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Viele Reisebranchenunternehmen versinken in finanzieller Misere, doch auf schnelle Hilfe ist nicht zu hoffen. Bild: Alex Iby

Kommentar Hallo Politik: Die Fakten und gangbare Lösungsansätze liegen vor!

Jean-Claude Raemy

Der Berg hat eine Maus geboren: Auf die Verlängerung des Rechtsstillstandes hatte in der Reisebranche niemand gewartet. Die wirklich wichtigen Themen werden wohl erst in der Herbstsession des Parlaments behandelt. Die Reisebranche ist zweifellos ein Härtefall und diverse, relativ wenig kostspielige Hilfslösungen liegen vor. Jetzt muss einfach die «Sensibilisierungsmaschinerie» der Reisebranche anlaufen.

Am gestrigen Mittwoch (26. August) hielt die ganze Schweizer Reisebranche die Luft an: Was wird der Bundesrat für Hilfe sprechen? Nun, die Antwort war kurz und knapp: Der Bundesrat tat, was er tun durfte, nämlich eine Verlängerung des Rechtsstillstands bewilligen. Das war's vorerst. Damit können Reiseunternehmen noch etwas länger vor Rückforderungen geschützt sein. Klar, einige Rückvergütungen von Seiten der Leistungsträger (vor allem Airlines) an Reisevermittler stehen noch aus. Doch auf den Rechtsstillstand hatten die wenigsten gewartet - erhofft hatte man sich Hilfe in Form von Cash.

Seien wir ehrlich: Einen à-fonds-perdu-Kredit hatten nur die Allerwenigsten erwartet. Aber direkte Finanzhilfe schon, zumindest in Form einer (rückwirkenden) Kurzarbeitsentschädigung für Angestellte in arbeitgeberähnlicher Position oder ähnlicher Massnahmen. Nur: Der Bundesrat hat im Juni, als man in der Schweiz mit den Lockerungen begann und «zurück in die Normalität zu schreiten» versuchte, auch das Notrechts-Regime beendet. Dadurch konnten die Kantone in der «besonderen Lage» (zuvor galt eben eine «ausserordentliche Lage») wieder mitreden. Und der Bundesrat durfte ab jenem Zeitpunkt wieder nur noch Geld ausgeben, welches vom Parlament bewilligt ist. Zu einer klaren Empfehlung ans Parlament bezüglich Hilfen hat sich der Bundesrat allerdings nicht durchgerungen - offenbar, weil man sich innerhalb der einzelnen Departements nicht einig war. Derweil entstehen mit der Lösung des verlängerten Rechtsstillstands keine Kosten für den Bund. Die grosse Erwartungshaltung an den Bundesrat ist damit vorerst vom Tisch.

Die Instrumente zum Schutz betroffener Branchen müssen, sofern mit Ausgaben verbunden, also vom Parlament bewilligt sein. Dieses trifft sich zur nächsten Session (Herbstsession) vom 7.-25. Oktober. Einerseits heisst das, dass die klammen Reisebüros nochmals mehrere Wochen warten müssen, bevor ein Entscheid - falls überhaupt - getroffen wird. Andererseits ist die Zeitspanne aber auch recht kurz, um nun den «Plan B» der Taskforce der Schweizer Reisebranche zu aktivieren. Die Parlamentarier müssen auf breiter Ebene von der Not der Reisebranche und der Dringlichkeit von Finanzhilfen überzeugt werden, und dafür auch entsprechende Instrumente entwickeln - innert der kommenden 1-2 Wochen!

Diverse Lösungen auf dem Tisch

Eigentlich liegt aber bereits ein Papier vor, in welchem die Notlage detailliert beschrieben ist: Das von Hanser Consulting ausgearbeitete, dem Bundesrat vorgelegte Papier «Stabilisierung Reisebürobranche», in welchem der Handlungsbedarf für eine Sonderlösung in der Reisebürobranche ausgelotet wird. Darin wird auch klar dargelegt, weshalb man der Branche helfen muss. Im Bericht steht unter anderem ganz klar:

  • Wegen der zu erwartenden Umsatzrückgänge von 70–80% im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr und der spezifischen Folgen aus den Regelungen im Pauschalreisegesetz ist die Reisebürobranche - im Vergleich zu anderen Branchen - eine von der Covid19-Krise stark betroffene Branche.
  • Aufgrund der in diesem Bericht berechneten Szenarien ist davon auszugehen, dass die Reisebürobranche im Jahr 2020 (inkl. bereits beschlossener staatlicher Stabilisierungsmassnahmen) gesamthaft einen Verlust von CHF 374–523 Mio. aufzufangen hat. Dies würde das gesamte in der Branche vorhandene Eigenkapital vernichten. Damit ist ein grundsätzlicher Handlungsbedarf für die Stabilisierung der Reisebürobranche gegeben.
  • Es ist von einem hohen Konkursrisiko/Schliessungsrisiko für bis zu 40% der Unternehmen in der Branche auszugehen und nahezu alle Unternehmen dürften gezwungen sein, einschneidende Restrukturierungs- und Sanierungsmassnahmen umzusetzen.

Dass also die Reisebranche ein «Härtefall» ist, wird sauber untermauert. Im Bericht werden zudem mögliche Unterstützungsmassnahmen zur Stabilisierung der Reisebürobranche skizziert, wie sie für andere Branchen in der Schweiz bereits in Kraft sind oder auch in anderen Ländern für die Reisebürobranche diskutiert werden. Eine davon ist die soeben bewilligte Verlängerung des Rechtsstillstands. Aber die anderen möglichen Massnahmen sind noch auf die lange Bank geschoben. Wovon ist die Rede?

Primär wird empfohlen, die Quarantänepflicht mit einem Testzwang bei der Einreise und mit der Einrichtung von Massentestanlagen an den Flughäfen (evtl. sogar Grenzübergängen) zu ersetzen. Dies würde für mehr Buchungssicherheit sorgen. Die grosse Frage hier stellt sich hinsichtlich der Kosten; die technische Machbarkeit ist unbestritten und dies wird ja bereits auch im Ausland teils gemacht. Nur kommt nun beispielsweise Deutschland offenbar wieder davon weg, Gratis-Tests bei der Rückreise zu bieten. Eine weitere Massnahme, die im Ausland teils bereits umgesetzt wird, betrifft eine Anpassung des Geschäftsmietegesetzes. Dadurch könnten Reisebüros mittels Mietzinsentlastungen Kosten sparen. Notwendig ist hierfür die Zuordnung der Reisebüros zu den «betroffenen Branchen» - was wie oben erwähnt eigentlich eine klare Sache sein müsste. Und als Drittes gäbe es die Möglichkeit, die Administrationskosten der einzelnen Garantiefonds zu übernehmen - eine «Kleinmassnahme», weil die Reisebüros damit lediglich die Jahresgebühr für die Teilnahme im entsprechenden Garantiefonds einsparen. Immerhin würden diese stabilisiert.

Natürlich werden hier auch abermals die Lösungen der verlängerten Entschädigungen für Personen in arbeitgeberähnlicher Position sowie die Verlängerung der EO-Entschädigungen für Selbstständige vorgeschlagen. Die Zusatzkosten für den Bund belaufen sich, sollten beide Entschädigungsberechtigungen verlängert werden, laut der Analyse auf rund 30 Millionen Franken. Ein Klacks. Zur Erinnerung: Mit der Nachtragskreditbotschaft IIb vom 12. August 2020 beantragte der Bundesrat 13 Nachtragskredite im Umfang von rund 770 Millionen Franken. Die Kredite betreffen schwergewichtig die Kosten für Coronatests (288,5 Millionen), eine zusätzliche Einlage in den Bahninfrastrukturfonds (221,3 Millionen) und die Rekapitalisierung von Skyguide (150 Millionen). Ein grösserer Teil des Nachtragskredits wird als ausserordentlicher Zahlungsbedarf beantragt (476 Millionen). Knapp 50 Prozent der Nachträge werden in bereits bewilligten Krediten kompensiert. Diese Kredite führten zu keinen grossen Diskussionen, wurden also auch von der parlamentarischen Finanzkommission zur Bewilligung empfohlen.

Lassen Sie die Branche nicht sterben!

Alle dargelegten Lösungen durchzubringen, ist jedoch wohl illusorisch. Schon nur alle Lösungsmodelle zu behandeln, dürfte den Rahmen des Möglichen sprengen - dafür ist die Zeit zu knapp und das demokratische System zu träge. Aber schaut man sich die potenziell entstehenden Kosten an, erhält man schon den Eindruck, dass es eigentlich wenig bedürfte, um doch ein Gros der Reisebranche zumindest nochmals über eine gewisse Zeit hinaus retten zu können.

Es ist klar, dass eine finanzielle Hilfe nicht ewig anhalten kann. Und ja, nach der totalen Kontraktion zwischen März und Juni war es wohl voreilig zu denken, ab Juni laufe es wieder an. Die jüngere Vergangenheit hat uns gelehrt, dass es erst einmal nichts wird mit der Erholung. Nach dem Sommergeschäft ist auch das Herbstgeschäft weitgehend futsch, wohl auch das Wintergeschäft. Die Prognosen laufen jetzt dahin, dass man vorsichtig optimistisch für den Sommer 2021 ist. Irgendwann muss ja die Staatengemeinschaft valable Lösungen finden, denn die Quarantäneregeln, Grenzschliessungen und Zurückbindungen ganzer Wirtschaftszweige können ebenfalls nicht ewig anhalten! Bis dahin wird es aber, so oder so, noch einige Reiseunternehmen «lupfen».

Damit ist aber auch klar: Damit es nicht noch viel schlimmer als ohnehin schon wird, muss sich das Parlament schon im September dazu durchringen, eine Finanzhilfe für den «Härtefall Reisebranche» zu leisten, in einer oder mehreren Varianten der oben genannten Lösungen. Die Taskforce Reisebranche und die von ihr beauftragte Kommunikationsfirma FurrerHugi, letztlich aber alle Firmen der Schweizer Reisebranche im weitesten Sinn müssen nun nochmals mit Volldampf auf ihre missliche Lage aufmerksam machen und gleichzeitig auch bereits Vorkehrungen treffen, um weitere magere Monate überstehen zu können.

Aber seien wir auch realistisch: Selbst wenn eine oder mehrere der oben genannten Lösungen umgesetzt werden kann, ist es noch nicht der grosse Befreiungsschlag für die Branche. Demnach bleibt nur zu hoffen, dass die Welt 2021 einigermassen wieder in die Fugen kommt und Reisen wieder eine «Commodity» statt ein Vabanquespiel sein können. Ansonsten droht tatsächlich der Case, dass 40 Prozent der Schweizer Reiseunternehmen bzw. gegen 3000 Arbeitsplätze verschwinden könnten. Es lohnt sich auf jeden Fall, jetzt nochmals alles zu versuchen, damit dies nicht geschieht.