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Auf Tuchfühlung mit Politikern: Timo Kohlenberg (r.) mit Thomas Bareiss, dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie. Bild: zVg

«Man muss gerade in der Krise innovativ sein»

Jean-Claude Raemy

America Unlimited, die Firma von Timo Kohlenberg, durchlebt aus bekannten Gründen ein schlimmes Jahr. Das hindert den jungen «Business Punk» aber nicht daran, innovativ unterwegs zu sein - ob in seinem eigenen Unternehmen, bei dem er mit «Corocierge» kürzlich eine neue Marke aus der Taufe hob, oder in der Politik, wo der Jungunternehmer seit Monaten auf Tuchfühlung mit dem obersten politischen Parkett ist. Travelnews schaut über die Grenze und hat sich mit dem deutschen Reise-Shootingstar unterhalten.

Zarte 34 Jahre alt ist Timo Kohlenberg, leitet aber bereits seit 14 Jahren mit seiner Schwester Julia das Reiseunternehmen America Unlimited in Hannover, welches die beiden damals von den Eltern übernahmen. Bislang war das eine richtige Erfolgsstory: Der Nordamerika-Spezialist wuchs und gedieh, nicht zuletzt dank den hervorragenden Marketing-Kenntnissen Kohlenbergs, der in Hamburg und London «Marketing, Design & Advertising» studierte und sich selber als «Business Punk» bezeichnet. Der grossgewachsene Unternehmer mit Vorliebe für Sneakers und ausgefallene Mode fällt mit interessanten Marketing-Aktionen auf, setzte schon vor über zehn Jahren auf Marketing via Facebook und ist überdies als Sponsor beim Bundesliga-Club Vfl Wolfsburg engagiert.

Doch der Visionär und Querdenker kam 2020 erstmals richtig an seine Grenzen. Die Corona-Krise traf das Unternehmen hart, insbesondere natürlich die völlige Abschottung der USA und von Kanada, was dem Nordamerika-Spezialisten Umsatzrückgänge von 95 Prozent gegenüber dem Vorjahr bescherte. «Wir haben im März gemerkt, dass die ganze Sache länger dauern würde», erklärt Kohlenberg gegenüber Travelnews. Keine einzige Reise wurde mehr verkauft, je hälftig mussten bestehende Reisen auf 2021 umgebucht oder erstattet werden. Zehn Millionen Euro Umsatz gingen flöten. Mit den vielen Reisewarnungen bestand ein de-facto-Berufsverbot. Für ein KMU - America Unlimited beschäftigte zu Beginn der Krise 25 Mitarbeitende, aktuell immerhin noch 21 - nicht einfach zu verkraften. Klar war für Kohlenberg aber sofort, dass die Reisebranche bei den Politikern aktiv werden musste.  

Wie vorgehen? «Als KMU kann man allein wenig ausrichten», konstatierte Kohlenberg, weshalb er früh in Kontakt trat mit dem Vorstand der AER Kooperation AG. Hierbei handelt es sich nicht um einen Verband, sondern um einen Dienstleister, der aus einer Interessenvertretung selbstständiger Reisebüros hervorging. «Der AER-Vorstand war sofort Feuer und Flamme, um aktiv zu werden», sagt Kohlenberg. Gemeinsam wurden umfassende Hilfs- und Informationsprogramme auf die Beine gestellt, intensiv kommuniziert und Austauschrunden lanciert. Bereits im April konnte die Marketingkampagne «Ohne Reisen keine Wows» auf die Beine gestellt werden, eine von Kohlenberg und dem AER initiierte und umgesetzte Aktion, welche mehr als 130 Spezialveranstalter sowie Promis und Influencer verbündete, «um ein Zeichen zu setzen». Ein speziell dafür erschaffenes Video und der Hashtag #ohnereisenkeinewows erhielten viel Aufmerksamkeit.

Doch damit war es natürlich nicht getan. Kohlenberg war dann aktiv daran beteiligt, Demos vor dem Bundestag und weitere «Guerilla-Aktionen» bundesweit mit aufzuziehen. Weiter ging er einfach via soziale Medien direkt auf Thomas Bareiss los, welcher Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie ist und in dieser Funktion auch Beauftragter der Bundesregierung für Tourismus und für Mittelstand. Und er fand Gehör. Es kam zum Treffen mit Bareiss, bei welchem Kohlenberg die Problematik der Reisebranche darlegen konnte. Das verschaffte ihm auch eine gewisse mediale Aufmerksamkeit, mittels welcher dann weitere Politiker auf seinen Kampf aufmerksam wurden. Plötzlich befand sich Kohlenberg im Herzen des (politischen) Überlebenskampfs der deutschen Reisebranche, und fühlte sich dadurch angespornt.

Ein grosser Erfolg: Margen gelten als Fixkosten

Obwohl die Politik die Reisebranche also bereits auf dem Schirm hatte, war das erste Konjunkturpaket für die Reisebranche unzufriedenstellend: «Bei einem Umsatzrückgang von über 70 Prozent konnte man bis zu 50 Prozent der Fixkosten geltend machen und diese erstattet bekommen», holt Kohlenberg aus, «doch die Reisebranche hat, mit Ausnahme der Personalkosten, eigentlich recht tiefe Fixkosten. Damit konnte man wenig geltend machen. Und auch die Möglichkeit für Kurzarbeit war nur bedingt geeignet - aufgrund der vielen Umbuchungen, Stornierungen und dergleichen konnten wir gar nicht alle Mitarbeitenden in Kurzarbeit schicken, dafür hatten wir schlicht noch zu viel zu tun, trotz der Misere im Reisesektor.»

In letzter Minute gelang dann Kohlenberg der grosse Coup beim Finanzministerium: Dieses akzeptierte, dass Margen als Fixkosten geltend gemacht werden können, bis zu einem Maximalbetrag von 50'000 Euro - das mag für grössere Unternehmen wenig sein, aber für die KMU, für welche sich Kohlenberg primär einsetzt, ist das ein substanzieller Betrag. Die Regelung galt zunächst von Juni bis August, seitdem wurde die so genannte «Überbrückungshilfe II» bis mindestens Ende Dezember verlängert. Bislang habe die deutsche Reisebranche diese Beträge geltend gemacht, also oft voll abgegriffen, aber da 2021 auch schwierig aussieht, wird es weitere Bemühungen brauchen. Kohlenberg geht davon aus, dass es zu einer weiteren Verlängerung der Überbrückungshilfen bis Mitte 2021 kommen wird: «An der Umsetzung sind wir dran. Diese ist noch unklar, denn 2020 haben wir gar keine Margen erzielt, also muss die Berechnung anders erfolgen.»

Es gibt also noch viel zu tun und gerade für Kohlenbergs Unternehmen gibt es kaum Aussicht auf Besserung, denn bis das USA-Geschäft wieder anläuft, wird es wohl Frühjahr 2021 sein. Etwas stolz ist Kohlenberg trotzdem schon auf das bisher Erreichte. Er hat wesentlich dazu beigetragen, dass inzwischen viele deutsche Politiker nicht nur aufmerksam auf die Outgoing-Reisebranche geworden sind, sondern nun gar Fürsprecher für den Tourismus sind. Von der AER-Mitgliedern erhält er viel Anerkennung. Die Medienberichte über ihn und was er leistet haben sich in letzter Zeit vervielfacht. Er weiss natürlich auch, dass nicht alles sein Verdienst ist und die diversen Verbände auch das ihre beigetragen haben.

«Ich gebe nichts mehr auf die Hater»

Spezieller Modegeschmack und beruflicher Erfolg: Dass dabei auch Gegenwind entsteht, lässt Kohlenberg inzwischen kalt. Bild: zVg

Die viele Medienpräsenz, vielleicht auch seine exzentrische Art, haben Kohlenberg zudem nicht nur Applaus eingebracht. «Es kam wegen meiner Medienpräsenz schon auch viel Gegenwind aus der Branche», holt Kohlenberg aus, «insbesondere meine Aussage, wonach Rückvergütungen vollständig an den Kunden auszuzahlen sind, hat mir harsche Kritik eingebracht. Aber inzwischen gebe ich nichts mehr auf die ‹Hater› und weiss, dass Kritiker immer lauter sind als lobende Personen.» Er kämpft zwar primär für die «Kleinen», aber generell auch dafür, dass die deutsche Reiseindustrie eine Lobby in Berlin hat. Von brancheninternen Scharmützeln, etwa dass Reisebüros in der Krise auf Veranstalter schossen und dergleichen, hält er wenig: «Es reicht nicht, nur in eine Richtung zu fordern.» Um mitzugestalten, müsse man eben auch in die Welt der politischen Willensbildung eintauchen. Er will nicht als Politiker aktiv sein, aber sich als Unternehmer einzubringen versuchen. Das ist ihm bislang recht gut gelungen.

Er konzentriert sich darüber hinaus aber am liebsten weiter auf seine Kernkompetenzen, nämlich die Innovation und das Marketing. «Man muss gerade in der Krise innovativ sein», so sein Credo. Vor einigen Wochen hat er einen eigenen Reise-Podcast ins Leben gerufen, der auf Spotify, Apple Music oder Amazon Music verfügbar ist. Er hält den engen Kontakt zu seinen wichtigsten Partnern und war letzte Woche an der virtuellen «Brand USA Travel Week Europe» engagiert.

Darüber hinaus hat er gar noch eine neue Marke ins Leben gerufen: «Corocierge». Die Wortbildung ist leicht verständlich, bestehend aus «Corona» und «Concierge». Er findet den Namen «catchy» und erklärt zum Prinzip: «Wir bieten hiermit als Veranstalter Pauschalreisen in Zielgebiete, welche garantiert offen, also bereisbar, sind. Die Reisen verkaufen wir möglichst kurz vor Reisebeginn, um der dynamischen Situation Rechnung zu tragen. Wir bieten dazu eine spezielle Reiserücktritts-Versicherungen, welche auch eine Corona-Infektion vor der Reise absichert. Bei einer behördlichen Reisewarnung kann der Kunde kostenlos umbuchen oder stornieren.» Aktuell sind so online Angebote auf Barbados, den Seychellen oder Costa Rica zu buchen, also in Zielen, die eigentlich gar nicht zu den Kernzielen von America Unlimited gehören. Kohlenberg meint denn zu seinem neusten Wurf: «Das Angebot richtet sich an jene, die nicht warten können, bis sich die Lage normalisiert hat, und die möglichst von uns Sicherheit haben wollen in Bezug auf Ziele und Stornomöglichkeiten.» Oder anders formuliert: Der Kunde sagt, welche Art von Ferien er möchte und wie gross sein Budget ist, und Corocierge schaut, wo was aktuell überhaupt möglich ist und liefert möglichst präzise Informationen rund um die Reise und die Reisebestimmungen.

Corocierge funktioniert - soll aber bald wieder verschwinden

Dass es funktioniert, beweist ein Kunde, der neulich einfach ein Ferienbudget von 30'000 Euro angab und sagte «Macht was damit.» Er wurde nach Barbados geschickt. Obwohl Kohlenberg betont, dass es das Ziel sei, «Corocierge möglichst bald wieder zu schliessen», holt er sich mit dieser Lösung nun eben zumindest temporär Umsatz herein. Und musste dafür wenig investieren: Corocierge wird mit dem bestehenden Team, welches aktuell in Kurzarbeit ist, betrieben. Am aufwändigsten ist die Datenpflege und der permanente Abgleich mit den behördlichen Auflagen, doch der Aufwand lohne sich, weil man genau diese Arbeit dem Kunden abnimmt und dieser für seinen Seelenfrieden gerne etwas zu bezahlen bereit ist.

Natürlich liessen auch hier die «Hater» nicht lange auf sich warten und stellten in Frage, ob das nun wirklich eine Innovation sei und monierten, dass Corocierge ja nichts anderes mache, als was viele Reisebüros seit Monaten auch schon machen. Das ist noch nicht mal falsch. Aber Kohlenberg ist halt ein Marketing-Genie und weiss seine Anliegen und Aktivitäten in Szene zu setzen, und geht mit Ideen und Aktionen voran, statt sich auf brancheninternen Kleinkrieg zu konzentrieren. Das macht eben den Unterschied aus.