Reiseanbieter

Jörg Herrmann, CEO Interhome Group: «Mit Flexibilisierung wird momentan vor allem die Reputation von Firmen beflügelt, und weniger deren Geschäft.» Bild: zVg

«Wir müssen die Reisebranche neu denken»

Jean-Claude Raemy

Interhome wird eine Aktion mit flexiblen Stornierungsbedingungen nicht weiter verlängern - weil die Flexibilität des Unternehmens ausgenutzt wurde. CEO Jörg Herrmann erklärt im Interview mit Travelnews, weshalb das ganze Gefüge der Reisebranchen-Wertschöpfungskette angesichts der neuen Herausforderungen auf neue Beine gestellt werden sollte.

Zu den «Gewinnern» der Corona-Pandemie gehören im Tourismus - so hört man - die Anbieter von Ferienwohnungen. Liegt auf der Hand: In einer sauber gereinigten «eigenen Wohnung», zu der man in der Regel auch im eigenen Gefährt gelangt, sind die Ansteckungsrisiken minim. Hotelplan-Tochter Interhome, führender Ferienwohnungsvermittler der Schweiz, ist deswegen aber nicht einfach auf Rosen gebettet - und wird nun auch eine spezielle Corona-Initiative wieder einstellen. Jörg Herrmann, CEO der zum Hotelplan-Konzern gehörenden Interhome Group, schildert im Interview mit Travelnews, was es nun braucht, um wieder auf Vordermann zu kommen - und wieso er Interhome als besonders gut platziert dafür sieht.


Herr Herrmann, am 1. Januar führte Interhome temporär flexible Stornierungsbedingungen an - demnach waren Stornierungen bis 31 Tage vor Reisebeginn kostenfrei, danach bis zwei Tage vor Reiseantritt gab es 80% des Reisepreises zurück. Hat sich diese Initiative gelohnt?

Ich nehme es gleich vorweg: Wir lassen die Aktion, welche bis zum 31. März dauern sollte, an jenem Datum auch auslaufen. Eine Verlängerung ist kein Thema. Das hat einerseits damit zu tun, dass die Aktion im B2C-Vertrieb, also bei Endkunden, zu keiner merklichen Steigerung der Verkäufe geführt hat. Beim Vertrieb über Portale mit Filtern hinsichtlich der Reiseflexibilität konnten wir ein bisschen Bewegung verspüren, aber auch keinen Run.

Andererseits hat es aber auch damit zu tun, dass unsere Flexibilität zumindest teilweise ausgenutzt wurde. Will heissen: Es wurden von Endkunden teils doppelte oder dreifache Buchungen angelegt, als Optionen. Aufgrund der kostenlosen Annullierung ging ja niemand eine Verpflichtung, im Sinne eines finanziellen Risikos, ein. In den meisten Fällen wurde dann wieder annulliert. Für uns, aber auch für unsere Vertriebspartner, bedeutete das vor allem viel manuellen Aufwand, und dies ohne nennenswerten Ertrag. Gleichzeitig konnten wegen der vielen Terminblockierungen möglicherweise weitere Vermietungen nicht realisiert werden.

Aber alle Kunden, und damit auch der Reisevertrieb, schreien doch permanent nach dieser Flexibilisierung...

Das ist so. Die Kunden wollen quasi die Sicherheit mitbuchen. Dabei wird immer wieder ins Feld geführt, dass beispielsweise bei Booking.com teils bis am Tag vor Anreise kostenlos annulliert werden kann. Das ist schon so. Was weniger gesagt wird: Dass dadurch die Stornoquote von ursprünglich 10 Prozent inzwischen bei 60 Prozent angelangt ist. Das kann es ja auch nicht sein.

Trotzdem: Kommen Sie überhaupt darum herum, diese Flexibilität anzubieten, auch wenn sie sich aktuell nicht rechnet?

Ich denke, mit dem Stichwort «Flexibilisierung» wird momentan vor allem die Reputation von Firmen beflügelt, und weniger deren Geschäft. Für uns war schon früh klar: Ist eine Reise aufgrund externer Faktoren wie Einreisesperren nicht möglich, wird kostenlos annulliert. Weitere Absicherungen sind etwa moderne Reiseversicherungen oder Gutschein-Lösungen. Ich denke aber nicht, dass ausnahmslos nur der Veranstalter zu Flexibilität gezwungen sein sollte. Auch Kunden müssen eine gewisse Flexibilität an den Tag legen und können nicht einfach alles verlangen, was in ihrem Sinne ist.

Flexibilität hat eben auch Grenzen...

Schauen Sie, wir sind den Eigentümern der Objekte, welche wir vermieten, auch eine gewisse Verbindlichkeit schuldig. Es kann nicht immer alles kurzfristig geregelt werden. Darüber hinaus verursacht jede Stornierung Aufwand - eine Leistung, die auch honoriert sein muss. Es gibt keinen Grund dafür, solche nicht auf unvorhersehbaren Ereignissen fussenden Umbuchungen und Annullationen einfach kostenlos tragen zu müssen.

Verbindlichkeiten sind das eine, und dann gibt es noch das Problem der Zahlungsflüsse, also ob Vorkasse erhoben werden kann oder nicht. Wie stehen Sie zu diesen Themen?

Klar ist: Die Zusammenarbeit innerhalb der touristischen Wertschöpfungskette ist auf dem Prüfstand. Spätestens ab 2022 braucht es neue Modelle. Verstehen Sie mich also nicht falsch: Wir wollen nicht einfach zurück zum Status Quo von vor der Pandemie. Es ist klar, dass die Erwartungshaltung bei Kunden nun eine andere ist. Dafür braucht es adäquate Lösungen - aber auch nicht einfach Einzellösungen, welche kurzfristig Bedürfnisse befriedigen, aber nachhaltigen Geschäftsbetrieb verunmöglichen.

Sprich: Wir müssen die Branche neu denken. Und zwar alle, als Ganzes. Alle Bereiche sind gefordert, von den Airlines über die Reiseveranstalter bis hin zu uns als spezialisierten Anbietern. Wenn der Neustart nicht gelingt, bricht das bisherige Konstrukt in sich zusammen.

«Unsere Flexibilität wurde teils ausgenutzt»

Wie steht denn die Hotelplan Group, zu welcher Sie gehören, da?

Wir sind speziell aufgestellt, in unterschiedlichen Bereichen und Ländern, und mit einem starken Mutterhaus. Das heisst, wir stehen vergleichsweise solid da, aber trotzdem mit unterschiedlichsten Herausforderungen. Aber ich will nicht für die gesamte Hotelplan-Gruppe sprechen: Wir von der Interhome Group verkaufen ja nur eine Produktart - eine autarke Ferienform, für welche wir in der aktuellen Pandemie gute Chancen sehen. Oder anders gesagt: Wer Ferienwohnungen mit Eigenanreise verkauft, wird sich schneller von der Krise erholen als jener, der Flugreisen zu Massenzielen verkauft.

Gewiss. Aber es gibt doch eine generelle Nachfrageproblematik. Der Kunde hat doch wegen der Pandemie einen Vertrauensverlust ins Produkt «Reisen» erlitten. Ist es da nicht richtig, ihn mit besonderen Angeboten wieder zurückzuholen?

Natürlich muss man auf die Bedürfnisse der Kundschaft eingehen. Aber man muss auch unterscheiden: Wenn ich zum Arzt oder zum Steuerberater gehe, bezahle ich ebenfalls umstandslos für die Dienstleistung, auch wenn diese nicht «erfolgreich» endet. Der Punkt ist der: Man bezahlt eben die Dienstleistung. In der Reisebranche gibt es immer noch zu wenig Wertschätzung der Dienstleistung, und darüber hinaus eine ruinöse Konkurrenz, bei welcher man sich über Unterbietungen bei den Beratungsgebühren und Entgelten bekämpft.

Was in der ganzen Sache um die Annullierungen teils vergessen ging: Es gab nicht nur die ganze Arbeit, welche in keiner Weise honoriert wurde, sondern etwa auch noch Nebenkosten bei den ganzen Geldtransfers. Da ging richtig viel Geld verloren. Es wäre also schön, wenn sich die Reisebranche auf ein System einigen kann, bei welchem Preis, Marge und Beratungsgebühr sauber getrennt und kalkuliert offengelegt werden.

Aber das wird ja teils bereits gemacht. Und damit alleine wird das neue Bewusstsein beim Konsumenten, welches es jetzt zu nutzen gilt, nicht abgeholt.

Vielleicht wurde das bislang auch zu wenig konsequent probiert. Nehmen Sie mal Amazon Prime: Wie viele Personen haben diesen Service gewählt, nur um eine schnellere Bedienung zu erhalten? Was ich damit sagen will: Der Kunde ist durchaus bereit, für adäquate Dienstleistungen einen Aufpreis zu bezahlen. Dieses Bewusstsein muss nun auch in der Reisebranche Fuss fassen.

Aber der Vertrieb steht vor riesigen Herausforderungen: Ein Berater am Schalter weiss unmöglich so viel wie «das Internet» und kann auch nicht schneller buchen. Wo sehen Sie denn konkret die Dienstleistung?

Der Vertrieb muss kompetent beraten. Das ist das Wichtigste. Und wir als Veranstalter müssen dem Vertrieb geeignete Tools geben für die Beratung. Die Digitalisierung ersetzt nicht den stationären Vertrieb, sondern gibt diesem das Handwerkszeug für die effiziente Beratung. Man muss schnell und kompetent auf Wünsche eingehen können und ja natürlich idealerweise auch gute Kenntnis der Produkte haben. Dass man alles über alles weiss, wird bestimmt nicht gefordert, in keiner Branche. Aber man muss eben ein guter Verkäufer sein und dafür die richtigen Tools zur Verfügung haben.

«Als Reiseveranstalter müssen wir dem Vertrieb geeignete Tools geben für die Beratung.»

Gibt es ein Beispiel bei Interhome?

Wir bieten personalisierbare Kataloge und spezielle Beratungstools wie regionale Filter. So kann der Berater schnell geeignete Objekte finden, welche auch schnell durchbuchbar sind, und bereits davor eine spezielle Kundenansprache bieten.

Solche Tools können Sie im Prinzip auch gleich dem B2C-Kunden anbieten.

Zum einen: Ja, wir müssen und wollen auch den B2C-Vertrieb weiter penetrieren. Aber natürlich nicht nur diesen forcieren, man muss ja Omnichannel unterwegs sein. Was wir tun: Wir geben dem B2B-Vertrieb zusätzliche Tools, etwa bei den Bildern, was verbesserte Offerten und auch Beratungen ermöglicht. Es werden auch mehr Background- und Detail-Infos mitgeliefert, als Online allein sinnvoll abbildbar. Das macht dann den feinen Unterschied aus. Darüber hinaus ist es auch ganz wichtig, Preisparität zu bieten: Wir wollen den stationären Vertrieb auf keinen Fall im Direktvertrieb unterbieten.

Bleiben wir bei Ihrer Website: Was kann diese?

Wir optimieren diese laufend weiter. Wir sind inzwischen in über 30 Ländern präsent und bieten damit unsere Kataloge, Reisedokumente und eben auch Websites in 15 Sprachen an. Wir sind also auf das 2021 wohl noch stark innereuropäisch ausgerichtete Reisegeschäft bestens vorbereitet.

Was man sagen kann: Die «Looks», also Besuche auf der Website, sind zuletzt wieder klar angestiegen. Die Buchungen bleiben noch auf relativ tiefem Niveau, aber die «Conversion Rate» ist hoch. Wer also bei uns etwas sucht, wird in der Regel fündig und bucht dann auch. Das macht Mut.

Erwarten Sie einen Boom, wenn die Reisebeschränkungen fallen?

Auf jeden Fall, dann werden die Buchungen bei uns explodieren. Mit dem Vorteil, dass Ferienhäuser sofort verfügbar sind. Hotels brauchen für einen Restart in der Regel 2-3 Wochen Vorlaufzeit. Da haben wir also auch einen zeitlichen Vorteil.

Sehen Sie Ihr Unternehmen als Gewinner der Pandemie?

Das Wort «Gewinner» passt mir nicht. Wir sind keine Gewinner, aber wir sind sicher weniger stark betroffen als viele andere Reiseunternehmen. Um es offen zu sagen: Wir werden auch 2022 noch nicht zurück auf dem Niveau von 2019 sein, da mache ich mir keine Illusionen. Aber wir können zumindest vom Inlandtourismus in unseren Märkten zehren.

In den Nachbarländern der Schweiz harzt es derzeit aufgrund der strengen Restriktionen. Unser Schweiz-Geschäft war in diesem Winter dagegen das mit Abstand beste aller Zeiten, und wir rechnen mit weiterhin starken Zahlen innerhalb der Schweiz.