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Am gleichen Strick ziehen ist schön und gut - aber man sollte auch in die gleiche Richtung ziehen. Bild: AdobeStock

Kommentar Tourismusbranche, wir müssen reden

Jean-Claude Raemy

In Krisenzeiten sollte man zusammenrücken. Aktionismus in alle Richtungen bewirkt aber das Gegenteil. Jetzt gilt ruhig Blut bewahren, damit sich die Branche effektiv mal zusammenraufen kann.

Die aktuelle Tourismuskrise ist beispiellos. Wegen der hinlänglich bekannten Gründe sind zahlreiche Unternehmen und Berufsexistenzen auf dem Spiel. Klar, liegen da die Nerven blank. Denn im Tourismus ist eine Besserung der Lage nur sehr langsam absehbar - so langsam, dass es für viele möglicherweise nicht zum Überleben reicht.

Für die aussergewöhnliche Situation ist nur das Virus verantwortlich. Aber die Stärke der wirtschaftlichen Auswirkungen variiert, und hat viel mit Strukturen und Gesetzen zu tun, die für so einen Fall schlicht nicht geschaffen waren. Da wird der Schrei nach Strukturänderungen, Sondergesetzen und auch Hilfe, vom Staat oder von anderen Instanzen, schnell laut. Der Bundesrat und zahllose Behörden haben es nicht leicht, auf die chaotische Masse von Partikularinteressen einzutreten. Wie üblich ist jedoch klar: Wer am lautesten schreit, wird gehört. Oder anders formuliert: Wer eine Lobby und/oder die öffentliche Aufmerksamkeit hat, wird gehört.

Dass der Outgoing-Tourismus in Bern eine untergeordnete Rolle spielt, ist eigentlich nicht neu, wird jedoch aktuell schmerzlich bemerkt. Eigentlich wäre es wichtig, wenn sich alle Branchen-Akteure solidarisch und mit einer Stimme einbringen könnten, um das Schlimmste für alle Beteiligten abzuwenden. Jedoch wurde schon früh klar: Die einzelnen Mitglieder der Wertschöpfungskette kämpfen alle für sich. Das macht es bereits schwierig, sich auf dem politischen Parkett, wo alles langatmiger ist, dringliches Gehör zu verschaffen. Es kam trotzdem zu Gesprächen, wobei eine «Taskforce» von Verbänden und Versicherern in Bern diverse «Pain Points» vorbringen konnte, was auch vergleichsweise schnell in politische Entscheide zugunsten der Reisebranche führte. Der Schweizer Reise-Verband (SRV) hatte dabei die Federführung.

Das Verlangen nach einer Stimme ist richtig - also sollte nicht jeder sprechen

In der Öffentlichkeit wurde die Outgoing-Reisebranche trotzdem oft nicht direkt als «geeint» wahrgenommen, auch innerhalb der Branche nicht. Da gab es Seitenhiebe von Verbands-Oberen und zahlreichen Reisebüros gegen den SRV, welche die Vorgehensweise kritisierten, sowie zahlreiche Initiativen, Voten und Ideen, allesamt wohl legitim und nachvollziehbar. Ob der SRV genügend oder passend informiert hat, darüber lässt sich vielleicht diskutieren. Letztlich ist der SRV auch nur seinen Mitgliedern verpflichtet. Die vielen Voten, Leserbriefe und Aktionen aber haben die «Branchenstimme» verzettelt. Dabei hat das SECO schon früh deutlich gemacht, dass es zur politischen Umsetzung von Reisebranchen-Anliegen in Bern einen und nur einen Ansprechpartner akzeptiert. Das ist in diesem Fall eben nun mal der SRV.

Noch schwelt der Vorwurf, dass der SRV primär den Interessen der «Grossen» diene. Das ergibt sich wohl daraus, dass im Vorstand eben die CEOs der meisten dieser Grossen sitzen. Und jene, welche die Interessen der Kleinen dort vertreten wollte, sitzt nun bei den Initianten einer Petition, über welche der SRV nichts wusste. Das ist doch überraschend. Zudem: Bei der politischen Arbeit in Bern schienen doch eigentlich immer die Interessen der ganzen Outgoing-Reisebranche vertreten zu sein. Vielleicht waren die Erfolge bescheiden - die Sterne vom Himmel holen kann auch der SRV (oder sonst wer) in kurzer Zeit nicht. Wir als Medium wurden teils angehalten, doch Druck beim SRV zu machen (oder gar direkt in Bern), viele andere meldeten sich beim SRV direkt, auch Nicht-Mitglieder. Also scheint das doch die Anlaufstelle zu sein, um etwas in Bern zu erreichen.

Insofern ist der gut gemeinte Aufruf der Mayday-Initianten irgendwie schwierig nachzuvollziehen: Man will föderativ wirken, die Branche an einem Tisch haben - und schafft nun eine weitere Dissonanz. Die geforderte Taskforce gibt es doch im Prinzip bereits, zumindest wenn man mal Reisebüros und Reiseveranstalter als Branche sieht und die Transporteure und andere Unternehmen der Wertschöpfungskette ausklammert. Die «Pain Points» sind definiert und bekannt; deren Bearbeitung braucht jedoch Zeit. Aber offenbar war das Misstrauen gegenüber dem Branchen-Wortführer in Bern zu gross, also die Angst, dass die Bedürfnisse der Kleinen und Kleinsten untergehen, weshalb nun eine solche Initiative gestartet wurde. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, statt über den Weg der Öffentlichkeit zu gehen, hinter den Kulissen zu versuchen, diese «eine Stimme» zu formulieren? Ist das gegenseitige Misstrauen wirklich so gross?

Unter dem Strich heisst es jetzt: Branche, ihr müsst miteinander reden. Und auch wenn Austausch in Sozialen Medien und untereinander richtig und wichtig ist, so muss man manchmal auch erkennen, dass gewisse Prozesse Zeit brauchen, dass Aktionismus auf alle Seiten nicht immer hilft, und dass man auch mal die Kraft haben muss, anderen zu vertrauen und seine Meinung nicht auf alle Seiten und über jeden Kanal kundzutun. Impulsivität ist für politische Ziele nicht immer die beste Lösung. Auch wenn die Zeit drängt.