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Die verschärften Einreisemassnahmen ermöglichen zwar noch zwingende Reisen, sind aber für Ferienreisen keine praktikable Lösung. Bild: AdobeStock

Kommentar Die Reisebranche als Opferlamm der verkorksten Corona-Strategie

Jean-Claude Raemy

Alles deutet darauf hin, dass eine generelle Test- und Quarantänepflicht bei Ein-/Heimreise in die Schweiz kommt. Damit wird der ums Überleben ringenden Tourismusbranche nochmals dauerhaft der Wind aus Segeln genommen - um Bevölkerung und andere Wirtschaftszweige im Inland zu schützen. Das wäre aber nicht nötig.

Geht es nach den Schweizer Parteipräsidenten - auch jenen von so genannt «wirtschaftsfreundlichen Parteien» - sollte die Schweiz bei sämtlichen Einreisenden aus sämtlichen Ländern sowohl eine PCR- als auch eine Quarantänepflicht einführen. Der Bundesrat wird sich vermutlich diese Woche damit auseinandersetzen; ein Entscheid steht noch aus. Während die Schweizer Bevölkerung, nimmt man öffentliche Feedbacks als Massstab, mit der Idee offenbar weitgehend leben könnte, ist die Konsternation in der Reisebranche, Incoming wie auch Outgoing, immens. Zumal auch die EU Grenzschliessungen in Aussicht stellt und die Abschottungs-Entscheide auf Landes- oder Regionen-Ebene teils bereits umgesetzt werden.

Eine generelle Quarantänepflicht ungeachtet des Herkunftslandes, geltend auch für heimreisende Schweizer, würde die touristische Nachfrage mindestens für die Dauer einer solchen Regelung, vermutlich auf mehrere Monate hinaus, komplett abwürgen. Natürlich kann man argumentieren, dass es «Opfer braucht, um die Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten». In diesem Fall wäre die Tourismusbranche als Ganzes das Opfer.

ABER: Die Tourismusbranche ist nicht ein «Täter». Das Bundesamt für Gesundheit hielt bereits im vergangenen Jahr fest, dass die Haupt-Ansteckungsorte das familiäre Umfeld sowie der Arbeitsplatz sind, gefolgt von «spontanen Menschenansammlungen». Reisende als klar definierbare Erstauslöser einer Ansteckungskette waren in einem extrem niedrigen einstelligen Prozentbereich. Dass die Quarantänepflicht wirkungslos ist, weiss man seit Monaten. Wieso nun dieser Schrei nach genereller Quarantänepflicht?

Der Aufruf fusst wohl auf der Erkenntnis, dass es Briten waren, die das mutierte Virus während ihren Skiferien in die Schweiz eingeführt haben - hey, die Skipisten waren ja offen für alle. Also jetzt gleich Grenzen schliessen, sonst gibt es dann noch weitere Wellen mit dem britischen Virus, und dann noch mit dem südafrikanischen Virus, dem brasilianischen Virus und allen weiteren Mutationen. Der Denkfehler: Das britische Virus ist bereits hier (Stand gestern bereits 670 Fälle); die anderen Varianten wohl auch. Die Grenzen zu schliessen wird die Ausbreitung nicht mehr aufhalten. Was für Australien oder Thailand funktioniert hat, welche kaum Fälle haben, weil sie sich früh komplett abgeschottet haben - nota bene zu einem sehr hohen Preis für die (Tourismus-)Wirtschaft - funktioniert in unserem kleinen Binnenland nicht, dafür ist es zu spät.

Die Mutanten sind längst da

Dass die Schweizer jetzt eine Abschottungsstrategie nachmachen sollen, wird also die Situation nicht verbessern. Dazu opfert man eine ganze Branche für Symbolpolitik. Das zeigt lediglich, wie wenig es gelungen ist, die Bevölkerung zum konsequenten Einhalten der Corona-Regeln zu bewegen, und dass es nach wie vor keinen wirksamen Plan hinsichtlich von Testen und Impfen gibt. Die Impfung wird bestenfalls in ein paar Monaten passieren, beim Testing gibt es zwar immer bessere (= schnellere und günstigere) Möglichkeiten, jedoch sind die Kosten hoch und die Vorgaben sind von Land zu Land verschieden. Und man ist hinsichtlich Verfügbarkeiten niemals da, wo man sein sollte.

Potenzielle Reisende sind schlicht überfordert von der Unübersichtlichkeit der Regelungen von Unternehmen zu Unternehmen, von Kanton zu Kanton, von Land zu Land. Radikale Massnahmen sollen vielleicht eine gewisse Einfachheit vermitteln. Besser wäre eine sinnvolle internationale Langfrist-Strategie bezüglich Impfungen und Testen. Leider ist man davon meilenweit entfernt. Was allerdings radikale Massnahmen zeitigen wie jetzt in Belgien und den Niederlanden, wo generelle Reiseverbote verordnet wurden, zeigt sich gerade auf den dortigen Strassen, wo erste grössere Proteste laufen (wo sich die Leute dann wieder anstecken).

MERKE: Die Reisebranche kümmert sich stark um die Gesundheit der Reisenden. An Flughäfen, in Flugzeugen, in Schiffen, in Hotels, bis hin zum Reisebüro, überall wurden Hygienekonzepte erarbeitet und umgesetzt, es wurde streng auf Einhaltung der Massnahmen gepocht, weil das Geschäft eben fragil ist. Bei einer Reise ins Ausland verhalten sich die meisten Menschen sehr «Corona-konform», man nimmt es mit den Regelungen nicht so lasch und trifft auch selten Bekannte, die man spontan umarmt.

Im Heimatland ist man da deutlich entspannter. Nehmen wir das soeben abgeschlossene Weekend. Es liegt noch Schnee, die Sonne scheint, Wonne pur. Am Zürichsee haben sich, das belegen viele Bilder in sozialen Medien, zahllose Menschen aufgehalten, die meisten davon offenbar maskenfrei. Man ist ja im Freien. Volle Parkplätze überall dort wo man Wintersport betreiben kann. Dort treffen sich Bekannte, geben sich - «ist schon OK» - mal die Hand oder das Küsschen, es wird sozialisiert, Familiengruppen sind gemeinsam unterwegs, pfeif auf die Fünferregel. Unter der Woche: Im Migros hängen die Gesichtsmasken auf Halbmast unter der Nase, den Monteur zuhause muss man explizit bitten, eine Maske zu tragen, wenn er ins Haus tritt, die Kinder spielen in der Schule alle frei miteinander. Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) hielt letzte Woche nicht umsonst selber fest: «In Bern einkaufen zu gehen ist momentan wohl gefährlicher als auf die Malediven zu reisen.»

Testen, testen, testen

Der Ansatz mit den PCR-Tests ist nicht falsch. Eigentlich braucht es ein häufiges, konsequentes Testen. Warum aber muss jener, der aus einem Land mit deutlich tieferer Inzidenz als der Schweiz einreist, zum Test antraben und selbst bei einem negativen Test für mindestens fünf Tage in Quarantäne (wie es der Vorschlag vorsieht), wenn all die maskenfreien Sonntags-Ausflügler am Zürichsee am Montagmorgen test- und quarantänefrei zum Arbeitsplatz können?

Die Reisebranche wird mit zusätzlichem Testing klarkommen, gerade wenn dies sicheren, freien Personenverkehr ermöglicht. Die Tests müssen überall angeboten werden, mit klaren Richtlinien und vernünftigen Preisen. Aber eine Grenzschliessung, bei 320'000 Grenzgänger-Pendlern pro Tag ohnehin nicht sinnvoll umsetzbar, ist der falsche Ansatz. Das sieht offenbar auch Lukas Engelberger (Präsident der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren) so, der im «20 Minuten» folgendermassen zitiert wird: «Wir müssen aufpassen, dass wir auch gegenüber den Nachbarländern keine falschen Signale setzen und Einreisende aus Ländern mit tieferen Inzidenzen als in der Schweiz Schikanen aussetzen.»

Und dann liegt es auch letztlich an uns allen selber, die Situation in den Griff zu kriegen. Ein jeder sollte sich fragen, ob er/sie genug macht, um Infektionsketten zu unterbrechen. Wenn wirklich alle an einem Strick ziehen, bekommt man die Pandemie in den Griff. Wenn man die Situation weiter verharmlost und die Politik zu Hüst-und-Hott-Entscheidungen zwingt, wird es noch Jahre dauern, bis wir wieder ins langersehnte «old normal» zurückkehren können.