Reiseanbieter

Die Ameise kann ein Vielfaches ihres Körpergewichts tragen. Können Reisebranche-Mitarbeitende ein Vielfaches des bisher Geleisteten vertragen? Bild: Vlad Tchompalov

Kommentar Was kann die Reisebranche Ihren Mitarbeitenden langfristig bieten?

Die Outgoing-Reisebranche vollzieht aktuell eine Rosskur, zahlreiche Stellen werden abgebaut. Die «Gesundschrumpfung» hat aus Sicht einiger auch ihr Gutes. Dies aber nur, wenn die Reisebranche eine klare Vision davon hat, wie es nach der Krise weitergehen soll. Denn einfach nur Jobs reduzieren birgt langfristige Risiken.

Schon lange wird über die «Gesundschrumpfung» der Reisebranche diskutiert. Die Touristikbranche allgemein war in den letzten Jahren massiv aufgebläht, mit der Konsequenz von Überkapazitäten - und damit verbunden deutlich zu tiefen Preisen und Margen - sowie relativ neuen Schlagwörtern wie «Overtourism», oder auch den steten Attacken gegen den Tourismus im Zusammenhang mit der globalen Umweltschutzdebatte. Hinter vorgehaltener Hand hört man denn auch immer wieder, dass jetzt eben die eigentlich längst überfällige Kurskorrektur stattfindet, beflügelt von der Corona-Krise. Doch öffentlich wird dies natürlich nicht posaunt: Warum auch, wo doch der Tourismus in den letzten Jahren spektakulär gewachsen ist wie kaum eine andere Branche?

Nun aber kommt auch die knallharte Realität immer greller hervor. Jene nämlich, dass diese Kurskorrektur eben keine langfristig geplante sanfte Reduktion ist, sondern ein Knall, in Form von kurzfristigen Redimensionierungen. Mögen Massenentlassungen bei Airlines, vielleicht mit Ausnahme von allfälligen solchen bei Swiss und Edelweiss, noch eher kalt lassen, so haben die jüngsten Ankündigungen von Schweizer Branchen-Grossunternehmen doch aufhorchen lassen. Bei Hotelplan fallen 170 Stellen weg, bei Knecht dürften es gegen die 50 sein (20 Prozent der Planstellen 2020). Globetrotter hat keine konkreten Zahlen genannt und ein eher aussergewöhnliches Prozedere für die Aussortierung gewählt, aber auch dort werden sicherlich 20-30 Stellen wegfallen. Kuoni und TUI Suisse haben sich aktuell noch nicht offiziell geäussert. Bei Kuoni (DER Touristik Suisse) wurde «eine Restrukturierung, verbunden mit dem Ziel, möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten», von CEO Dieter Zümpel bereits in der Sonntagszeitung vom 7. Juni 2020 angekündigt. Bislang liegen konkrete Entscheidungen noch nicht vor. Nimmt man die rund 20 Prozent der Belegschaft als bisheriges Mittel an, dürften bei Kuoni auch zwischen 150-200 Stellen wegfallen; darunter gewiss auch die eine oder andere Filiale. Bei TUI Suisse, wo ebenfalls noch nicht klar ist, wie die Situation für die Schweiz aussieht, nachdem ein globaler Stellenabbau von 8000 Jobs angekündigt wurde, käme man mit demselben Massstab auf 80-100 Stellen, die allein in der Schweiz wegfallen (und auch da wohl noch die eine oder andere Filiale).

Wie Stellen konkret wegfallen werden, lässt sich derzeit nicht sagen. Allein nach obiger Rechnung kommt man auf grob geschätzt rund 600 Stellen - von insgesamt etwa 8000 Stellen, die die Schweizer Reisebranche zu bieten hat. Und dabei wissen wir noch nicht, wie viele Stellen schon weggefallen sind bei KMUs. Die Bereinigung ist in Gang, das dürften einige sein, hört man doch immer wieder von Firmenaufgaben, die allerdings eher still passieren. Es gibt keine Zweifel, dass die Branche im kommenden Jahr deutlich schlanker dastehen wird - irgendwo zwischen 10 und 20 Prozent der Jobs bei Veranstaltern und Reisebüros dürften nicht mehr vorhanden sein. Die Veranstalter rechnen auch 2021 mit deutlich weniger Umsatz als 2019 prognostiziert und passen deshalb ihre Personal- und andere Strukturen bereits daran an. Das heisst nicht, dass sich danach alles stabilisiert. Wir bewegen uns in einer Branche, die für ihre Volatilität bekannt ist, sprich, deren Wohlergehen extrem von exogenen Faktoren abhängig ist.

Ehrliche Worte und klare Visionen sind gefragt

Wer als Inhaber nicht bereits eine gute Nachfolgelösung getroffen hatte, steht möglicherweise vor dem Nichts - entweder ein extrem tiefer Preis fürs Lebenswerk, oder allenfalls die Schliessung, oder man arbeitet halt einfach mal weiter. Grossunternehmen derweil fussen ihr Job-Angebot auf Prognosen, die unsicherer denn je erscheinen. Deshalb steht die Frage sehr gross im Raum: Wer hat Lust, jetzt in die Branche einzusteigen?

Von den Tourismus-Fachschulen hört man, dass die Anmeldezahlen von Studierenden fürs kommende Jahr normal sind. Das ist eigentlich erfreulich. Aber wird es auch genügend Praktikums- und Lehrstellen geben? Darüber hinaus wird eine notorische Tieflohn-Branche nicht - oder zumindest nicht sofort - mit besseren Anstellungsbedingungen brillieren können. Und die früher mal in der Rekrutierung wichtigen «Benefits» der Reisevergünstigungen hat sich die Branche in den letzten Jahren schon etwas zunichte gemacht, weil das Reisen für die Allgemeinheit so billig geworden war, derweil dies in nächster Zeit möglicherweise nicht der meistgesuchte Benefit sein wird.

Die Personalknappheit in der Branche könnte sich also massiv verschärfen. Klar, aktuell wird reduziert, da ist dies erst mal kein Problem mehr. Man hört aber auch immer wieder, dass sich «die Spreu vom Weizen trennt», also nun die qualitativen Mitarbeiter bleiben. Allerdings wird diesen auch eine immer grössere Arbeitslast zugemutet, und die Voraussetzungen hinsichtlich technischem und fachlichem Wissen sind enorm. Mit minimaler Belegung kann man nicht auf lange Dauer vernünftig arbeiten. Vielleicht wird es dem einen oder anderen - wenn nicht schon geschehen - auch «ablöschen» angesichts der regelmässigen Krisen. Aktuell haben sichere Jobs, etwa in der Verwaltung, wieder eher Konjunktur als «lässige» Jobs, wie sie unsere Branche bietet. Derweil treibt die Branche den technologischen Wandel weiter voran, automatisiert also weitere Stellen weg.

Man wird nicht darum herum kommen, ganz klare Profile für künftige Reisebranchen-Mitarbeitende zu schaffen, in welchen Zukunfts-Perspektiven aufgezeigt werden, in denen brauchbare Benefits vorhanden sind, und wo Bemühungen zum Halten der Mitarbeitenden klar spürbar sind. Die Branche verliert in der Krise gerade viel von ihrem Lack als unbeschwerter, cooler Arbeitgeber, bei dem man über Missstände beim Lohn und der Arbeitslast grosszügig hinwegsehen kann. Aber sie könnte auch tatsächlich gestärkt aus der Krise hervorgehen, wenn auch kleiner. Wir haben auch schon argumentiert, weshalb sich der Einstieg lohnt. Angesichts der neuen Realität muss man dies einfach auch mal alles wieder hinterfragen.

Kurzum: Mit der Reduktion allein ist es nicht getan - es braucht eine klare und ehrlich kommunizierte Vision für die Zukunft.

(JCR)