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Lissabon statt Rio de Janeiro: Incentive- und Gruppenreisen dürften sich in nächster Zeit mehrheitlich auf Europa-Strecken konzentrieren. Bild: Adobe Stock

«Europa- statt Fernziele rücken bei Incentives verstärkt in den Fokus»

Gregor Waser

Gruppen- und Incentive-Reisen gehören zu den meistbetroffenen Sparten der aktuellen Krise. Dominik Leonhardt, Head of MICExperts bei DER Touristik Suisse, sagt wie sich das MICE-Business künftig gestalten dürfte.

Dominik Leonhardt, Head of MICExperts.

Herr Leonhardt, wie dramatisch ist der Einbruch im MICE-Geschäft?

Dominik Leonhardt: Das MICE-Thema ist noch stärker betroffen als das Leisure-Geschäft. Zahlreiche Reisen wurden annulliert oder verschoben. Wir rechnen zwar damit, dass wir 2021 um 30 bis 40 Prozent besser abschneiden als im letzten Jahr, wenngleich wir vom Niveau des Jahres 2019 deutlich entfernt liegen. Gewisse Firmen haben Konzepte ausarbeiten lassen noch ohne fixes Timing – sozusagen auf Abruf. Für Firmen ist es derzeit essentiell, dass Incentive-Reisen nicht auch zur Belastung für die eingeladenen Gäste werden. Für dieses Jahr sind aber noch zahlreiche Projekte geplant – insbesondere im näheren Umkreis.

Was heisst das?

Etwa 90 Prozent unserer Projekte in diesem Jahr erfolgen in einem Radius von zwei, drei Stunden Reisezeit, um im Notfall auch schnell wieder zuhause zu sein. Lag früher unser Fokus auf Ferndestinationen, sind heute auch Vorarlberg, Schwarzwald und Umbrien für uns ein Thema.

Auch die Schweiz?

Wir hatten zunächst Bedenken, auch Schweiz-Reisen aufzulegen. Das hat sich mittlerweile geändert. Letzten Sommer haben wir alle Mitarbeitenden von DER Touristik Suisse angesprochen, uns Ideen aus ihrer Region vorzuschlagen. 120 Meldungen trafen ein, von denen wir etliche in unser Programm aufgenommen haben – ob für zwei-, drei- oder siebentägige Reisen. Wichtig war uns, Erlebnisse in der Schweiz abseits der bekannten Routen anzubieten, um die Teilnehmer eben auch überraschen zu können.

Welche Schweiz-Reisen liefen denn besonders gut?

Mit cotravel haben wir beim Thema Leserreisen Rücksprache mit den grossen Medienhäusern genommen und waren überrascht über die positiven Reaktionen. Ein Erfolg war etwa «Auf den Spuren von Zwingli», ausgeschrieben in der NZZ. Nicht immer ganz happy waren wir mit der Hospitality, da hinken einige Hotels noch nach. Und bereits eine Warteliste verzeichnen wir bei unserer Reise «Wetter der Schweiz» – zusammen mit dem Tages-Anzeiger und Wetterfachmann Thomas Bucheli. Unser Agent Sales hat die Schweiz-Tehmen auch schon dem Fremdvertrieb nahegelegt und mitgeteilt, dass solche Programme aufliegen. Bereits haben wir auch von Reisebüro-Seite positives Feedback erhalten.

«Das Verreisen in Gruppen wird nach der Covid-Geschichte einen grossen Nachholbedarf erleben.»

Vor 20 Jahren sah eine Incentive-Reise so aus: eine Firma reist mit den 100 besten Verkäufern für eine Woche nach Südafrika oder Phuket und lässt es sich gut gehen. Hat diese Formel überlebt?

Ob Banken, Auto- oder IT-Branche, 100 Teilnehmer sind es nicht bei jeder Reise. Die Firmen selektionieren stärken und bauen messbare Kriterien ein, um die richtigen Leute einzuladen. Die Reisegruppen sind deutlich kleiner geworden, dafür werden eher mal auch Partnerin und Partner mitgenommen, im Wissen, wie wichtig deren Unterstützung ist.

Wie steht es um die Durchführung von Kongressen?

Dieser Bereich ist nicht unsere Kernkompetenz. Wir haben aber einen Kunden, der im Herbst 2020 eine Mitarbeiter-Konferenz zu einem speziellen Thema durchführen wollte. Der Anlass musste aber abgesagt werden, weil der geplante Austragungsort in der Schweiz mit den neuen Massnahmen nicht 450 Leute beherbergen konnte. Daraus wurde dann ein Hybrid-Anlass geplant. Die Geschäftsleitung und die Speaker physisch an einem Ort, die Zuhörer– dreisprachig – zugeschaltet. Mit diesem Know-how haben wir dann auch das Jahresend-Meeting bei DER Touristik durchgeführt, mit Präsentationen und zum Schluss mit einem Cocktail-Kurs für einen Anticorona-Drink. Die Zutaten erhielten die Teilnehmer zuvor. Nun basiert auch der digitale Reisekompass von DER Touristik Suisse vom 26. bis 28. Januar 2021 auf einem ähnlichen Konzept. Und so werden wir auch künftig Hybrid-Anlässe ins Auge fassen.

Wie wird die MICE-Welt in der Post-Corona-Ära ausschauen?

Das Verreisen in Gruppen wird nach der Covid-Geschichte einen grossen Nachholbedarf erleben. Wenn ein CEO mit den zehn besten Verkäufern unterwegs ist, kriegt er einen wesentlich besseren Input, als wenn er nur mit dem Vertriebschef zusammensitzt. Menschen wollen emotional belohnt werden, da ist das Erleben etwas sehr zentrales. Veränderungen wird es geben in Richtung massgeschneiderter Produkte und Dienstleistungen – statt dem herkömmlichen Griff zum Katalog.

Für drei Tage zum Spass nach Hongkong, wird es nicht mehr geben – höchstens in Kombination mit einem für die Firma begleitenden Business-Event. Dass auf Incentive-Reisen ein halber oder ganzer Tag für geschäftliche Angelegenheiten eingebaut wird, dies sahen wir schon vor Corona. Sicher wird auch die Regionalität noch wichiger, der Zugriff auf regionale Produkte. Dies hat auch mit dem Fussabdruck zu tun, den eine Firma verstärkt aufzeigen muss. Und auch die Distanzen werden kürzer – Europa- statt Fernziele rücken künftig verstärkt in den Fokus.