicht mit der Politik eines Landes einverstanden sein, um trotzdem dorthin zu reisen. Wir wollen den einheimischen Menschen begegnen und uns mit fremden Kulturen auseinandersetzen und diese verstehen. Ich sehe hierbei den Tourismus als wichtigen Treiber von Öffnungen gewisser Länder, wie eben nun Saudi-Arabien.»
Niederl rechnet damit, künftig etwa zwei Mal pro Jahr Rundreisen anbieten zu können; ob das Badeferien-Modell der Saudis aufgeht, ist für sein Unternehmen nicht relevant. Zudem muss der Flugverkehr noch weiter ausgebaut werden. Obwohl schon jetzt die Reise ins Land nicht kompliziert ist. Ab Genf geht es mit Saudia direkt nach Riad, ab Zürich kommt man mit Air France via Paris oder auch mit Lufthansa via Frankfurt nach Saudi-Arabien. Vielleicht ziehen weitere Airlines nach - die eventuell notwendigen Marketinggelder hat Saudi-Arabien.
Infrastruktur wächst
Das Land selber baut ja auch seine Infrastruktur aus: Das Unesco-geschützte Al Ula im Nordwesten des Landes, aktuell im Fokus zahlreicher Kulturreiseanbieter, hat soeben nach einem massiven Ausbau die Betriebsbewilligung als internationaler Flughafen erlangt. Ab sofort können dort bis zu 400'000 Passagiere pro Jahr empfangen werden. Die Modernisierung des Flughafens ist eines der Schlüsselelemente der Strategie der RCU (Royal Commission for Al Ula), Al Ula als globales Ziel für Kultur-, Geschichts- und Naturtourismus sowie als wichtiges Logistikzentrum für den Nordwesten Saudi-Arabiens zu etablieren.
Al Ula hat sich darüber hinaus soeben eine Modernisierung der Altstadt verpasst. Die Stadt, für welche unter anderem der frühere Kuoni-Mitarbeitende John Cardie nun aktiv die PR-Kelle schwingt, ist die aktuelle Speerspitze der touristischen Bemühungen des Landes. Eben, auch die Saudis setzen zunächst auf den im kulturellen Bereich. Damit wird Saudi-Arabien zunächst mal auch im touristischen Sinn primär ein Rivale etwa von Iran sein, und weniger von arabischen Badeferienzielen in der Nähe.