Reiseanbieter

Pleiten, Pech und Positives

Jahresrückblick, 2. Teil – Reiseanbieter: Für praktisch alle Reiseanbieter war 2020 ein «annus horribilis». Die Nerven lagen teils blank, viele Arbeitsplätze gingen verloren, die Unsicherheit hält an. Per Ende Jahr bleibt die Anzahl Firmenkonkurse aber überschaubar - nicht zuletzt dank einem Zusammenrücken der Reisebranche und viel Innovationsgeist.

Das Jahr 2020 begann eigentlich optimistisch. Diverse Reiseanbieter waren noch beschäftigt mit der 2019 erfolgten Pleite von Thomas Cook. Andere präsentierten zum Jahresbeginn wie üblich Zahlen: Hotelplan etwa gab trotz Minus bei Umsatz und Pax einen stabilen Gewinn für das Vorjahr bekannt, auch die Globetrotter Group berichtete über einen Umsatzrückgang und bei DER Touristik Suisse freute man sich erstmals über schwarze Zahlen. Es gab auch gewichtige Personalmeldungen: Martin Wittwer, CEO von TUI Suisse, gab nach 20 Jahren die Führung ab; sein Nachfolger wurde kurz darauf bekanntgegeben. Clare Walker gab die Führung von Ozeania Reisen ab. Kurt Zürcher übergab ab März bei Let's go an Marcel Gehring. Letztere drei Beispiele waren für die Abtretenden gutes Timing.

Denn schon früh zeichnete sich das Corona-Problem ab. Am 24. Januar berichtete Travelnews erstmals darüber. Zuerst hielten wir es für ein Incoming-Problem, dann griff es auf ganz Asien über und wurde von Asien-Spezialisten zunächst beschwichtigt, bevor das Virus nach Europa kam und wir den Ernst der Lage erkannten, der spätestens Anfang März mit der kurzfristigen Absage der ITB und kurz darauf dem landesweiten Lockdown definitiv im Bewusstsein aller angelangt war. Schon früh fuhren die Reiseveranstalter Betrieb und Buchungen herunter, die Regeln hinsichtlich Stornierungen mussten überarbeitet werden, und bald schon ging es los mit der Kurzarbeit. Reisebüros mussten im Rahmen des Lockdowns ihre Türen schliessen.

Als man die Dimension der Krise zu erkennen begann - und dass diese das Geschäft auf lange Zeit hinaus massiv beeinflussen würde - richtete sich der Fokus bald auf die Politik. Wer einen Lockdown verhängt, muss auch helfen, so die Grundhaltung. Die Hilfe begann zu kommen, etwa in Form der zinslosen Covid-Kredite und der Verlängerung der Kurzarbeits-Regelung. Dagegen fühlten sich Kleinunternehmer schon früh diskriminiert. Auch wurden erste Forderungen laut, wie etwa jene des Schweizer Reise-Verbands (SRV) wegen der Rückzahlungspflicht von Kundengeldern. Die Unsicherheit stieg ins Unermessliche - es folgten erste rechtliche Einschätzungen, etwa von Anwalt Rolf Metz, der eine spezielle SRV-Helpline zeitweise bediente, oder von Rechtsexpertin Sophie Winkler und Ombudsman Franco Muff. Während Travelnews im Lockdown-Monat zahlreiche Interviews mit betroffenen Firmenchefs über deren Situation publizierte, erhöhte sich der Druck im Dampfkochtopf der Reisebranchen-Gemüter: Vermutet wurde eine Bevorzugung der Incoming-Branche, und auch die schnell geleistete Hilfe des Bundes zugunsten der Swiss - welche Rückforderungen lange mit Gutscheinen abspies - stiess auf Kritik.  

Die Kritik richtet sich vermehrt nach innen

Im April überschlugen sich die Ereignisse dermassen, dass Travelnews nur noch mit gesammelten Kurznachrichten - wie beispielsweise hier - den Informations-Überblick bieten konnte. Parallel dazu wurden immer mehr Forderungen medial gestellt und Durchhalteparolen formuliert; wir boten beispielsweise Plattformen für SRV-Vorstandsmitglieder wie Stéphane Jayet oder Natalie Dové, aber auch vielen anderen wie beispielsweise Yvonne Walser Georgy vom Reisebüros Tödi oder Martin Reber von Schär Reisen Bern. Derweil geriet der SRV langsam selber ins Kreuzfeuer der Kritik - zunächst von Hotelplan wegen den Kundenrückzahlungen, später auch immer öfter und immer lauter in Sozialen Medien, wo dem SRV zu wenig Einsatz, zu wenig Erfolg, zu wenig Agilität und Gehör auf dem politischen Parkett vorgeworfen wurde. So sehr, dass André Lüthi, Ressortleiter Politik beim SRV, schon Ende April bat, statt Jammern doch nun zusammenzustehen.

Als nach der Sondersession des Parlaments die Resultate aus Sicht vieler Branchenteilnehmer ungenügend blieben, obwohl sich einige Politiker explizit für die Interessen der Outgoing-Reisebranche einsetzten, formierten sich erstmals «Selbsthilfegruppen» - sowohl in geschlossenen Gruppen auf sozialen Medien als dann auch Ende Mai hochoffiziell die Bewegung «Aktion Mayday». Diese, zunächst vom SRV als «Dorn im Fuss» wahrgenommen, schaffte es, zahlreiche Reisebüros zu mobilisieren und mittels regelmässigen, Online übertragenen Branchen-Calls auch wertvolle Orientierungshilfe zu leisten. Der SRV, der inzwischen - auch das ein Novum - mit den anderen Branchen-Verbänden STAR und TPA eine «Taskforce Reisebranche» ins Leben gerufen hatte, erhöhte den Takt der Aktivitäten und insbesondere das Lobbying in Bern. Zu jenem Zeitpunkt war klar: Die Reisebranche steht mit dem Rücken an der Wand. Das machte auch TTS-Präsident Kurt Eberhard klar, der begann, für neue Kooperationsformen und einen Dachverband zu weibeln.

Der SRV entschied, die Mitgliederbeiträge zu halbieren und die Ausland-GV vorsorglich abzusagen. Danach kam es zu einigen hochkarätigen Treffen in Bern - auch mit Bundesräten, mit Nationalräten, mit dem Seco, es wurde später gar das Lobbying-Schwergewicht Furrerhugi für PR-Arbeit engagiert. Doch in der Branche brodelte es weiter, es entstanden weitere «Basisgruppen», die sich später der Aktion Mayday anschlossen. André Lüthi fühlte sich abermals genötigt, medial zum Gespräch unter den einzelnen Gruppierungen aufzurufen. Zum grossen Eklat kam es dann letztlich nicht - der SRV agierte im Vorfeld seiner Generalversammlung doch geschickt, konnte in Sachen Wahlen eine elegante Lösung finden und generell diverse Anliegen berücksichtigen, ohne überhastet alles auf den Kopf zu stellen. Die Aktion Mayday hat jetzt mit Birgit Sleegers eine (weitere) Vertreterin im Vorstand des SRV, der Frauenanteil dort ist mit der zusätzlichen Wahl von Jacqueline Ulrich jetzt grösser. Derweil existiert eine Arbeitsgruppe, welche das weitere Vorgehen und neue Initiativen beim SRV diskutieren wird.

Kurze Morgenröte und erste Pleiten - aber auch Neugründungen

Im Juni gab es zwischenzeitlich einen Silberstreifen am Horizont: Die Grenzen zu den meisten europäischen Ländern gingen am 15. Juni wieder auf, die Reisetätigkeit ging zumindest auf kleiner Flamme wieder los. Leider war die Freude von kurzer Dauer - Travelnews hatte schon im Mai von «zerbrechlichem Glück» gesprochen - denn das Bundesamt für Gesundheit publizierte anfangs Juli erstmals eine seitdem periodisch erscheinende «Risikoländer-Liste», worauf Länder zu finden waren, deren Besuch nach der Heimreise eine zehntägige Quarantänepflicht mit sich zog - in den meisten Fällen kam dies einem Reiseverbot gleich. Dagegen regte sich rasch Widerstand, doch die Liste gibt es immer noch, auch wenn schon früh klar war, dass diese praktisch wirkungslos ist. Ab Ende August begannen zudem die Corona-Zahlen innerhalb der Schweiz dermassen zu explodieren, dass einzelne Länder wie Grossbritannien oder Dänemark schon bald keine Schweizer mehr bei sich haben wollten, also die Schweizer nun auf den Risikoländerlisten im Ausland aufzutauchen begann, was sich ebenfalls negativ auf die Nachfrage auswirkte.

Auch aus der Reisebranche kamen trotz der vermeintlichen Morgenröte nur negative Zeichen. In den Juni fallen die grossen Abbau-Meldungen. Den Auftakt mit der Kommunikation der Abbaupläne machte Hotelplan, gefolgt von Globetrotter und Knecht Reisen; im Juli kommunizierten dann auch TUI Suisse und FTI (für die FTI Schweiz erst später) und im August folgte noch DER Touristik Suisse. Eine bis dato beispiellose Redimensionierung der Reiseveranstalter in der Schweiz.

Am 20. August dann ein weiterer Schock: Mit STA Travel ging ein erster grösserer Reiseanbieter (weltweit) Pleite. Für die Mitarbeitenden schlimm genug (für sie kam das offizielle Aus erst einen Monat später), wobei auch die Art und Weise der Geschäftsaufgabe und der Mangel an Informationen für viel Gesprächsstoff sorgten. Der Ausstieg der Diethelm Keller Group aus dem Reisegeschäft hatten dann auch Konsequenzen für Globetrotter, Explorer und Diethelm Travel. Die STA-Pleite blieb aber, mal abgesehen von der Pleite der Reisecenter Plus AG, die einzige grössere Pleite, welche den Garantiefonds der Schweizer Reisebranche umtrieb. Dieser hat sich mit diesen Fällen abzukämpfen und möchte nun endlich eine klare und moderne Gesetzgebung im Umgang mit Pauschalreisen und Kundengeldabsicherungen sehen, wie Garantiefonds-Chef Marco Amos bei Travelnews festhielt.

Anderswo blieb die Situation angespannt - etwa bei der zuvor kerngesunden Travel Worldwide. Mancherorts kam es zu Inhaberwechseln, etwa bei Belpmoos Reisen oder auch bei Reisebüros, die sich unter die Fittiche von Hotelplan oder von DER Touristik Suisse begaben. Bei Knecht Reisen dagegen gab es eine neue Führungsstruktur - und den Abgang diverser Manager. Globetrotter und Team Reisen spannten derweil zusammen.

Es gab aber auch Neugründungen in dieser schwierigen Zeit - so etwa die Travelzone AG des frühren Knecht- und Hotelplan-Managers Kenny Prevost. Der frühere TUI-Regionalleiter Daniel Camenzind eröffnete den Golfreisespezialisten Infinity Golf. Ein länderübergreifender Autoreisen-Anbieter mit Hauptsitz in Glattbrugg entstand im Februar mit der Traveleague. Es gibt nun auch einen spezialisierten E-Bike-Reiseanbieter, ein Gemeinschaftsprodukt von Gössi Carreisen, car-tours.ch und dem TCS. Thomas Cook versucht sich inzwischen als OTA. Andere gründeten Hilfsorganisationen oder setzten auf neue Ertragsstandbeine, um über die Runden zu kommen.

Letzteres war richtig erfreulich: Travelnews konnte zahlreiche Artikel über Reisebüros mit neuartigen Geschäftsideen publizieren. Da waren Teppiche, Eventlokal-Vermietung, Reisemessen, Steuererklärungs-Ausfüllhilfe, Schuh- oder Fischverkauf. Oder auch Airtrack-Matten-Verkäufe, Zürich-Rundgänge, begleitete Spaziergänge zum Rheinfall oder temporäre Mithilfe bei Covid-Stationen. Oder der Verkauf von Genuss-Boxen mit Spezialitäten aus Zielländern. Oder gar neuartige Gesichts-Masken nach einer Idee eines Reisebüro-Inhabers! Oder auch das eigene Fernweh-Bier. Ach ja, und dann gab es noch die Hotelplan-Mitarbeitenden, die bei der Konzernschwester Galaxus Temporärstellen antreten konnten. Nichts scheint unmöglich!

Wo steht man?

Im Spätherbst war der Fokus vor allem wieder auf der Politik. Angesichts der rabenschwarzen Aussichten für 2021, der Kundengeldrückzahlungspflicht und dem anhaltenden Chaos bei Reisebestimmungen ersuchte die Reisebranche um einen Sonderstatus - und wurde dann in Bern auch tatsächlich als Härtefall definiert. Doch die Ausarbeitung der Härtefallhilfe war wieder ein grosser Akt - mit dem Resultat der Herbstsession des Parlaments war nur die Hälfte der Branche zufrieden, und viele Details wurden erst in der Wintersession geklärt. Bereits zuvor bestand die Erkenntnis, dass man primär bei den Kantonen ansaugen muss, und dort die Regelung bislang erst bei 9 Kantonen klar ist, aber immerhin der Bund nun zusätzliche Hilfe gesprochen hat.

Manche Reisebüros werden weiterhin auf zusätzliche Standbeine setzen müssen. Immerhin lassen sich nun die Büros auch ins Ausland verlegen - Home Office und mobile Beratung lassen grüssen. Die Reiseunternehmen und die Verbände werden weiterhin Druck auf die Politik machen müssen. Der SRV wird das eine oder andere bei sich überdenken. Es wird sicherlich noch zu weiteren Pleiten und Übernahmen kommen, hoffentlich möglichst wenige, weil doch eine Branche vielfältig sein soll. Und die grossen Ferienmessen zu Jahresbeginn werden nicht stattfinden, sogar die ITB nur virtuell.

Wo steht man also? Vor einem unsicheren 2021, für welches es Hoffnung, Durchhaltewillen und vorsichtige Zuversicht gibt. Doch die sich stets überschlagenden Ereignisse haben vorsichtig, um nicht zu sagen mürbe, gemacht. Vor wenigen Tagen hat der Bundesrat wieder dazu aufgerufen, auf nicht notwendige Auslandreisen zu verzichten. Neue Corona-Stränge tauchen auf und schaffen Chaos. Das kommende Jahr wird für die Reiseanbieter wohl oder übel wieder ein «rough ride». Und trotz allem gilt: Kopf Hoch!


Jahresrückblick 2020:

(JCR)