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Der Sprung ins 2021 muss gelingen, sonst droht der Abgrund. Bild: AdobeStock

Kommentar Darum ist der Hilfeschrei der Reisebranche gerechtfertigt

Jean-Claude Raemy

Dem Staat und dessen Gremien fällt in dieser extremen Krisenzeit wahrlich keine leichte Aufgabe zu. Dennoch muss die Reisebranche jetzt nochmals Druck machen für weitere Staatshilfe. Die Aussichten für 2021 sind alles andere als rosig.

Eigentlich möchte die Wirtschaft in guten Zeiten so wenig Einmischung vom Staat wie möglich, aus Sicht von Marktfundamentalisten am besten gar keine. Doch wenn die Lage sich verschlechtert, kommt dann doch jeweils schnell der Ruf nach Väterchen Staat, zumal man bei diesem eine «Pflicht zur Hilfe» sieht, da man ja als Steuerzahler – privat wie auch als Unternehmen – zu dessen Wohlergehen (hoffentlich) beiträgt.

Die Lage für den Staat ist nun alles andere als einfach. Zum einen kann dieser nicht einfach die Geldschleusen öffnen. «Die Notenpresse anwerfen» birgt das Risiko, eine Inflation auszulösen. Andere würden darin dagegen eine Chance für eine Art Konjunkturprogramm sehen. Ökonomische Zusammenhänge unterliegen keinen strengen Gesetzen. Was der beste Kurs ist, muss diskutiert werden – anhand von Input von Experten und «Best Practice»-Beispielen. Das braucht Zeit.

Auch aus den bestehenden Reserven Geld auszuschütten, ist nicht ganz einfach. Wie wird das Geld verteilt, nach welchen Verteilschlüsseln und Prioritäten? Auch das muss sorgfältig analysiert sein, ansonsten schnell Missbrauchsverdacht aufkommt. Ebenso sollte man die Verwendungszwecke von Zuschüssen eindeutig belegen können. Das braucht Zeit.

Die Schweiz hat bislang eigentlich einen recht guten Job gemacht bei der Covid-Hilfe. Es waren rasch und unkompliziert Kreditaufnahmemöglichkeiten mit günstigen Konditionen vorhanden, es gab Möglichkeiten zur langfristigen Kurzarbeit. Es gab die Definition von Härtefällbranchen. Auch das alles brauchte Zeit. Es ist Zeit, welche in einer funktionierenden Demokratie schlicht benötigt wird. Trotzdem können nun auch die Behörden nicht nachlassen mit der Hilfestellung.

Es ist 1 vor 12

Es ist nämlich Zeit, welche für viele Unternehmen kaum noch vorhanden ist. Es ist darum auch gerechtfertigt, dass die Reisebranche nun, gemeinsam mit anderen Härtefallbranchen, nochmals Druck macht, damit bald weitere finanzielle Hilfeleistungen und politische Lösungen vorhanden sind. Die Härtefallregelung konnte nicht einfach bis Ende Februar warten, wie ursprünglich angedacht. Es war richtig, Druck zu machen, um schnellere Aussicht auf Hilfe zu haben. Und es ist auch richtig, den Druck weiterhin aufrecht zu erhalten.

Es kam in den letzten Monaten zwar zu zahlreichen Ankündigungen hinsichtlich Arbeitsplatz-Abbau, jedoch – mit Ausnahme von STA Travel – bislang noch kaum zu nennenswerten Konkursen. Das hat viel mit der staatlichen Hilfe zu tun. Und doch sollte man sich auf Bundesseite noch nicht auf die Schultern klopfen, denn eigentlich steht die harte Zeit für die Härtefallbranchen erst noch bevor.

Warum? Zum einen gibt es das Argumentarium der Hanser-Studie, welche seit Mitte August vorliegt. Darin wurde detailliert dargelegt, mit welchen Rückgängen 2020 zu kämpfen ist, also wie das monetäre Ausmass der Betroffenheit ist. Es wurden diverse Mittel ins Feld geführt, um Abhilfe zu schaffen (Geschäftsmietegesetz, Verlängerung Rechtsstillstand, EO-Verordnung und mehr). Sollte keine Hilfe fliessen, wären laut dieser Studie bis zu 40 Prozent der Unternehmen der Reisebranche gefährdet. Es ist Hilfe geflossen, daher konnte bislang die Konkurswelle abgewendet werden. Was in der Studie aber noch wenig beleuchtet wird, sind die länger als ursprünglich angenommen dauernden Erwerbsausfälle, also die düsteren Prognosen 2021.

Aktuell befindet sich Europa im Quasi-Lockdown, das Herbst- und Wintergeschäft der Reisebranche waren/sind gelinde gesagt eine Katastrophe. Ist Besserung in Sicht? An der Hotelplan-Medienkonferenz von dieser Woche musste man hören, dass Ozeanien möglicherweise bis Mitte 2021 «geschlossen» bleibt. Die Öffnungsversuche in Asien sind noch sehr zögerlich, und wenn es bis Ende Jahr keine Planungssicherheit gibt für Reisen 2021, ist die Saison weitgehend futsch. Aus den USA hört man, dass es möglicherweise bis Ostern gehen würde bis zu einer allgemeinen Grenzöffnung. Wir sprechen hier von den wichtigsten Überseemärkten und nicht von Nischenzielen. Und sogar in Europa gibt es ähnliche Signale, die langfristige Einreisesperren zumindest in den Bereich des Möglichen bringen. Norwegen beispielsweise hat kürzlich eine neue Gesetzesentscheidung getroffen, welche es der Regierung erlaubt, das vorübergehende Gesetz über Einreisebeschränkungen für Ausländer aus Gründen der öffentlichen Gesundheit bis zum 1. Juni 2021 zu verlängern. Viele Länder müssen aktuell erst einmal die «Zweite Welle» in den Griff bekommen, bevor man wieder an Grenzöffnung denken kann.

Die frohe Kunde über Grenzöffnungen in Afrika oder Lateinamerika dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass an eine Rückkehr zu normalen Zeiten erst mal nicht zu denken ist. 2021 wird nochmals zappenduster; Hotelplan geht von der Hälfte des Umsatzes von 2019 aus, und auch das ohne Garantie. Immerhin hat Hotelplan ein starkes Mutterhaus, ebenso wie andere «Grosse». Bei vielen KMU kann man allerdings nicht auf Konzern-Geldquellen zählen, also Quersubventionerung über die weitgehend krisenresistente Lebensmittelbranche und dergleichen. Wer Rückstellungen gemacht hat, ist nun gezwungen, diese aufzubrauchen. Wer bisher gut geschäftete, sieht unverschuldet sein Lebenswerk sich in Luft auflösen. Viele bis Ende 2019 gesunde Unternehmen, die 2020 einigermassen überlebt haben, werden 2021 mit den aktuellen Geschäftsprognosen ohne externe Unterstützung nicht überleben.

Monopolstellungen verhindern

Womit wir beim Kern der Sache sind: Den bisher «gesunden» Unternehmen muss geholfen werden, und zwar rasch. Dafür braucht es rasch griffige Einstufungsmodelle und Finanzierungspläne, und natürlich den politischen Willen, diese schnellstmöglich gesetzlich zu verankern. Die Hoffnung auf eine anderweitige Lösung des Reisebranchen-Problems mittels Impfstoffen ist berechtigt, wird aber noch dauern und das Reisegeschäft 2021 nicht einfach so retten, dafür sind noch viel zu viele Fragen offen.

Im Gegenzug gilt aber auch, dass alle unterstützten Unternehmen sich damit auseinandersetzen müssen, dass die Reisewelt künftig anders sein wird, und folglich auch über ihre eigenen Geschäftsmodelle nachdenken müssen. Die Politik muss derweil anerkennen, dass gerade diese Unternehmen eine «zweite Chance» verdient haben, um auch in Zukunft Teil des Rückgrats der Schweizer Wirtschaft sein zu können. Ansonsten drohen bald Monopolstellungen weniger, möglicherweise ausländischer Unternehmungen. Und das kann ja keiner wollen.

Was vom Bund also (weiterhin) verlangt wird: Finanzielle Hilfe. Schnell. Und wenn man merkt, dass gewisse Modelle nicht funktionieren, wie etwa die Quarantäneliste (die auch Travelnews vorliegenden BAG-Protokolle, hier und hier, zeigen deutlich, dass die Wirkungslosigkeit schon länger bekannt war), dann muss entsprechend gehandelt werden. Es ist eine schwieriger Tanz zwischen dem Einhalten der demokratischen Prozesse und der umstandslosen und direkten Soforthilfe - aber in der Krise muss sich halt auch der Staatsapparat als flexibel und anpassungsfähig erweisen.