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Die Protagonisten und Moderatoren des gestrigen Mayday-Branchencalls, oben: Roland Zeller, Tim Bachmann und Natalie Dové; unten: Annette Kreczy, Philipp von Czapiewski und Dieter Zümpel. Bild: TN

«Die BAG-Liste ist Gift für unser Geschäft»

Im Branchencall der Aktion Mayday äusserten sich gestern Abend die CEOs der drei führenden Reiseveranstalter ausführlich – zu den letzten sechs Monaten, zur Budgetierung 2021, zur BAG-Liste und zur Gefahr eines nächsten Thomas-Cook-Falles.

Die Reisebüro-Selbsthilfegruppe Aktion Mayday hat gestern ihren 10. Branchencall durchgeführt. Beim virtuellen Zoom-Meeting äusserten sich die drei CEOs der führenden Reiseveranstalter: Tim Bachmann (Hotelplan Suisse), Philipp von Czapiewski (TUI Suisse) und Dieter Zümpel (DER Touristik Suisse).

Wer den Mayday-Branchenall in voller 60-minütiger Länge anschauen möchte, hier ist der Youtube-Link. Wir fassen die wichtigsten Aussagen zusammen.

Wie schätzen Sie die letzten sechs Monate ein?

Philipp von Czapiewski: «Wir haben einige Hochs und Tiefs hinter uns. Im Juli sah es nach einer Besserung aus, zahlreiche Zielgebieten waren wieder bereisbar, die Buchungen nahmen zu. Seit der Einführung der BAG-Liste ist die Situation nun wieder schwieriger. Die fehlende Planbarkeit ist für uns und unsere Kunden die grösste Herausforderung und Gift für das Geschäft.»

Tim Bachmann: «Der operative Aufwand war in den letzten Wochen enorm. Jede Buchung mussten wir 17 Mal in die Finger nehmen und zum grossen Teil wurde wieder annulliert. Den Winter nehmen wir ruhig an und forcieren das Einsammeln von Buchungen nicht. Winterruhe nennen wir das intern. Für uns ist heute eine gute Buchung, wenn die Abreise innerhalb der nächsten sieben Tagen erfolgt – dann können uns das BAG oder die Destination kaum noch reinfunken.»

Dieter Zümpel: «Wir haben zunächst Ostern verloren, dann Pfingsten, dann die Sommerferien und nun die Herbstferien. Und auch für den Longhaul-lastigen Winter besteht wenig Hoffnung. DER Touristik Suisse lebt im gleichen kompletten Desaster wie alle anderen auch. Unsere Hoffnung liegt auf einem Impfstoff im Winter, um das Thema der Reiseeinschränkung zu bewältigen.»

Wie budgetieren Sie das Jahr 2021?

Tim Bachmann: «Wir hoffen auf den Sommer 2021 hin auf eine Besserung. Für das Jahr 2021 haben wir 50 Prozent des Jahres 2019 budgetiert, mehr als wir im laufenden, sehr durchwachsenen Jahr haben.»

Dieter Zümpel: «Wir budgetieren mit einem Tick mehr als 50 Prozent. Wir sind derzeit aber noch weit von einer vollständigen Erholung entfernt.»

Besteht die Gefahr eines weiteren Thomas-Cook-Falles?

Philipp von Czapiewski: «Wir sind für die nächsten Monate sehr gut aufgestellt. Vor dem Ausbruch der Krise waren wir extrem solid unterwegs und profitabel. Dank Redimensionierung und Kurzarbeit können wir derzeit die Kosten tief halten. Und wir haben eine klare Strategie nach vorne und können auf ein gutes eigenes Portfolio zählen».

Dieter Zümpel: «Wir haben uns schon vor Corona intensiv mit der Zukunft beschäftigt, mit dem Projekt <Destination Avenir>, wir wissen, wie wir in die Zukunft wollen. Zweitens steht mit der Rewe Gruppe ein 65-Milliarden-Konzern hinter uns, der uns finanziell über die Runden hilft. Wir können Gehälter zahlen und Kundengelder zurückzahlen. Drittens haben wir nach drei Jahren bis zum Erreichen des Turnarounds viel Leidensfähigkeit und einen sehr guten Teamspirit entwickelt.»

Tim Bachmann: «Auch wir können auf eine starke Mutter zählen. Wir haben im Rahmen einer Langzeitplanung ein sehr defensives Budget vorgelegt und das wurde gutgeheissen. Die neue Hotelplan-Group-Chefin kommt nicht, um den Laden zu schliessen oder abzustossen, sie bringt sehr viel Online- und Distributionskompetenz mit. Ein zweites Thomas Cook werden wir nicht. Die Migros würde sich das nie leisten. Ein Worst-Case-Szenario wäre eine kontrollierte Schliessung.»

Sind Sie interessiert an einer Marktbereinigung – und einem Wegfall unabhängiger Reisebüros?

Philipp von Czapiewski: «Unser Vertriebsmix schliesst den Partnervertrieb ein. Wir haben kein Interesse an einer Marktbereinigung, sondern daran, dass das Reisen wieder losgeht und dass die gesamte Branche wieder auf die Beine kommt.»

Tim Bachmann: «Wir schiessen uns nicht ins eigene Bein. Ein grosser Teil des Longhaul-Geschäfts ist tailormade, das funktioniert nicht online. Dass wir flächendeckend nur noch mit dem eigenen Vertrieb arbeiten würden, rechnet sich nicht. Wir haben nicht nur Sympathie für die kleinen und mittleren Betriebe, sondern auch ein eigenes Interesse.»

Wieso halten sich die grossen Veranstalter derzeit raus aus der Diskussion um Unterstützung?

Tim Bachmann: «Wir haben uns da bewusst rausgehalten. Wir finden die Forderung nach finanzieller Unterstützung und eine Erwerbsausfallsentschädigung für Geschäftsführer völlig legitim und notwendig. Doch wenn nun eine Hotelplan-Filiale dem Kassensturz auch noch ein Video geschickt hätte, wäre das schlecht rausgekommen. Die Schlagzeile, die Migros bittet um Hilfe, wäre sogleich entstanden. Unsere Forderungen fokussieren wir auf die BAG-Liste, Testen statt Quarantäne und die Pauschalreise. Beim Lobbying hierzu sind wir sehr interessiert, eingespannt zu werden.»

Philipp von Czapiewski: «Unser Credo ist, das Thema stark über den Verband zu spielen, um die Stimmen zu bündeln. Aber wir unterstützen die Anliegen, insbesondere, dass bei der BAG-Liste mehr Planbarkeit Einzug hält.»

Dieter Zümpel (als SRV-Vorstandsmitglied): «Der SRV ist massiv kritisiert worden, das war in den ersten vier bis sechs Wochen teilweise berechtigt. Aber über uns allen hat das Dach gebrannt. Es ging nie um die Grossen, wir wussten, dass wir keine Unterstützung zu erwarten haben, dass wir unser Heil selber suchen müssen. Es ging um die Selbständigen und Kleinen und da ist am Ende einiges ereicht worden. Wir sind im SRV sehr kritikfähig. Doch einige Reaktionen waren auch irritierend. Als ob jemand im Fussballstadion auf der Tribüne mit einer Bierdose steht, reinschreit, was besser zu machen wäre und am Schluss die leere Dose noch reinschmeisst.

Wie muss es weitergehen mit der BAG-Liste?

Dieter Zümpel: «Bei diesem Thema geht mir die Hutschnur hoch. Ich war auf Madeira, als der Portugal-Entscheid fiel. Die Insel hatte in den letzten zwei Wochen gerade mal 35 positive Tests und liegt 1000 Kilometer von Lissabon entfernt. Durch den BAG-Entscheid reisten dann viel Schweizer unmittelbar ab, die Auslastung im Hotel fiel von 43 auf 18 Prozent. Die praktischen Auswirkungen dieser erratischen Reaktion des BAG kommen zum Wochenende hin mit zwei, drei Tagen Vorlauf, das ist eine absolute Katastrophe. Der SRV hat sich am Wochenende mit einem Schreiben an das BAG gewandt und die Schwierigkeit der Situation geschildert.»

Bentour und Holidaycheck bringen Storno-freundliche Pauschalreisen. Sie bald auch?

Philipp von Czapiewski: «Seit einiger Zeit haben wir dies bereits umgesetzt. Wer bis Ende Oktober 2020 bucht – für Reisen bis Oktober 2021 –, kann bis 14 Tage vor Abreise kostenlos annullieren.»

Tim Bachmann: «Wir schauen das an, weil wir fast müssen. Aber ich sehe das Thema skeptisch, vor allem wenn wir grundlos stornieren lassen. Wir arbeiten und arbeiten und der Kunde kann dann die Covid-Karte ziehen. Ich bin da nicht so sicher, ob das viel bringt. Auch keine Versicherung will da etwas Gescheites auflegen.»

Dieter Zümpel: «Am liebsten würden wir zwei Preise anbieten, einen refundable und einen non refundable. Dazu sind wir technologisch aber nicht in der Lage. Aber das Thema der flexibilisierten Buchung müssen wir angehen, spätesten seit Booking diese Stornierbarkeit hat. Doch wir stehen noch vor technischen und ökonomischen Rahmenbedingen.»

Zum Schluss des von Roland Zeller, Natalie Dové und Annette Kreczy moderierten Branchen-Talks wurden noch eingie Zuhörer-Fragen den Protagonisten weitergereicht. Ob denn nun bis gestern zum Deadline-Day hin die Swiss alle Ausstände bezahlt haben? Unisono bestätigten die drei CEOs den Eingang grosser Beiträge, Tim Bachmann bezeichnete diesen als siebenstellig. Einzig einige vereinzelte, komplizierte Buchungen seien noch ausstehen.

Der nächste Mayday-Branchencall soll Mitte Oktober erfolgen, Thema und Teilnehmer sind noch offen.

(GWA)