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Stéphane Jayet im Home Office in Tartegnin VD: Der langjährige Reiseprofi sieht Chancen, sorgt sich aber vor allem hinsichtlich dem Nachwuchs. Bild: zVg

«Es liegt an uns allen, unseren Mehrwert hervorzuheben»

Jean-Claude Raemy

Stéphane Jayet, Direktor von VT Vacances in Ecublens VD und Vizepräsident des Schweizer Reise-Verbands, äussert sich im Interview mit Travelnews zu seinen Erwartungen und Sorgen sowie zu Corona-Rezeptions-Unterschieden zwischen Romandie und Deutschschweiz.

Herr Jayet, wie wird die Schweizer Reisebranche aus Ihrer Sicht mit der Coronavirus-Krise klarkommen?

Ich bin überzeugt, dass sich die grosse Mehrheit der Unternehmen retten kann - allerdings geschädigt, um nicht zu sagen«gehandicapt». Die finanziellen und operativen «Narben» werden noch monatelang, bei einigen Marktteilnehmern noch jahrelang zu sehen sein. Wie bei jeder Krise muss man auch aus dieser mit passenden und wohlüberlegten Lösungen hervorgehen können. Unser Tätigkeitsbereich wird nämlich nach der Krise deutlich anders aussehen als noch zuvor.

Wie sieht denn die Reisewelt aus Ihrer Sicht künftig aus?

Wir werden uns nicht um 180 Grad neu orientieren, aber für die Welt nach Corona müssen wir unsere Produkte und auch unsere Kommunikation neu überdenken. Die Neuausrichtung wird aber nur möglich sein, wenn sich dessen alle touristischen Akteure bewusst sind und daran teilhaben. Nur dies legitimiert einschneidende Änderungen und garantiert eine kommerzielle und «philosophische» Relevanz.

Glauben Sie, dass Reiseveranstalter und Reisebüros allenfalls gestärkt aus dieser Krise hervorgehen können?

Ich wage, daran zu glauben. Es liegt an uns allen - vom KMU zu den «Big 5», vom SRV bis zu kantonalen oder regionalen Reisebürogruppierungen -, unseren Mehrwert hervorzuheben. Letzterer wird durch die Erlebnisse zahlreicher Reisenden im Ausland sowie auch von jenen, die über uns gebucht hatten und davon direkt profitieren konnten, anhand zahlreicher Beispiele untermauert. Wir müssen uns genau überlegen, wie wir das aktuell positive Empfinden nachhaltig im öffentlichen Bewusstsein verankern können.

«Es werden derzeit extrem wenige Lehrstellenplätze besetzt.»

Aktuell gibt die Gutscheinregelung als Hilfsmittel bei der Kundengeld-Rückvergütungsproblematik viel zu reden. Welches ist Ihre Meinung hierzu?

Die Fluggesellschaften agieren unilateral, darüber hinaus mit jeweils unterschiedlichen Vorgehensweisen, die sich auch immer wieder ändern. Es ist extrem schwierig, in dieser Situation überhaupt nachzukommen. Einmal mehr wird hier enorm viel professionelle Qualitätsarbeit von den Reisebüros und Reiseveranstaltern geleistet, ohne dass dies - mit einigen wenigen Ausnahmen - von den Airlines überhaupt anerkannt oder geschätzt wird. Natürlich sind auch Leistungsträger wie Airlines von der Coronavirus-Krise stark betroffen, wie der gesamte Reisesektor. Ich hoffe einfach, dass nach einer Rückkehr zu mehr Normalität diese Leistungsträger auch wirklich wieder verstärkt auf den Agentenkanal setzen werden. Es ist immer einfach für CEOs oder Pressesprecher, den Agentenkanal in den Medien zu loben. Ich werde mir jedenfalls genau notieren, welche Unterstützungsmassnahmen die Airlines in den kommenden Monaten zuhanden des ach so wichtigen Retail-Kanals treffen werden...

Was die TOs angeht: Bei diesen müssen die unternehmerische Freiheit, der gesunde Menschenverstand, die finanziellen Möglichkeiten und die Ausrichtung des Produkts ideal ausbalanciert werden, um die Zielgruppe genau zu treffen und sowohl den B2B-Kanal als auch die Endkunden an sich zu binden. Bei der diesbezüglichen Vorgehensweise, auch im Zusammenhang mit Gutscheinregelungen, gibt es leider keine einheitliche «Schablone».

Wir haben gehört, dass etwa die Rechts-Hotline des SRV deutlich häufiger von Romands beansprucht wurde als von Deutschschweizern. Sehen Sie in der Reaktion auf die Krise deutliche Unterschiede zwischen Romandie und Deutschschweiz? Es sind ja doch recht unterschiedliche Märkte…

Einer der wesentlichen Unterschiede liegt im Nachbarland dieser beiden jeweiligen Sprachregionen. Frankreich hat im Kampf gegen Corona bislang nicht dieselben Massnahmen getroffen, wie sie etwa Deutschland getroffen hat. Das beeinflusst die Reflexe, Massnahmen und Erwartungshaltungen unserer Endkunden in unterschiedlichem Ausmass, was sich auf die Vertriebskanäle auswirkt. Zwischen den beiden Sprachregionen ist auch die Marktsegmentierung insbesondere in Bezug auf Mikro-TO sehr unterschiedlich. Allgemein jedoch sind die Grundprobleme, sowohl im operativen wie im finanziellen Bereich, aber die gleichen.

Eines ihrer Steckenpferde ist die touristische Ausbildung. Wo sehen Sie dort Nachwirkungen der Coronavirus-Krise?

Ich sehe ganz klar drei Auswirkungen, die mir Sorgen bereiten! Erstens müssen die Qualifikationsverfahren, also die betrieblichen Abschlussprüfungen der Lehrlinge im dritten Jahr, schweizweit an die aktuelle Situation angepasst werden. Dafür werden noch in dieser Woche Entscheidungen erwartet (*). Zweitens stellen wir fest, dass extrem wenige Lehrstellenplätze für den Zyklus 2020-2023 in der Westschweiz besetzt werden. Wir sprechen hier für die Reisebranche von gerade mal zehn neuen Lehrlingen, was fast halb so viele wie noch im Vorjahr sind. Drittens wird die Situation für die aktuellen Lehrabgänger (Zyklus 2017-2019) sehr schwierig, aufgrund der zu erwartenden Konkurse bzw. Schliessungen zahlreicher KMUs und dem aktuell hohen Kurzarbeitsniveau.


(x): Inzwischen ist bekannt, wie dies weitergeht: Die betrieblichen Prüfungen (schriftlich und mündlich) Kauffrau/Kaufmann EFZ sind schweizweit definitiv abgesagt. Für den betrieblichen Teil des angepassten Qualifikationsverfahrens 2020 werden die Erfahrungsnoten (ALS und PE) übernommen. Wie die betriebliche Note berechnet wird, ist zurzeit Gegenstand der Abklärung der Schweizerischen Konferenz der kaufmännischen Ausbildungs- und Prüfungsbranchen (SKKAB), als Trägerin des Berufes Kauffrau/Kaufmann EFZ, wie der SRV meldet.