Reiseanbieter

Typischer Blick in ein Schweizer Reisebüro: Kunden sind keine auszumachen. Bild: TN

«Unser Umsatz liegt bei 0,0»

Von wegen, «die Reisebranche erholt sich»: ein missverständlicher Medienartikel sorgt für rote Köpfe in den Reisebüros.

Böser Wille kann man dem Journalisten wohl nicht unterstellen. Nachdem sich dieser in der Reisebranche umgehört hat, bewies er aber bei der Titelwahl ein unglückliches Händchen – oder ein übereifriger Produzent ist da noch reingegrätscht. Doch der Reihe nach.

Gestern titelte der Tages-Anzeiger: «Kunden gehen wieder ins Reisebüro». Beim Durchlesen des Artikels fällt auf, dass diese überraschende Konklusion einzig auf der Aussage der Veranstalter Kuoni, TUI und Hotelplan sowie des Schweizer Reise-Verbands basiert, dass das persönliche Beratungsgespräch im Vergleich zu einer Online-Buchung wieder wichtiger wird. Dass keine gähnende Leere in den Reisebüros mehr herrschen würde, davon kann aber nicht die Rede sein. Denn derzeit läuft in den Reisebüros praktisch nichts ausser vereinzelten Umbuchungs- oder Stornierungsanliegen.

«Die Rückkehr der Kunden» könne nun zum Problem der Reisebüros werden, heisst es weiter. Schliesslich beantragt die als Härtefall deklarierte Reisebranche zusätzliche Staatshilfe. Reisebüros, die in diesem Jahr mehr als 60 Prozent des durchschnittlichen Umsatzes der Jahre 2015 bis 2019 verlieren, könnten mit zusätzlichen Beiträgen unterstützt werden, so dieses Anliegen in Bern gutgeheissen wird. «Hinweise auf ein Geschäft, das wieder in die Gänge kommt, dürfte die Verhandlungsposition der Reiseveranstalter schwächen», heisst es im Artikel weiter.

«Nicht förderlich für unsere Arbeit in Bern»

Der Zorn bei Reisebüro-Inhabern, dass eine der führenden Schweizer Tageszeitungen eine solch missverständliche Message in den Raum stellt, ist nun jedenfalls gross. Schon im Artikel selber gibt Globetrotter-Group-CEO André Lüthi Gegensteuer: «Wir brauchen die Staatshilfen mehr denn je. Die Branche wird im laufenden Jahr einen Umsatzeinbruch von 80 Prozent und mehr verzeichnen.» In den sozialen Medien doppelt Lüthi nach: «Kunden gehen wieder ins Reisebüro? Welche Kunden? Bitte Vorsicht mit solchen Aussagen; sie sind nicht förderlich für unsere Arbeit in Bern.»

«Das ist einfach wahr! Es ist ein Herumdūmpeln für alle Reisebüros, Kunden wollen alle zuwarten», reagiert Jonas Sulzberger vom Reisebüro Sulzberger auf Lüthis Post. Und Reiseunternehmer Roland Zeller (Aktion Mayday) kann auch nur den Kopf schütteln: «Kunden gehen wieder ins Reisebüro? Woher kommt das jetzt? Falls dem so sein sollte, dann wohl nur, um die Herbstferien umzubuchen oder zu schauen, ob es das Reisebüro – das einem noch eine Rückerstattung schuldet – noch gibt.»

Als einen völligen Humbug bezeichnet ein weiterer Reisebüro-Inhaber den Artikel, Gerardo Ricigliano von ITM Travel: «Also bei uns ist der Umsatz momentan praktisch 0,00. Wahrscheinlich kommen die Kunden ins Reisebüro, um zu fragen, wann sie ihr Geld für die annullierte Reise zurückbekommen.»

Immerhin heisst es im letzten Satz des Artikels, «die Durststrecke ist noch lange nicht vorbei». Diese Aussage trifft die Realität präziser.

(GWA)