Reiseanbieter

Am Mittwoch im Einkaufszentrum Sihlcity in Zürich: die Shopper sind zurück. Die Kuoni-Filiale dürfte bald auch wieder die Türen öffnen, erste Auslandreisen sind möglich – erreichbar sind alle Kuoni-Mitarbeitenden telefonisch, auch jene der vorerst noch geschlossenen Filialen. Bild: TN.

Kommentar Ein zerbrechliches Glück

Gregor Waser

Reisen nach Deutschland, Österreich und Frankreich sind ab dem 15. Juni bereits wieder möglich. Was heisst das für Reisende, Reisebüros und Destinationen?

Plötzlich ging alles ganz schnell. Am Mittwoch entschied der Bundesrat in Absprache mit Österreich, Deutschland und Frankreich, die Grenzen ab dem 15. Juni wieder zu öffnen. Ferien an der Côte d’Azur, in Tirol oder am Wattenmeer sind wieder möglich. Die Wochen der Ungewissheit bei Reisenden, Reisebüros und Destinationen verziehen sich.

Wie erleben Sie die Krise, wie bringen Sie Ihr Unternehmen durch die schwierige Phase? Dies wollten wir in Interviews der letzten Wochen von vielen Tourismusprotagonisten wissen. Deniz Ugur vom Türkeiveranstalter Bentour sagte während des Corona-Peaks Mitte März: «Wir arbeiten mit drei Szenarien. Erstens mit einer Wiederaufnahme der Reisetätigkeit ab Juni, zweitens einer solchen ab Oktober oder drittens, das Worstcase-Szenario, Reisen sind erst ab dem neuen Jahr wieder möglich».

Solche Szenarien dürfte so ziemlich jeder Touristiker jüngst durchgespielt haben, mit dem Diagramm Liquiditätsabfluss in Bezug zur Länge der Durstphase. Zwei, drei Monate halten wir’s aus, ist ein verbreiteter Tenor in Schweizer Reisebüros, länger wird schwierig. Aber auch bei den grossen Veranstaltern wäre ein anhaltender Reisestopp bis Ende Jahr kaum zu bewältigen. Darauf angesprochen, sagt Daniel Bühlmann, COO von Hotelplan Suisse: «Das wäre fatal für die gesamte Reisebranche, nicht nur für Hotelplan Suisse. Wie das Szenario aussehen würde, wenn unsere Kunden auch in sechs Monaten noch nicht ins Ausland reisen dürfen, möchte ich mir nicht ausdenken.»

Dieses Worstcase-Szenario ist zumindest mal vom Tisch, seit Montag sind die Hotelplan-Büros wieder geöffnet. Bei Kuoni sind noch einige Filialen geschlossen, die Mitarbeiter aller Filialen sind aber telefonisch erreichbar. Bereits hat Kuoni das Angebot für Deutschland, Österreich und auch die Schweiz hinaufgefahren. Vereinzelte Buchungen dürften nun also wieder eintreffen, um so den Sturzflug des laufenden Geschäftsjahres noch abzufangen und das Schlimmste abzuwenden.

Überhastete Rückkehr

Doch die Normalität liegt noch weit entfernt. Wieviele Schweizerinnen und Schweizer nun schon im Sommer eine Reise in ein Nachbarland planen, scheint noch ungewiss. Da reizt der Tages- oder Drei-Tages-Ausflug an den gefühlt keimfreien Schweizer Bergsee wohl einige mehr.

Wie ruhig es an diesen Bergseen sein wird, ist nun wieder eine andere Frage. Die deutschen Reiseweltmeister stehen in den Startlöchern, schliesslich bietet das eigene Land kaum die Kapazität um das innerdeutsche Reiseverlangen zu befriedigen. Für Schweiz Tourismus öffnet sich nun gerade in Deutschland eine gute Option, schon im Sommer zu punkten.

Zweifel, ob diese überraschend schnelle Wiederaufnahme der Reisetätigkeit, wirklich sinnvoll ist, bleiben bestehen. Klar kann eine Regierung den schwelenden Lagerkoller so entschärfen und zumindest den Leuten die Freiheit in ihren Köpfen zurückgeben, nur schon die Möglichkeit zu haben, aus dem eingeschlossenen Zustand zu entrinnen.

Doch der Poker scheint hoch. Gestern beim Besuch des Einkaufzentrums Sihlcity Zürich und dem abendlichen Besuch in einer Bar, fiel schnell auf: das Gedränge ist gross, Social Distancing wird von etlichen Leuten missachtet und ob Corona-Viren sich von Plexiglas-Scheiben abhalten lassen, scheint niemand so richtig zu wissen.

Die schlagartige und überhastete Rückkehr nach zweimonatigem Lockdown in die Pseudonormalität könnte ein Schuss nach hinten sein. Schön lassen sich derzeit die abflachenden Statistiken anschauen. Doch wie sehen die in drei, vier Wochen aus? Wenn anfangs Juni dann doch wieder härtere Massnahmen eingeführt werden müssen – etwa die neuerliche Grenzschliessung zu Nachbarländern... –, dann ist der Schaden umso grösser.

Zweifellos: Dass wir wieder reisen können, ist grossartig. Aber es gilt dabei zu bedenken, dass dies nicht im selben Stil wie früher möglich ist und dass zahlreiche Schutzmassnahmen zu berücksichtigen sind – was ein schönes Reiseerlebnis aber nicht verunmöglichen muss.