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Die Globettrotter Travel Service hat ihre Firmenstruktur im Juni in die Soziokratie umgewandelt. Bild: Globetrotter

Brennpunkt Soziokratie

Dass bei der Globetrotter Service AG die zukünftige Belegschaft nach dem Prinzip der Soziokratie ausgewählt wird, hat hohe Wellen in den Medien geschlagen. Doch was bedeutet eigentlich Soziokratie, und wie ist Globetrotter vorgegangen? Travelnews klärt auf.

Die Globetrotter Travel Service AG musste in den vergangenen Tagen scharfe Kritik aus den Medien einstecken. Nachdem der «Tagesanzeiger» als erste Zeitung einen Artikel über das Entlassungsverfahren des Unternehmens publizierte, schlug die Nachricht hohe Wellen in der Schweizer Medienlandschaft. Dem CEO wird vorgeworfen, dass er sich der Verantwortung entziehe, weil die Angestellten entscheiden, wer dem Unternehmen erhalten bleibt und wer eben nicht. In den Kommentarspalten der Zeitungen wurde teils heftig diskutiert und unter anderem waren Aussagen zu lesen wie «es zählt also jetzt nur die Symphatie der Mitarbeitenden». Schliesslich hat das Online-Newsportal «watson» zwei Organisationspsychologen zum Thema gefragt. Einer davon beschrieb das Vorgehen unter anderem als «Akt purer Feigheit». Aber betrachten wir alles mal von Anfang an:

Am 25. Juni 2020 hat die Globetrotter Travel Service AG in einer Mitteilung angekündigt, dass die Firmenstruktur angepasst wird. Neu würde die Entscheidungskompetenz nach Regeln der Soziokratie thematisch den relevanten Mitarbeitenden anvertraut. Dieser Entscheid erfolgte, nachdem sich die Führungskräfte aufgrund der Pandemie und deren verheerenden Auswirkungen auf die Reisewelt befasst hatten. Ab sofort sollte also die «Globokratie», eine abgeänderte Form der Soziokratie, im Unternehmen zur Anwendung kommen. Ziel der Organisationsform: Die Mitarbeitenden können die Zukunft ihres Unternehmens aktiv mitgestalten.

Doch was bedeutet eigentlich Soziokratie? Die Entstehung geht bereits auf Mitte des 20. Jahrunderts zurück. Diese Form des Managements geht von der Gleichberechtigung der Individuen aus und beruht auf dem Prinzip des sogenannten Konsents. Soll heissen: Eine Entscheidung kann nur getroffen werden, wenn niemand der Anwesenden einen schwerwiegenden Einwand im Sinne der gemeinsamen Ziele hat. Konsent ist also nicht dasselbe wie Konsens. Nur bei letzterem müssen alle einverstanden sein. Soziokratie ist denn auch nicht das gleiche wie Basisdemokratie. Grundsätzlich basiert dieses Modell gemäss dem «Soziokratie Zentrum Österreich» auf vier Basisprinzipien:

  1. Konsent: Entscheidungen werden mit Hilfe von Moderation im Konsent getroffen. Alle Einwände werden gehört und in den Vorschlag integriert.
  2. Die Kreisorganisation: Die Organisation verfügt über eine Struktur zur Beschlussfassung, die auf miteinander verbundenen Kreisen aufbaut. In diesen Kreisen regiert das Konsentprinzip. Diese Struktur umfasst alle TeilnehmerInnen der Organisation.
  3. Die doppelte Verknüpfung: Jeder Kreis ist mit seinem übergeordneten Kreis «doppelt gekoppelt». Neben der Leitung werden Delegierte gewählt, die im übergeordneten Kreis mitsteuern und berichten.
  4. Offene Wahl: Menschen, die Funktionen und Aufgaben übernehmen sollen, werden in einem moderierten Prozess nach offenem Diskurs im Konsent gewählt.

Anwendung der Soziokratie bei Globetrotter

Mit der Mitteilung der Änderung der Firmenstruktur hat das Unternehmen auch seine Geschäftsleitung neu aufgestellt und die Schliessung von vier Filialen bekanntgegeben. Diese Schliessungen wurden laut Aussagen von CEO Dany Gehrig von den Filialleitern erarbeitet. «Sie hatten von der Geschäftsleitung die Vorgabe, 2021 mit 40% weniger Umsatz auszukommen, dabei aber noch eine EBIT-Marge von 1,5% zu erzielen», sagte der CEO damals. Folglicherweise kann das Unternehmen auch nicht alle Mitarbeitenden durch die Krise manövrieren und ein Stellenabbau ist unumgänglich.

«Der Prozess ist intern noch nicht abgeschlossen und dauert noch bis Ende September», sagt Dany Gehrig auf Anfrage von Travelnews. Angesprochen auf die Frage, wie denn dieser Prozess im Unternehmen genau aussehe, erklärt er: «Mit der Information an die Filialleiter, dass sie im kommenden Jahr mit 40 Prozent weniger Umsatz rechnen müssen, hatten diese die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu definieren. Darin wurden beispielsweise die maximalen Stellenprozente, welche es in der Filiale zu vergeben gibt, festgehalten. Oder der Filialleiter gibt vor, dass er jemanden brauche, der mindestens 1,2 Millionen Franken Umsatz macht.» Aber auch Kriterien wie Länderkenntnisse oder Marketingerfahrungen könnten als Vorgabe dienen - diese Verantwortung liege bei den Filialleitern.

Im Anschluss wurden diese intern ausgeschrieben und es ist ersichtlich, welche Filiale welche Fähigkeiten und Kompetenzen sucht. Die Mitarbeitenden können sich anschliessend auf die Nominationsliste setzen, wenn sie auf das Profil zutreffen. «Danach treffen sich die Nominierten und Filialleiter zu einer Entscheidungsrunde, ich bin ebenfalls als Moderator anwesend. Die Bewerber heben im Gespräch ihre Stärken hervor und es wird argumentiert, warum man selbst am besten zur ausgeschriebenen Stelle passt.» Im Anschluss macht der Moderator – in diesem Falle der CEO Dany Gehrig – einen Vorschlag zur Teamzusammensetzung. Die Mitarbeitenden haben wieder die Möglichkeit, einen Einwand zu erheben. Es werde so lange diskutiert, bis eine Lösung gefunden wird für welche kein schwerwiegender Vorwand vorliegt. Nicht zur Person, sondern zum Vorschlag.

«Es gab natürlich die Situation, dass am Ende beispielsweise noch vier Bewerber, aber nur eine Stelle übrig waren. Und natürlich ist es hart, wenn dann Personen gehen müssen - dies nimmt die Soziokratie nicht weg», bedauert der CEO.

Positive Rückmeldungen der Mitarbeitenden

Die Soziokratie wurde bei Globetrotter erst vor zwei Monaten eingeführt. Dies wirft die Frage auf, ob sich diese Organisationsform in einer so kurzen Zeit kulturell im Unternehmen genug verankert hat, dass man den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diese Verantwortung übertragen kann. Der CEO bestätigt gegenüber Travelnews, dass es von einzelnen Mitarbeitenden Widerstand zur neuen Organisationsform gegeben hat. «Eine Begleitung von etwas Neuem ist meistens die Angst», gibt Gehrig zu bedenken. Er habe aber auch viele positive Rückmeldungen erhalten, weil durch dieses Vorgehen eine Selbstreflexion stattfindet und die Mitarbeitenden verstehen, weshalb sie dem Anforderungsprofil vielleicht nicht hundert Prozent entsprechen.

Ob das gewählte Vorgehen von Globetrotter richtig oder falsch ist, hängt also von den ganz konkreten Umständen ab. Die Hauptfrage lautet, ob die Mitarbeitenden und Filialleiter mit dem Soziokratie-Modell auch bei anderen zukunftsgerichteten Fragen die gleiche Verantwortung tragen wie jetzt in der Umstrukturierung. Denn nur dann kann auch wirklich von Soziokratie gesprochen werden. Dass solche Organisationsmodelle für die Mitarbeitenden nicht nur eitel Freude bedeuten, ist der Preis für die übertragene Verantwortung.

(NWI)