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Den Blick auf die Herausforderungen 2021 gerichtet: Der SRV-Vorstand in seiner aktuellen Version, mit (hinten v.l.) Roger Geissberger, Tim Bachmann und Philipp von Czapiewski; (Mitte v.l.) Birgit Sleegers, Walter Kunz (SRV-Geschäftsführer), Max E. Katz (Präsident), Olivier Emch und Stéphane Jayet; (vorne v.l.) Natalie Dové, Dieter Zümpel, Jacqueline Ulrich und André Lüthi. Bild: SRV

Kommentar Der SRV muss jetzt das nächste Kapitel schreiben

Die Kritik am Reiseverband war in diesem Jahr teils unüberhorbar, im Rahmen der GV war sie indes nicht zu vernehmen. Der Verband hat vieles richtig gemacht und sich auch Kritikpunkte zu Herzen genommen. Die Weichen für eine erweiterte Ausrichtung 2021 sind gestellt.

Die Geschichte der diesjährigen Generalversammlung des Schweizer Reise-Verbands (SRV) ist schnell erzählt. Alle Traktanden wurden angenommen, alle Vorstandskandidaten gewählt. Dass es bei einigen von diesen die eine oder andere Nein-Stimme gab, ist bestenfalls eine Fussnote, ein anonymer Protest einiger Unzufriedenen, welcher auf den Ausgang der Wahlen keinen Einfluss hatte. Was zurückbleibt, ist das Fehlen jeglicher Kontroverse sowie die erstaunlich tiefe Stimmenanzahl (insgesamt 90 abgegebene Stimmen), welche sich im Rahmen der Vorjahre bewegte, als man physisch vor Ort zu sein hatte, dabei meistens im Ausland. Wo sind die Stimmen all jener geblieben, die sonst nicht an ein «GV-Reisli» mitkommen mögen? Im Prinzip gibt es 270 Stimmberechtigte im SRV; es hat also gerade mal ein Drittel abgestimmt bzw. gewählt. Ist es Gleichgültigkeit oder ist diese «Silent Majority» grundsätzlich zufrieden mit dem SRV? Das lässt sich kaum herausfinden. Ebenso sind die Motive jener Personen unbekannt, welche überraschende Nein-Voten abgaben. Dass die Vertreter der «Grossen» das eine oder andere Protest-Nein verzeichnen, war von vornherein klar; TUI-Suisse-Chef Philipp von Czapiewski hatte wegen Corona zudem kaum Gelegenheit, sich seit seinem Amtsantritt in diesem Frühjahr in der Branche persönlich bekannt zu machen. Er wurde aber dennoch problemlos gewählt, es kam nicht zu einer Kontroverse wie damals bei der knappen Wahl von Stefan Leser (Kuoni) an der SRV-GV 2007 in Kairo. Und wer ist wohl die einzige Person, welche das langjährige Vorstandsmitglied Olivier Emch abwählen wollte? Ach, ist ja egal.

Klar, die Umstände der diesjährigen virtuellen GV waren nicht gerade förderlich für eine offene Debatte. Siehe da, früher wurde doch immer wieder moniert, die SRV-GV sei ein «Cüpli-Anlass» - dieses Jahr wurde der direkte Austausch untereinander schmerzlicher denn je vermisst. Denn Diskussionsbedarf herrscht in vielerlei Hinsicht. Positiv ist, dass sich der SRV-Vorstand dessen bewusst ist und klare Bereitschaft signalisiert hat, eine grundlegende «Vision» für die Zukunft erarbeiten zu wollen: Dafür wird eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, welche wohl aus vier Mitgliedern aus dem SRV-Vorstand (diese sind bereits bestimmt, werden aber noch nicht kommuniziert) sowie aus vier externen, freiwilligen Mitgliedern bestehen wird. Die Arbeitsgruppe, welche sich noch im Dezember konstituieren soll, wird Vorschläge zu brisanten Themen erarbeiten, über welche dann der SRV-Vorstand befinden kann. Da geht es um die Strategie des SRV allgemein, um die Prüfung einer Einbindung anderer Branchenorganisationen und Interessengemeinschaften (Stichwort «Dachverband»), um die Zusammensetzung und Grösse des Vorstands und die Organisation der Geschäftsstelle, und nicht zuletzt darum, ob die Wahl eines Parlaments-Mitglieds in den SRV-Vorstand die politische Lobbyarbeit verbessern könnte.

Brauchte es für die Erkenntnis, dass es ein Überdenken des eigenen Funktionierens braucht, den Anstoss von aussen? Möglicherweise, und dieser kam 2020 in verschiedentlicher Form, aus den neuen Umständen sowie auch in Form von Kritiken und Anregungen. Der Druck zu Änderungen und Verbesserungen, welcher etwa durch die Bildung der «Aktion Mayday» Formen annahm, war grundsätzlich sicher gut.

Dann gibt es aber auch noch die Formfrage. An der Zoom-Präsentation der Resultate der schriftlichen SRV-GV wurde deutlich, dass die gerade in Sozialen Medien, aber auch auf direktem Wege in diesem Jahr oft scharf formulierte Kritik Spuren hinterlassen hat. Drei der vier Redner äusserten sich zu den Kritiken, dabei primär zu den teils unterirdischen Kommentaren, die auf gewissen Foren zu lesen waren. Man bekam das Gefühl nicht los, dass hier Rechtfertigung betrieben wurde. War das nötig? Mittlerweilen ist bekannt, dass Soziale Medien für viele eine Art Ventilfunktion wahrnehmen, und dass die dort gemachten Äusserungen, von der sicheren Warte des heimischen Schreibtisches gemacht, sich allzu oft im Ton komplett vergreifen. Die nötige und teils bestimmt berechtigte Kritik mutiert dort allzu oft zur Pauschalverurteilung, zum Wiederkäuen von Stereotypisierungen, zum persönlichen Angriff. Jede Meinung ist erlaubt, aber nicht jede Meinung muss auch öffentlich gemacht werden.

Für 2021 gewappnet

Die Apologetik wäre insofern nicht nötig gewesen, als der SRV zum Ausklang dieses schwierigen Jahres eigentlich stärker dasteht als zu Jahresbeginn, in seinem Fokus geschärft, mit einem erweiterten Vorstand, auf dessen Arbeit man gespannt sein darf, und mit klaren Zielen für das kommende Jahr, welches - da darf sich niemand täuschen - ebenfalls nochmals anspruchsvoll sein wird.

Auch wenn viele noch auf finanzielle Hilfe warten und die Zeit drängt: Die erzielten Resultate auf dem politischen Parkett dürfen sich durchaus sehen lassen. Die Politik ist aufmerksam geworden auf die Outgoing-Reisebranche, es kam zu vielerlei Gesprächen, es kam zur Einbindung der Reisebranche in die Härtefall-Regelung, und das dafür vorhandene Geld wurde jüngst von 400 Millionen auf 1 Milliarde Franken hochgeschraubt. Ist dies alles allein das Verdienst des SRV? Natürlich nicht. Aber der Verband hat zweifelsfrei extrem viel Arbeit geleistet, viel erreicht und die führende Rolle für die Reisebranche in deren Verhandlungen mit der Politik eingenommen. Deshalb kann der SRV erhobenen Hauptes ins 2021 schreiten. Dort wartet wiederum viel Arbeit. Das Lobbying beginnt aber nicht mehr bei Null, «die Basis» ist inzwischen im Vorstand breiter vertreten, die wesentlichen Anliegen sind klar. Und die Kritik wird dann hoffentlich sachlich und in Form von konkreten Verbesserungsvorschlägen einzelner Mitglieder vorgetragen. Für den Rest gilt: «Les chiens aboient, la caravane passe.»

(JCR)