Reiseanbieter

Prof. Dr. Christian Laesser (Universität St. Gallen), SRV-Geschäftsführer Walter Kunz, SRV-Präsident Max E. Katz und Olaf Nink (CEO Allianz Partners) erläuterten im Hotel Schweizerhof die jüngste, dramatische Entwicklung der Schweizer Reisebranche. Bild: TN

Ansprechendes 2019, rabenschwarze Aussichten

Gregor Waser

An der alljährlichen SRV-Medienkonferenz verblassen die eigentlich guten 2019er-Zahlen. Die Pandemie hat die Reisebranche im Würgegriff. Gemäss der Studie der Universität St. Gallen dürfte die Krise 3000 Jobs kosten.

Schon zum 26. Mal in Folge präsentiert der Schweizer Reise-Verband (SRV) zusammen mit dem Versicherer Allianz die jüngsten Reise- und Buchungstrends der Schweizer Bevölkerung und befragt zum 21. Mal mit Hilfe der Universität St. Gallen Reisebüros nach ihren Perspektiven. Waren in den Vorjahren der Befund und die Aussichten meist «verhalten positiv», ist im Jahr 2020 alles anders: die Aussichten sind rabenschwarz, die Reisebranche steht mit dem Rücken zur Wand, ein flächendeckendes Jobsterben droht.

SRV-Präsident Max E. Katz bringt bei der Begrüssung im Hotel Schweizerhof in Zürich die Lage auf den Punkt: «Wir haben keinen Einfluss auf unser Geschäft. Unser Schicksal liegt in den Händen von Politikern und Epidemiologen.»

Nun schaut die Branche gespannt nach Bern. Am Mittwoch wurde im Nationalrat eine Motion zur Unterstützung von Härtefällen gutgeheissen – darunter fällt auch die Reisebranche –, doch ob der Vorstoss auch beim Stände- und Bundesrat abgenickt wird, ist noch offen.

70 Prozent Umsatzverlust

Die Universität St. Gallen richtete den diesjährigen Fragekatalog an rund 600 Reisebüros, 324 nahmen bei der Umfrage Teil – und zeichnen ein düsteres Bild. Der Umsatzrückgang dürfte sich im zweiten Halbjahr 2020 auf 70 Prozent belaufen. 83 Prozent aller Reisebüro-Mitarbeitenden sind in Kurzarbeit. «Tourismus bedingt eine Ortsveränderung», beschreibt Prof. Dr. Christian Laesser in der Studie die Situation, «dies ist aus einer pandemischen Sicht nicht gewollt. Touristische Produkte wie Attraktionspunkte kreieren Enge und bedingen Wartezeiten und -kolonnen – wenn keine Reservation möglich ist –, auch das ist nicht gewollt.» Die neue Situation und die damit verbundenen Schutzkonzepte bedingten ein Überdenken vieler Produkte und Prozesse – dies aber mit Kostenfolgen. Und im wissenschaftlichen Ton lautet die Perspektive nüchtern: «Die Rezession und die damit verbundenen Unsicherheiten werden die Nachfrage insgesamt dämpfen. Nachfrage ist immer noch eine Funktion von Einkommen und gesicherten Einkommensperspektiven.»

Bezüglich der künftigen Mitarbeiter-Situation in der Schweizer Reisebranche, hält die Studie der Universität St. Gallen ein fatales Szenario fest: Man kann das Ausmass der vorübergehend aufgrund des Umsatzverlustes abzubauenden FTE (Full Time Equivalent) schätzen. Die Überlegungen gehen dahingehend, dass jeder Verlust einer gesamten Einheit «Umsatz pro FTE» im stationären Vertrieb zu einer entsprechenden Reduktion einer FTE führt. Kurz: Jeder Verlust von ca. 1 Mio. Umsatz im stationären Betrieb resultiert wahrscheinlich in einem Verlust eines FTE.

Allein bei allen an dieser Umfrage teilnehmenden Unternehmen könnte bei einem Gesamtumsatz von 1'241 Mio. CHF und einem Umsatzverlust von 844 Mio. CHF insgesamt knapp 900 FTEs verloren gehen. Davon ausgehend, dass das vorliegende Sample ca. ein Drittel bis ein Viertel aller Reisebüros in der Schweiz repräsentiert, wäre für die Schweiz mit einem Arbeitsplatzverlust in Höhe von rund 3'000 FTE zu rechnen.

Vor diesen dramatischen Aussichten wurde das vergangene, ansprechende Reisejahr nur am Rand gestreift. Der Rückschlag der Covid-19 Krise macht eine positive Entwicklung im Vorjahr zunichte: 2019 hat der durchschnittliche Umsatz der an der Umfrage teilnehmenden Schweizer Reisebüros im Vergleich zum Vorjahr um 9,6% zugenommen, nämlich von 2,98 auf 3,28 Mio. CHF. Der durchschnittliche Umsatz pro Mitarbeiter hat dagegen abgenommen, nämlich von 0,96 Mio. auf 0,93 Mio. CHF. Der Mehrumsatz wurde also vor allem mit zusätzlichen Stellenprozenten generiert. Diese Entwicklung erhält nun aber einen Knick.

Die Reiselust wäre vorhanden

Trotz Pandemie, ausgefallenen Flügen und vieler Einreiserestriktionen: die Schweizer Reiselust ist ungebrochen. Dies geht aus der Studie «Buchungs- und Reiseverhalten» von Allianz Partners hervor, die CEO Olaf Nink präsentiert. Ferien erfolgen aber vermehrt im eigenen Land und werden kurzfristig geplant, geht aus den Resultaten hervor. Buchungen finden meist direkt beim Anbieter oder auf Online-Buchungsplattformen statt, lautet eine weitere Konklusion, die aber weder den SRV noch seine Mitglieder freuen kann.

Bei der Wahl des Transportmittels kam es zu wenigen Überraschungen. Das eigene Auto konnte dank Corona-Pandemie und Nachhaltigkeitstrend den Abstand zum Flugzeug weiter ausbauen. So wird das eigene Auto im Mittelwert für jede zweite Reise genutzt. Viel- und Gelegenheitsflieger sind stark zurückgegangen – jede und jeder zweite Umfrageteilnehmer nutzt das Flugzeug nur noch selten.

Das Coronavirus hat die Reisepläne im Jahr 2020 bei einem Viertel der Teilnehmer nicht beeinflusst. Die anderen Teilnehmer mussten ihre Pläne bereits anpassen oder sind sich noch nicht sicher, wie die Pandemie die Reisepläne beeinflussen wird.

Umfrage: Allianz Partners.

Diese Unsicherheit hat zur Folge, dass Schweizerinnen und Schweizer planen, in Zukunft weniger weit weg zu reisen, genauer auf Storno-Bedingungen zu achten oder die Reisen kurzfristiger und direkt beim Anbieter zu buchen. Primär beabsichtigt aber jede und jeder zweite Befragte vermehrt die Ferien in der Schweiz zu verbringen.

Die Forderungen des SRV

Das Schlusswort an der diesjährigen SRV-Präsentation gehört Max E. Katz, der sich an die Politik richtet: «Es geht um die gesunden Unternehmen, um 1300 Reisebüros, die grossmehrheitlich mit Gewinn gearbeitet haben. Wir sind eine Branche, die den Wandel zur Digitalisierung schon durchgemacht hat. Es geht nicht um Strukturwandel». Weiter unterstreicht Katz, dass diese Krise unverschuldet die Reisebranche trifft und dass diese Krise nicht beinflussbar sei.

«Eine noch nie dagewesene Situation!», beschreibt der SRV-Präsident die dramatische Lage und verweist auf die Hanser-Studie: 40 Prozent der Unternehmen und 3000 Jobs sind gefährdet. Der Verlust dürfte auf über 500 Millionen Franken Ende 2020 anwachsen, das Eigenkapital auf Null sinken. Auch das System des Garantiefonds stehe vor dem Kollaps, Konsumenten könnten zu Schaden kommen.

«Solange keine Planungssicherheit besteht, können Reisebüros nicht arbeiten - wir können unseren Job nicht machen. Es geht um den Härtefall der Reisebranche». Es könne nicht sein, dass die vielen Reisebüro-KMU-Inhaber seit Juni keinen Erwerbsersatz erhalten. «Dies ist systemisch völlig falsch. Zwar haben diese Reisebüro-Inhaber teils 30 Jahre lang Arbeitslosenbeiträge bezahlt, stehen jetzt aber ohne Hilfe da. Das kann nicht sein. Wir brauchen Überbrückungshilfen und einen Anteil der Fixkosten erstattet - nach dem Beispiel von Deutschland und Österreich. Und wir brauchen diese Hilfe jetzt, für viele ist November oder Dezember zu spät.»