Reiseanbieter

Der Schweizer Reisebranche ging wegen der Quarantäneliste viel Geld durch die Lappen - obwohl die Liste sehr wenig brachte. Das will die Branche nicht auf sich sitzen lassen. Bild: AdobeStock

«Eine Klage gegen den Bund ist Sache des einzelnen Unternehmens»

Jean-Claude Raemy

11 Unternehmen bzw. Verbände der Schweizer Reisebranche beklagen sich in einem offenen Brief an den Bund über die negativen Auswirkungen der Quarantäneliste und ein faktisches Berufsverbot. Sie fordern dabei auch Schadenersatz. Wir haben zu diesem Vorgehen mit Annette Kreczy (DER Touristik Suisse/Aktion Mayday) gesprochen.

Die im Juli eingeführte «Risikoländerliste» des Bundesamts für Gesundheit (BAG), welche eine Quarantänepflicht bei Rückkehr aus gewissen Reiseländern vorsieht, wurde von der ganzen Reiseindustrie und auch von Travelnews schon lange als «Geissel für die Reisewirtschaft» bezeichnet. Dass laufend mehr Länder auf die Liste kamen - teils zwischenzeitlich auch wieder davon weg, dann aber wieder drauf, wie etwa bei den V.A.E. der Fall - war schlimm genug. Am Ende waren über 60 Länder und Regionen auf der Liste und damit de facto nicht sinnvoll zu bereisen. Dass die Liste jeweils am Freitag mit Wirkung ab dem darauffolgenden Montag publiziert wurde, stellte ein weiteres Problem dar. Und nie wurde den Forderungen nach Tests statt Quarantäne wirklich Beachtung geschenkt.

Man hätte argumentieren können, dass die Branche natürlich ihre eigenen Anliegen verteidigt und sich aber dem gesundheitlichen Wohl der Allgemeinheit unterordnen soll. Bloss war Letzteres gar nicht gegeben: Seit letztem Sonntag weiss man, dass den Bundesbehörden spätestens seit September bekannt war, dass die Quarantäneliste in Bezug auf die Eindämmung der Corona-Infektionen praktisch keinen Einfluss hat. Dennoch wurde sie «aus erzieherischen Gründen» beibehalten und vermieste so der Reisebranche das wenige Herbstgeschäft noch komplett.

Das brachte die Schweizer Reisebranche verständlicherweise in Rage. Früh wurde der Ruf laut, dass man dies nicht so im Raum stehen lassen kann. Inzwischen haben sich elf Unternehmen und Verbände der Schweizer Reisebranche zusammengeschlossen und einen Offenen Brief formuliert, welcher sich an Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga und die Geschäftsprüfungskommission des National- und Ständerats richtet. Unterzeichner sind die Aktion Mayday, der Schweizer Reise-Verband (SRV), die Swiss Travel Association of Retailers (STAR), die Travel Professionals Association (TPA), die Federation of Active and Independent Retailers (FAIR), der Travel Trade Service (TTS) sowie die grossen Reiseunternehmen DER Touristik Suisse, TUI Suisse, Hotelplan Suisse, Knecht Reisen und Globetrotter.

Im Offenen Brief ist von einem «faktischen Berufsverbot» die Rede und es wird versucht, eine Aufstellung über den verursachten wirtschaftlichen Schaden zu präsentieren. Es wird etwa bemerkt, dass über 15'000 Schweizer wegen der Liste in Quarantäne mussten, für diese mit Verdienstausfällen. Dazu wurde natürlich die Reisebranche geschädigt, welche sich mit teils extrem kurzfristigen Umbuchungen und Annullationen herumschlagen musste. Daraus leitet die «vereinte Reisebranche» drei Forderungen ab: Zum einen sollen die Verantwortlichkeiten und Abläufe bei den Entscheiden rund um die Quarantäneliste überprüft werden, zum anderen solle Zurückhaltung bei der Erstellung zukünftiger Listen gelten - mit einer (wiederholten) Forderung nach Tests statt Quarantäne bei Rückkehr. Und, wohl am explosivsten, ist die Forderung nach Schadenersatz für die Verdienstausfälle der Reisebranche.

Einige KMU wollen klagen

Bleibt die Frage: Gibt es für eine Schadenersatzklage gegen den Bund wirklich Aussicht auf Erfolg? Ein Problem liegt darin, dass es schwierig sein dürfte, den Schaden eindeutig zu quantifizieren. Zum anderen ist es weder einfach noch günstig, gegen den Bund zu klagen.

Auf Anfrage von Travelnews erklärt Annette Kreczy (DER Touristik Suisse/Aktion Mayday), was der Gedanke hinter dem Vorgehen ist: «Primär ging es mit dem Offenen Brief mal darum, ein klares Statement an den Bund und insbesondere an die GPK zu geben. Wir wollen aufzeigen, wie die Branche geschädigt wurde, und dies zu keinem nennenswerten Effekt. Wir wollen aufzeigen, wie die Branche seit Monaten gegen die Praxis dieser Quarantäneregelung gekämpft hat, jedoch überhört wurde. Und wir wollen zeigen, dass wir dies nicht einfach so an uns vorbeiziehen lassen.»

Doch wie soll das mit der Klage gehen? Kreczy erklärt, dass in der Schweiz keine Sammelklagen möglich sind und dass es für die Grossunternehmen viel zu grossen Aufwand bedeute, um den effektiven Schaden im Detail darzulegen. Allerdings gebe es KMU aus dem Umfeld der Aktion Mayday, welche durchaus gewillt seien, den Schaden im Detail zu belegen - etwa mittels E-Mails von Kunden, die eindeutig ihre Buchung/Reise wegen der Quarantäneliste absagen, und dem daraus erfolgten Schaden in Cash und in Arbeitsstunden. Daran werde aktuell gearbeitet und es gebe auch bereits Kontakte zu Anwälten. Welche KMU solche «exemplarische Klagen» vorbereiten, sei aktuell noch nicht öffentlich, so Kreczy. Doch die Idee ist klar: Wenn schon nur eine der Klagen von KMUs Erfolg hat, ist damit der nötige Präzedenzfall geschaffen, welcher weitere Klagen nach sich ziehen kann.

Der Nachteil: Das KMU steht vorläufig alleine da. «Eine Klage gegen den Bund ist Sache des Unternehmens», sagt Kreczy, mit Verweis auf das Verbot der Sammelklage. Die Verbände bzw. die Aktion Mayday können hierbei Anwaltskosten nicht (mit-)finanzieren. So hofft man auf Anwälte, die in dieser Sache einerseits Erfolgschancen sehen und andererseits gewillt sind, der Reisebranche bze. dann dem Reisebranchen-Klienten in Sachen Honorar etwas entgegenzukommen. Darüber hinaus werde geprüft, ob sich allenfalls via Rechtsschutzversicherung etwas machen lässt.

Wann wird die Sammelklage endlich möglich?

Das «ras le bol» der Reisebranche ist hör- und spürbar. Die Forderung nach Schadenersatz wird allerdings eine ziemlich schwierige Sache. Wobei man an dieser Stelle mal wieder festhalten muss, dass es eigentlich nicht sein kann, dass es im Schweizer Rechtssystem gar keine Instrumente zur Durchsetzung von Massenschäden gibt, also eben die Möglichkeit zu einer Sammelklage. Auch hier ist das Problem bekannt: Der Bundesrat stellte bereits 2013 fest, dass die Rechtsmittel ungenügend sind.

Dass sich dies kurzfristig ändert, ist unwahrscheinlich. Vorerst muss sich die Reisebranche damit begnügen, dass die Quarantäneliste des BAG nach Druck von oben - via Bundesrat Alain Berset - nun immerhin in der Formel abgeändert wurde und nun «CH + 60» gilt, wodurch die Liste deutlich geschrumpft ist. Das erlaubt wenigstens eine zaghafte Rückkehr zu herkömmlichen Buchungen. Aber die Liste ist immer noch in Kraft und die «Erziehung der Bevölkerung» in Sachen Reiseverzicht offenbar geglückt.

Die Bitte im Offenen Brief der Reisebranche, wonach Bundesrat und GPK «in Bezug auf Reise-Quarantänen spätestens Ende 2020 Klarheit» schaffen soll, dürfte sich höchstens in Bezug auf Verantwortlichkeiten erfüllen lassen. Betreffend Schadenersatz und dem «Testen statt Quarantäne» wird's wohl ein Marathon und kein 100-Meter-Lauf.