Reiseanbieter

Diskutierten die Krisensituation, von links: André Lüthi (CEO Globetrotter Group), Dieter Zümpel (CEO DER Touristik Suisse), Max E. Katz (SRV-Präsident) und Martin Reber (Geschäftsführer Schär Reisen Bern). Bild: STC/TN

«Wir stehen mit dem Rücken zur Wand»

In einer Zoom-Diskussion äusserten sich André Lüthi, Dieter Zümpel, Max E. Katz und Martin Reber zur dramatischen Situation in der Schweizer Reisebranche.

Mehrere Male im Jahr bittet der Club der Swiss Travel Communicators (STC, früher Swiss Travelwriters Club) zum prominenten Podiumsgespräch. Aus aktuellen Gründen fand die gestrige Austragung online statt auf der Webkonferenz-Plattform Zoom. Und die Besetzung war hochkarätig: mit Dieter Zümpel (CEO DER Touristik Suisse), Max E. Katz (Präsident SRV), Martin Reber (Schär Reisen Bern) und André Lüthi (CEO Globetrotter Group).

Wie gross sind die bisherigen Verluste? Folgt auf die Coronakrise eine Pleitewelle? Was muss sich im Geschäft mit Airlines ändern? Wie gross sind die Probleme der Cruise-Industrie? Gibt es Licht am Horizont? So lauteten die Fragen von STC-Moderator Dominik Buholzer. Viele brisante Aussagen waren an diesem Abend auszumachen, welche das Ausmass der Krise greifbar machten.

Gross sind die Verluste bei den Schweizer Reisebüros und Touroperators. Dieter Zümpel rechnet bis Ende Jahr mit einem Umsatzverlust von 50 bis 70 Prozent. Martin Reber und André Lüthi gehen ebenfalls von bis zu 70 Prozent aus. Nachdem DER Touristik Suisse alle Reisen bis am 14. Juni annullierte, fielen alleine in der letzten Woche Rückzahlungen in der Höhe von 10 Millionen Franken an – für Reisebuchungen, an denen die Reisebüro-Mitarbeitenden in den letzten Monaten hart gearbeitet haben.

«Ohne eine starke Gruppe im Hintergrund würden wir die jetztige Situation nicht überstehen», sagt Dieter Zümpel, «wir sind zu gross um Spontanhilfen zu erhalten, zu klein um systemrelevant zu sein.» Auf mögliche Reisebüro-Schliessungen angesprochen, sagt Zümpel, dass alles getan werde, um soviele Arbeitsplätze wie möglich zu retten, doch Garantien gebe es keine.

«Von den 1300 Reisebüros dürften 20 bis 25 Prozent nicht überleben»

«Wir haben bis Ende Jahr noch Atem, schliesslich haben wir 40 Jahre lang seriös gearbeitet und können noch von der Substanz leben», sagt André Lüthi, um aber anzufügen, dass er Sorgen habe um die Wiederaufnahme der Fernstrecken. Was passiert mit den USA? Auch die Zeichen aus Australien und Neuseeland seien derzeit schlecht, dort sei eine Wiederaufnahme erst wieder ab dem neuen Jahr zu befürchten. Und in Südamerika werden die Probleme derzeit noch nicht kleiner.

Max E. Katz befürchtet eine Pleitewelle auf den Herbst und Winter hin, wenn vom Bund nicht noch ein Hilfspaket geschnürt werde. «Von den 1300 Reisebüros dürften 20 bis 25 Prozent nicht überleben», schätzt der SRV-Präsident. Was Katz besonders aufregt: «Wochenlang haben wir von Coiffeusen und Floristen gesprochen, die nun wieder arbeiten können. Aber die Reisebüros? In den letzten Wochen musste die Arbeit vieler Monate storniert oder umgebucht werden und derzeit sind keine Neubuchungen in Sicht – eine sehr schwierige Situation.» Bern habe der Branche nun geholfen, doch die kommenden Wochen müssten genutzt werden, um mit dem Seco über einen möglichen Rettungsschirm zu diskutieren.

Martin Reber prüft bei Schär Reisen jeden der zehn Standorte und verzeichnete im März und April ebenso keinen Buchungseingang. Auf 54 Prozent beläuft sich das aktuelle Minus, die zu erwartenden Juli- und August-Stornierungen noch nicht eingerechnet. Reber geht nicht von einer Konkurswelle aus, sondern eher von stillen Geschäftsaufgaben und Stilllegungen, bei denen keine Kunden zu Schaden kommen.

Beim Thema Airlines kriegen die Diskussionsteilnehmer einen dicken Hals. Das System sei grundsätzlich zu hinterfragen, fordert Lüthi. Zümpel ist sauer, schon in den letzten Jahren bei vielen Airlineverlusten geblutet zu haben. Katz fordert ein Sperrkonto, auf dem die Airlinezahlungen liegen sollten. Und Martin Reber setzt zu einer Brandrede an: «Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Das veraltete Pauschalreisegesetz aus dem Jahr 1994 verlangt von uns Rückzahlungen an Kunden, während die Airlines nicht geradestehen müssen. Die kassieren die Kundengelder bis 11 Monate vor Abflug ein und nutzen das Geld im Schneeballprinzip als Betriebskredit. Bis zum Datum der Abreise benötigen sie dann schon wieder das Geld von neuen Kunden – ein absolutes No-go!»

Dass sich die Cruise-Industrie grosse Sorgen machen muss, geht weiter aus den Aussagen der Talk-Teilnehmer hervor. «Kreuzfahrten waren schon vor Corona unter Druck mit Overtourismus, Schadstoffen, Landstrom-Diskussionen», hält Dieter Zümpel fest, «nun haben sie als möglichen Infektionsherd noch ein weiteres Problem.» Max E. Katz stellt zudem den ursprünglichen Zweck einer Cruise in Frage, wenn die Leute nicht an Land gelassen werden, «wenn das untersagt ist, sieht es schlecht aus.»

«Derzeit trifft noch kein Franken aus Neubuchungen bei uns ein»

Doch zeichnet sich eine erste Normalisierung ab, seit Reisebüros wieder öffnen können? Licht am Horizont ist aus den Voten der Experten nur wenig zu erhaschen. «Derzeit trifft noch kein Franken aus Neubuchungen bei uns ein», sagt Lüthi. Eine gewisse Hoffnung macht er sich für Reisen nach Asien, die ab Oktober und November wieder möglich sein könnten.

Auf kommende Trends angesprochen, geht Max E. Katz von einer anderen Art der Ferien aus, er spricht von naturnahem Tourismus. Weiter sagt er, dass der Umstand, dass ein Badetuch künftig statt 40 Zentimeter wohl wegen Auflagen 4 Meter neben dem nächsten liegen dürfte, sei auch ein positives Element. Doch das Reisen werde dadurch wohl auch teurer und exklusiver. Mehr Wandern, Ayurveda und Studienreisen statt 40-Franken-Trips nach London, lautet seine Prognose.

Dieter Zümpel rechnet weiterhin mit Commodity-Produkten wie Pauschalferien am Strand, doch die dürften künftig noch verstärkt ins Netz wandern. «Reisebüros, die überleben, werden mehr als zuvor eine Berechtigung bei den beratungsintensiven Produkten haben und auf eine Wertschätzung des Kundens zählen können», ist er überzeugt. Der Verkauf von Schweiz-Ferien sei eine Möglichkeit, den Verkaufsteams Produkte zur Verfügung zu stellen, das Jahr retten würden sie aber nicht, fügt er weiter an.

Martin Reber hat einige Verträge mit Schweiz-Anbietern abgeschlossen, um derzeit Buchungen zu tätigen. Doch offensichtlich liegt noch einiges im Argen, was die Zusammenarbeit mit dem Reiseland Schweiz betrifft. «Schweizer Hotels haben sich vor 20 Jahren von Reisebüros abgewendet und sich später dann in die Arme von Booking und co. geworfen, wo sie nun aber noch höhere Kommissionen zahlen müssen». Letzte Woche wollte Reber Kunden ins Hotel Krone in Murten buchen. Eine Kommissionszahlung sei vom Hotel aber verweigert worden. Ein Sinneswandel habe noch nicht stattgefunden, hält er fest.

Der geballte, 60-minütige STC-Talk von gestern Abend, an dem sich fast 100 STC-Mitglieder und weitere Gäste einschalteten, konnte die Dimension der aktuellen Krise jedenfalls eindrücklich verdeutlichen. Auf der Seite swisstravelcommunicators.ch kann der gesamte Talk verfolgt werden.

(GWA)