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Marcel Gehring in seinem Büro in Schaffhausen: «Mit den verbleibenden Reisebüro-Partnern intensivieren wir künftig noch die Zusammenarbeit.» Bild: zVg

«Die Retailer werden jetzt vermehrt den Wert der Spezialisten-Dienste erkennen»

Jean-Claude Raemy

Marcel Gehring ist seit Kurzem neuer Geschäftsführer von Let’s go Tours in Schaffhausen. Im Interview mit Travelnews schildert er die turbulente Startzeit beim TTS-Spezialisten und warum er zuversichtlich in die Zukunft schaut.

Herr Gehring, Sie haben zu einem denkbar «aussergewöhnlichen» Zeitpunkt die Führung von Let’s go Tours von Kurt Zürcher übernommen. Wie haben Sie die ersten Monate erlebt?

Zum Zeitpunkt, als ich mit Kurt Zürcher einig wurde, war Corona noch kein Thema. Geplant war die Übernahme der Geschäftsführung im April 2020. Letztlich blieb Kurt Zürcher noch länger im Unternehmen, denn in so einer Situation machte eine sofortige Übergabe der Geschäfte keinen Sinn. Er blieb vor allem aktiv mit der Abwicklung bestehender Dossiers, während ich mich verstärkt mit Zukunftsthemen beschäftigte. So erfolgte die Übergabe sukzessiv und etwas später. Seit Juli habe ich die operative Leitung übernommen. Aber Kurt Zürcher ist natürlich weiterhin mit dem Unternehmen verbunden, als Verwaltungsratspräsident, und bringt so seine unschätzbaren Erfahrungen und Kontakte weiterhin ein.

Haben Sie nie gezweifelt, ob Sie den Job überhaupt noch wollen?

Auf keinen Fall. Klar, wir müssen jetzt hart alle Kosten überprüfen und den Start hatte ich mir nicht so vorgestellt, aber ich glaube weiterhin felsenfest an diese Firma. Die Kommunikation mit Kurt Zürcher war und ist stets exzellent und ich kann auf ein erfahrenes Team aus langjährigen Mitarbeitenden bauen. Ich freue mich auf die noch bevorstehenden Aufgaben. Man muss in Krisen auch Chancen erkennen.

Zum Beispiel?

Zum einen sind wir klein und agil und sehr gut und schon seit vielen Jahren mit den Partnern in den von uns angebotenen Zielländern vernetzt. Wie erwähnt haben auch die Mitarbeitenden eine enorme Erfahrung und sind bestens vernetzt. Das hilft bei der Bewältigung von Problemen vor Ort, aber auch beim Hochfahren der Angebote. Ich denke, der Markt braucht Sicherheit und Vertrauen, sowohl beim Reiseland als auch beim Reiseanbieter, und das können wir bieten. Das ist aktuell wichtiger als Rabattschlachten, zumindest in den von uns angebotenen Fernzielen.

Sie können aber aktuell nur eine Handvoll Ziele anbieten – die Malediven, die Seychellen, Tansania, den Libanon und Dubai. Gibt es dazu auch schon Nachfrage?

Wir freuen uns natürlich über jede Destination, welche noch zusätzlich die Grenzen öffnen wird. Wir hoffen, dass dies etwa bald bei Mauritius oder weiteren afrikanischen Ländern der Fall sein wird. Aktuell trudeln vereinzelt Neubuchungen herein, teils haben wir auch schöne Kurzfristbuchungen als kleine Erfolgserlebnisse. Aber die Anfragen häufen sich.

«Wir hoffen, dass wir mit einem guten Herbst- und Wintergeschäft die Probleme noch etwas abfedern können.»

Wie sieht denn das Geschäftsjahr bislang aus?

Unser Geschäftsjahr dauert von April bis März. Das heisst, dass wir natürlich bis jetzt weit unter Vorjahr liegen. Es kommt uns aber entgegen, dass zu Beginn unseres Geschäftsjahres mit Ausnahme von Afrika in fast allen Destinationen Nebensaison ist. Wir hoffen also, dass wir mit einem guten Herbst- und Wintergeschäft die Probleme noch etwas abfedern können. Der September und Oktober werden für uns ganz entscheidend. Wir hoffen natürlich, dass sich die Lage weiter entspannt.

Aktuell ist es zudem so, dass wir noch sehr viele aktive Buchungen im Herbst und Winter haben. Teils weil so gebucht wurde, teils weil Frühjahresreisen in den Herbst verschoben wurden. Wir hoffen, diese alle durchführen zu können. Das würde die Lage deutlich entschärfen.

Also keine Rückgänge von 80 Prozent oder mehr wie teils bei Mitbewerbern?

Ich kann keine Garantien abgeben, weil die Lage weiterhin volatil ist. Der Rückgang wird sicherlich bei mindestens 50 Prozent gegenüber Vorjahr sein. Aber wir hoffen eben, dass wir noch einiges retten können.

Was ist denn für 2021 budgetiert?

Es existiert ein Budget, aber ehrlich gesagt ist es angesichts der aktuellen Entwicklungen ein ziemlicher Schuss ins Blaue. Sinnvolle Prognosen sind fast nicht möglich. Wir rechnen mit einer deutlichen Besserung, aber noch keiner Rückkehr zu früheren Zahlen. Deshalb bleibt die Kostenseite vorrangig.

Was wurde denn hinsichtlich der Kostenkontrolle bisher gemacht? Kommt noch mehr?

Natürlich wurde auch bei uns Kurzarbeit eingeführt. Wir haben zudem einen Kredit beantragt und erhalten, diesen aber bislang noch nicht angetastet und ich hoffe auch, das bleibt so. Wir werden aber noch eine weitere Verlängerung der Kurzarbeit beantragen. Ansonsten kommen wir gut durch. Die Firma ist sehr solid aufgestellt.

Wie viele Mitarbeitende haben Sie denn? Gab es da zuletzt Änderungen?

Wir haben 27 Angestellte, inklusive den Lernenden, total sind dies rund 22 Vollzeitstellen. Stand jetzt sind alle da, seit Beginn der Coronakrise wurde niemand entlassen und es gab auch keine Abgänge. Es ist unser oberstes Ziel, dass es so bleibt – schon nur aus der Überlegung heraus, dass wir auf das ganze Know-how und die Erfahrung unserer Mitarbeitenden zurückgreifen wollen, wenn es dann wieder verstärkt losgeht im Reisebusiness. Aber klar, es muss bald was gehen, damit es so läuft. Sehr langfristige Garantien kann aktuell niemand geben.

Wird eigentlich im Homeoffice gearbeitet?

Homeoffice-Zwang gibt es keinen, aber die Möglichkeit dazu gibt es noch. Ich habe aber festgestellt, dass die meisten eh lieber im Büro arbeiten. Wegen der Kurzarbeit ist es dort auch nie so voll besetzt, als dass man Distanzierungsregeln nicht mehr befolgen könnte

«Ich denke, die Schweiz hat den grössten Teil der Marktbereinigung bereits hinter sich, vor allem bei Veranstaltern, aber auch bei Retailern.»

Nochmals zum Stichwort «Garantien». Die ganze Unsicherheit, sowohl für Mitarbeitende als auch für Kunden, ist ein enormes Problem. Wie gehen Sie als KMU damit um?

Wie gesagt, der Informationsbedarf ist aktuell hoch, und da zahlt es sich aus, über erfahrene, spezialisierte Mitarbeitende zu verfügen. Aber es gibt diverse Pferdefüsse, die uns aktuell das Leben schwer machen, und gegen welche man kaum gewappnet sein kann. Da ist einmal der Quarantäne-Entscheid des Bundes, welcher für die Outgoing-Reisebranche viel Unsicherheit schafft – es regt ja nicht zum Buchen an, wenn man nicht weiss, ob das Ferienziel bald auf der Risikoliste des Bundes landet. Zum anderen sind die unübersichtlichen und teils aufwändigen Einreisebestimmungen weiterhin mancherorts eine Hürde. Nicht zuletzt geben uns natürlich auch die Airlines weiterhin Probleme auf, wegen fehlender Rückvergütungen, aber auch wegen der ganzen Unsicherheit dazu, ob Flüge überhaupt durchgeführt werden, und wegen der komplizierten und teils für Kunden nachteiligen Umbuchungsprozeduren.

Nachteilig?

Man darf gratis umbuchen, muss aber bei einem späteren Flug die Tarif-Differenz bezahlen. Das ist nicht gerade kundenfreundlich. Zudem wird ja teils trotzdem geflogen, obwohl die Einreise für den Passagier keinen Sinn mehr macht – eben wegen geänderter Quarantänebestimmungen – und trotzdem ist dann teils der Passagier gezwungen, auf eigene Kosten zu annullieren. Solche Sachen schaffen keine Planungssicherheit oder stärken das Vertrauen.

Wir müssen halt auch die positiven Seiten in den Vordergrund stellen: Viele Reiseziele sind jetzt so schön wie nie, weil es deutlich weniger Besucher hat. Das kommt uns teils schon auch entgegen: Viele Afrika-Reisende beispielsweise sind schon per se «risiko-affiner» eingestellt und gehen jetzt erst recht – auch weil man nun wirklich die Länder noch besser geniessen kann.

Ist das tatsächlich so?

Schauen wir weiterhin nach Afrika: Die Lodges dort haben allesamt Schutzkonzepte erarbeitet und umgesetzt, das ist auch im Indischen Ozean oder anderswo so. Die Länder bzw. die dort tätigen Tourismusunternehmen wissen, worum es geht. Auch die Airlines kriegen den Rank. Man wird sich an neue Prozeduren gewöhnen müssen. Nicht jeder will das schon jetzt auf sich nehmen. Wer es tut, wird dafür mit fast besucherfreien Ferienzielen belohnt.

Womit wir wieder beim Thema «Vertrauen» sind. Braucht es eine Neuausrichtung der Reisebranche, um dieses wieder herstellen zu können?

Ich denke nicht. Unser Geschäftsmodell muss nicht grundlegend neu aufgestellt werden. Wir müssen als Firma sicher noch digitaler werden, damit unsere Mitarbeitenden noch mehr Zeit für Kundenpflege und Beratung aufwenden können. Ich spreche hier aber nicht von Online-Buchbarkeit – wir sind hochgradig im B2B-Sektor aktiv, und haben nur dank den Ferienmessen ein paar Direktkunden. Nein, es geht darum, unsere Retail-Partner noch besser zu beraten und die Content-Aufbereitung noch weiter zu verbessern. Digitalisierung heisst primär Automatisierung gewisser Prozesse, die uns das Leben vereinfachen – aber nicht das Ersetzen des «Human Touch» gegenüber dem Kunden.

Es wird aber künftig weniger Retailer geben…

Das ist wohl schon so, die Corona-Krise wird noch das eine oder andere Opfer fordern. Wobei ich denke, dass die Schweiz den grössten Teil der Marktbereinigung bereits hinter sich hat, vor allem bei Veranstaltern, aber auch bei Retailern. Deutschland beispielsweise ist noch viel fragmentierter. Mit den verbleibenden Reisebüro-Partnern intensivieren wir künftig noch die Zusammenarbeit. Weniger, dafür deutlich schlagkräftigere Partner zu haben, ist nicht zwingend schlecht.

Haben Sie den Partnern auch schon alle Rückvergütungen zukommen lassen?

Ja, die Rückvergütungen wurden wo möglich alle ausgelöst, ausser natürlich, aus bekannten Gründen, bei einigen Flügen. Dazu gibt es auch bei «Gorilla Permits» in Ostafrika keine Rückvergütungen, aber man kann die Gültigkeit des Permits verschieben. Unsere Partner und Kunden zeigten da grosses Verständnis.

Die Zugehörigkeit zum TTS zahlt sich ebenfalls aus?

Ja klar, wir verkaufen das meiste über TTS-Reisebüros, aber auch viel über andere Vereinigungen und Unabhängige. Die TTS-Retailer sind stark und wir sind viel im internen Austausch mit diesen. Der TTS muss aber auch wieder wachsen. Mit Kurt Eberhard, einem Mitgründer von Let’s go Tours, hat der TTS einen umtriebigen Präsidenten voller Tatendrang. Es ist der richtige Mann für die aktuelle Situation und bringt neue Ideen ein. Von dieser Seite her mache ich mir keine Sorgen.

«Wir wollen Signale aussenden, wonach es weitergeht.»

Wie sehen Sie denn nun unter dem Strich die Zukunft des Unternehmens?

Wir sind eine stabile Firma, und wenn nun die Welt mit dem Virus umzugehen lernt und das Leben wieder weitgehend aufgenommen werden kann wie zuvor, werden wir gut über die Runden kommen. Etwas spezifischer denke ich, dass die Retailer jetzt auch vermehrt den Wert der Spezialisten-Dienste erkennen, sprich, welche Vorteile die Zusammenarbeit mit agilen Reiseveranstaltern bieten kann. Wir haben nicht nur gute Destinationskenntnisse, wir haben auch schlanke Prozesse und vor allem eben auch langjährige enge Beziehungen in die Zielgebiete hinein. Viele als Mikro-TO agierende Reisebüros hatten jetzt enorme Aufwände, die sie sich zumindest teilweise hätten ersparen können, wenn Sie mit uns oder anderen Spezialisten enger kooperiert hätten. Von daher denke ich, werden wir wohl sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Und klar denke ich auch, dass die Menschen schon möglichst bald wieder reisen wollen. Dieses Bedürfnis ist immer noch da.

Das heisst für 2021?

2021 wird schwierig bleiben, keine Frage. Wir stellen uns auf weniger Umsatz ein. Das muss nicht heissen, dass man unter dem Strich kein Geld verdient. Es ist also alles eine Frage der Anpassung des Unternehmens an neue Gegebenheiten. Und da sind wir gut unterwegs.

Ist allenfalls ein Ausbau des Portfolios ein Thema?

Nein, vorerst sicher nicht. Aber wir führen im Herbst Studienreisen durch und werden im August ganz normal mit unseren Katalogen auf den Markt kommen, im herkömmlichen Umfang. Wir wollen Signale aussenden, wonach es weitergeht. Und zeigen, dass wir weiterhin eine starke Position im Markt haben.

Was kommt für Sie persönlich als nächstes?

Ich konnte nicht an die ITB und bislang kaum reisen, d.h. ich muss das jetzt etwas nachholen, um in den mir noch weniger bekannten Zielgebieten nun möglichst schnell persönliche Kontakte zu knüpfen. TO-Führung kenne ich, aber eben, als Spezialist muss es mein Ziel sein, ebenso guten Draht zu den DMC-und Hotelpartnern in unseren Zielgebieten zu haben, wie es Kurt Zürcher hat.

Wir hatten die Frage mehr dahingehend gemeint, wann Sie denn die Firma komplett übernehmen. Unseres Wissens sind Sie aktuell ja nur minderheitsbeteiligt.

Über die Beteiligungsverhältnisse wurde Stillschweigen vereinbart. Aber ja, natürlich ist es ein Fernziel, dereinst die Mehrheit am Unternehmen zu haben. Aufgrund der aktuellen Situation ist das zeitlich sicher etwas in die Ferne gerückt. Aber das pressiert ja auch nicht.