Reiseanbieter
«Spätestens wenn der Notkredit aufgebraucht ist...»
Gregor WaserHerr Reber, bei Schweizer Reisebüros zeichnet sich der Totalausfall ab. Wie lauten Ihre Umsatzprognosen für das Jahr 2020?
Martin Reber: Viele Reisebüros werden kaum noch 20 Prozent des Vorjahres-Umsatzes erreichen. Man muss die Abläufe beim Reisen verkaufen berücksichtigen. Wenn am 8. Juni die Reisebüros ihre Türen wieder aufmachen sollten, heisst dies noch lange nicht, dass wir für 2020 noch viele Abreisen verbuchen können. Wir müssen froh sein, wenn geplante Gruppen überhaupt noch durchgeführt werden können, so sehr sind Kunden verunsichert. Es geht schliesslich um ihre Gesundheit und diese hat oberste Priorität. Wann ist eine Destinaton wieder sicher? Und wer garantiert mir dies?
Mit welchen Folgen rechnen Sie?
Mit Konkursen, diskreter Aufgabe der Geschäftstätigkeit und der Auflösung von Filialen. Die grosszügige Ausschüttung der Notkredite aufgrund des Umsatzes und nicht der ausgewiesenen Bruttomarge mag dies etwas verzögern, da sich nun viele Reiseunternehmen infolge der plötzlichen Liquidität in falscher Sicherheit wähnen. Spätestens wenn der Notkredit aufgebraucht ist, werden zahlreiche Reisebüros und auch spezialisierte Touroperators ihre Bilanzen deponieren müssen und von grossen «systemrelevanten» Touroperators will ich gar nicht sprechen. Die Situation ist sehr hart für alle Player. Wenn ich mich hier in Bern umsehe, sind auch langjährige, unabhängige Unternehmen, die jahrzehntelang für Stabilität im Berner Gewerbeumfeld gesorgt haben betroffen und viel stehen jetzt mit dem Rücken zur Wand! Da hilft die einseitige, naive Betrachtungsweise der Behörden auch nicht viel, oder hat schon mal jemand die Definition von «Reisebüro» korrekt erklärt?
Was läuft falsch?
Der Bund stellt der Swiss Milliardenhilfe in Aussicht und gleichzeitig toleriert er, dass sich sämtliche Airlines mit Gutscheinen aus der Verantwortung stehlen. Dies ist gemäss Pauschalreisegesetz und OR rechtswidrig. Fluggäste kauften Flugtickets bis elf Monate im Voraus und mussten sofort bezahlen – und nun wird mit Gutscheinen rückvergütet. Die Problematik ist von den Behörden total verkannt worden. Es geht dabei um Tickets in Millionenhöhe, die sowohl bei Reisebüros, aber ebenso direkt auf der Homepage der Airlines oder bei Buchungsportalen (OTAs) gekauft wurden. Das Verhalten der Airlines ist unverfroren, indem sie nicht erbrachte oder nicht zu erbringende Flugleistungen nicht rückerstatten. Vom Retailer jedoch wird verlangt, dass er gemäss PRG die Leistung vollauf rückerstattet.
Was verlangen Sie in der aktuellen Situation von Airlines?
Es braucht einen Systemwechsel im weltweiten Geschäft mit Airlines – den Reisebüros wie auch den Direktkunden gegenüber. Airlines müssten dazu genötigt werden, einen Fluggarantiefond analog unserer Kundengeldabsicherung einzuführen. Dieser wäre nicht nur gegenüber Direktkunden, aber auch den Reisebüros gegenüber haftbar. Ein Sperrkonto – treuhänderisch verwaltet – für Flugticketanzahlungen (die es zweifellos braucht), wäre eine andere Lösung. Ein treuhänderisch verwaltetes Konto bei welchem BSP / IATA keinen Zugriff haben. Letztere sollte es zudem vermeiden, uns zukünftig mit «liebe Partner» anzuschreiben. In jedem Fall dürften nicht mehr als 10-20 Prozent des Flugpreises als Anzahlung gefordert sein mit Fälligkeit des Gesamtbetrages einen Monat vor Abflug.
Und vom Bund?
Der Bundesrat muss nun bei Notkreditgewährung die Airlines verpflichten, vorausbezahlte und treuhänderisch einbezahlte Flugticketkosten bei nicht erfolgten Abflügen in bar voll rückzuerstattten. Ansonsten soll er mit verbürgten Garantien die «Refund»-Gutscheine anerkennen, die Airlines oder Touroperators ausstellen. Offenbar sind sie schon heute nicht mehr in der Lage, solche Zahlungen aus der laufenden Liquidität zu tätigen. Zudem braucht es Nothilfeunterstützung nicht nur für den Incoming-Bereich. Der Bund muss auch zu den 1550 Reiseunternehmen und ihren über 10‘000 Mitarbeitenden stehen – und da gehören nebst den SRV-Mitgliedern auch die 900 Reisebüros dazu, die in anderen Verbänden Mitglied sind. Viel Fronarbeit ohne Aussicht auf baldigen Verdienst ist bereits zum Wohle aller Reisenden und Rückkehrer geleistet worden. Weiter sollte das Pauschalreisegesetz sofort ausser Kraft gesetzt werden, das Reisebüros für nicht erbrachte, vorbezahlte Leistungen haftbar macht. Das Pauschalreisegesetz aus dem Jahr 1994 entspricht in keiner Art und Weise mehr den heutigen Gegebenheiten und sollte dem heutigen Geschäftsabläufen längst angepasst sein!
«Kreuzfahrten und exotische Ferndestinationen werden noch lange um ihr Image kämpfen müssen»
Wann öffnen Reisebüros wieder?
Das ist eigentlich völlig egal. Es geht für Reisebüros gar nicht ums Datum der Wiedereröffnung, für die meisten spielt dieses Datum eine nebensächliche Rolle, da die Saison 2020 verloren ist und nicht aufzuholen ist. Es wird am 11. Mai oder 8. Juni keinen Ansturm auf Reisebüros geben. Höchstens ein paar nette Stammkunden werden reinschauen, um annullierte Reisen auf 2021 zu verschieben. Zudem sind alle online oder per Telefon erreichbar, und die wenigsten leben heutzutage noch von Laufkundschaft. Wir jedenfalls werden bestimmt noch länger mit reduzierten Öffnungszeiten (10 bis 12 Uhr / 14 bis 16 Uhr) arbeiten.
Was geht in den Köpfen Ihrer Kunden ab?
Das Vertrauen der Kunden ins Reisebüro ist nach wie vor da, nicht aber ins Reisen an die meisten Ferndestinationen. Dieses ist nachhaltig gestört. Die Verunsicherung der höchst reisefreudigen Schweizer Bevölkerung wird weiterhin gross sein und dies noch lange nach der Lockerung des Notrechts! Da helfen auch millionenschwere und nutzlose Werbekampagnen (dream now, travel later) wie sie Schweiz Tourismus fürs Incoming führt zum jetzigen Zeitpunkt wenig. Es darf aber gehofft werden, dass sich der Schweizer im Jahr 2020 wenigstens für Ferien im eigenen Land entscheidet und unsere Branche umdenkt – auch hierzulande können innovative Ferienangebote verkauft werden, dazu braucht es aber auch kooperative Partner wie DMC’s, Hotels, Bahn- und Carbetriebe. Diese haben sich aber in den letzten Jahrzehnten den Goodwill der Reisebranche verspielt. Aber vielleicht verhilft diese Krise manche ja nun zum Umdenken. Was bietet die Schweiz? Viel, z.B. Berghausaufenthalte, Wanderungen, Treks, Mountainbiketouren oder eine Rundfahrt mit einem Camper (Grand Tour of Switzerland…), Glamping etc. Ferien im Ausland werden frühestens 2021 wieder anziehen, dies ist ganz klar der Tenor den wir von den annullierten Kunden hören. Aber besser wir stellen uns auf weniger Buchungen ein, mehr Schweiz-Buchungen und nachhaltigeres Buchungsverhalten – was sowieso erstrebenswert wäre. Insbesondere das grosse Volumengeschäft der Kreuzfahrten und exotische Ferndestinationen werden noch lange um ihr Image kämpfen müssen. Dafür und das hoffe ich, wandelt sich das zukünftige Reiseverhalten zum Guten. Und falls ein paar Airlines grounden, wird dies dem Markt kaum schaden.
Zahlreiche Reiseländer hoffen aber, noch in diesem Jahr ausländische Gäste zu empfangen.
Viele Länder, die in der Pandemiestufe mehrere Wochen hinter der Schweiz liegen, und die populäre Fernreisedestinationen sind wie etwa die USA, Mexiko, Costa Rica, Thailand, Brasilien, aber auch Italien, Frankreich und die Türkei haben ein ineffizientes Gesundheitssystem. Im Fall Italien bleibt das Misstrauen wohl nochmals deutlich länger bestehen, obwohl wahrscheinlich dort die Pandemie in Europa als erstes vorbei sein wird. Das Vertrauen in viele Reiseziele wird erst zurückkehren, wenn eine flächendeckende COVID-19-Impfung für die breite Bevölkerung gewährleistet ist. Trotz Beteuerungen vieler Gäste, die nun ihre Reise nur «verschoben» haben, müssen wir hoffnungsvoll abwarten, ob sie bald wieder im Reisebüro erscheinen werden.
«Der Bund ortet beim Outgoing-Bereich keinen Mehrwert»
Falls es zum Reisebüro-Sterben kommen sollte – was wurde rückblickend falsch gemacht?
Wir müssen derzeit feststellen, dass das Verständnis für die Outgoing-Branche in weiten Kreisen fehlt. Die Schweizer Reisebranche hat es nie geschafft, das nötige Lobbying in Bern zu betreiben. Wir sprechen von 1550 Reisebüros in der Schweiz mit über 10‘000 Angestellten. Der Bund ortet beim Outgoing-Bereich keinen Mehrwert fürs BIP, sieht nur Touristengelder in andere Länder fliessen. Dabei ist der Mehrwert der hiesigen Reisebüros gross. Die Arbeitsplätze sind stabil, stärken den KMU-Sektor und tragen durch ihre langjährige Existenz zur Kontinuität lokaler Gewerbestrukturen bei. Zudem sind die Qualitätsansprüche an unser Personal zu recht überdurchschnittlich hoch, jedenfalls für deren eher tiefe Entlöhnung. Und wir haben keine CEO-Auswüchse, wo ein Mehrfaches der Mitarbeiter verdient wird. Zwar verfügen wir über zahlreiche Verbände und Vereinigungen, ob SRV, STAR, Fair, TPA, TTS, TWD, IGUR oder TACO, aber mit einer Stimme wird nicht gesprochen. Aber genau hier hat es der SRV nicht geschafft, die Player an einen Tisch zu bringen und als Einheit aufzutreten. Das Resultat haben wir ja nun gesehen. Unser Sektor ist zu schwach, als dass ein einzelner Verband den Anspruch erheben könnte, der wahre Vertreter der Retailer zu sein. Immerhin sind diese nach wie vor in der Mehrheit in der Schweizer Reisebürolandschaft, haben aber wohl weniger klingende Namen als die Big Player, die mit sich selber schon genug zu kämpfen haben und die Gefahr laufen, durch das sogegannte Micro-Touroperating der Branche umgangen zu werden. In jedem Fall muss das 16 Milliarden schwere Outgoingbusiness (ca. 4 Milliarden davon via Reiseveranstalter/Reisebüros) wieder ernst genommen werden – aber dafür sind wir selber verantwortlich.
Gibt es Schär-Reisen Ende 2020 noch?
Ja sicher, bleiben wir doch optimistisch, viele solide und seit Jahren vom Eigentümer geführte Unternehmen werden auch diese Krise überleben! Allerdings wird die Branche nicht mehr sein wie vorher, soviel ist klar. Bei beiden Firmen der Schär-Reisen Gruppe wird es Strukturwandlungen geben und wir nutzen die Gelegenheit, unseren Marktauftritt, die Verkaufsstrategie, die Abläufe, Arbeitsprozesse, ungenutzte Synergien und ja, auch unsere Standorte zu hinterfragen.