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Pascal Wieser im Home Office: Der Vögele-Reisen-Chef sieht in der Krise auch Chancen. Bild: zVg

«Nur eine Minderheit wird ihr Reiseverhalten überdenken und ändern»

Jean-Claude Raemy

Pascal Wieser, der Geschäftsführer von Vögele Reisen, spricht im Travelnews-Interview aus dem Home Office über die bewegten letzten Wochen und wagt eine Prognose zum zukünftigen Reiseverhalten.

Herr Wieser, wie haben Sie die vergangenen Krisenwochen erlebt? Was waren dabei die besonderen Herausforderungen?

Als Spezialist für Gruppenreisen weltweit waren wir bereits ab Januar mit ersten Einschränkungen für die wichtige Sommerdestination China konfrontiert. Besonders herausfordernd in der Rückschau war die gefühlte exponentielle Zunahme von Unsicherheit und die sich extrem rasch verändernden Rahmenbedingungen und Vorgaben der Behörden in den einzelnen Ländern. Dazu kamen unterschiedliche Entscheidungen seitens der Leistungsträger - zum Beispiel Flugstreichungen - und Partner vor Ort, rechtliche Fragen, Wünsche und Fragen der Kunden. Sprich: Dies machte die Arbeit für das ganze Team und für die Geschäftsleitung immer anspruchsvoller und das Rad drehte sich immer schneller.

Gegen Mitte März wollten wir dieses Hamsterrad stoppen und fällten grundsätzliche, auch schmerzhafte Entscheide, um Klarheit bei unseren Kundinnen und Kunden und auch für uns in der Planung zu schaffen. Dazu zählten Annullationen von unzähligen, auch längerfrsitig bevorstehenden Abreisen. Das war richtig und wichtig zugleich.

Wurden auch Gäste repatriiert? Wie ging dies vonstatten?

Wir hatten bereits in der ersten Märzhälfte entschieden, alle Gruppen, die unterwegs waren, schnellstmöglich zurück zu bringen. Dies vor dem Hintergrund, dass laufend Flüge gestrichen wurden. Für 18 Gruppen mussten dabei spezielle, individuelle Lösungen gefunden werden, die übrigen konnten ihre Reisen normal beenden.

Bei den individuellen Lösungen war teilweise sehr viel Kreativität notwendig, da erste Lösungen am Folgetag oder noch am gleichen Tag schon wieder Makulatur waren. Neue Routings waren gefragt. Teilweise stand ein unglaublicher Aufwand von uns, aber auch von unseren Partneragenturen vor Ort, hinter diesen Aktionen. Am 28. März hatten wir die letzte unserer Gruppen wieder wohlauf in der Schweiz. Ich bin dankbar und darf dem ganzen Team ein grosses Kompliment machen: Unbürokratisch, gemeinschaftlich, engagiert und kompetent haben alle diese ungewohnten Herausforderungen gemeistert.

Welche firmeninternen Massnahmen wurden getroffen, um die Krise möglichst gut abzufedern?

Wir haben rasch reagiert und die Kosten rigoros heruntergefahren. Die Marktbearbeitung drosselten wir umgehend auf Null, nicht aber unser qualifiziertes Personal. Da haben wir in der Schweiz zum Glück die Kurzarbeitsmöglichkeit. Ebenso galt es, parallel die BAG-Hygienemassnahmen durchzusetzen, zu deren auch das Home Office gehört. Alles ausserordentliche Massnahmen, welche für jede KMU anspruchsvoll und aufwändig sind.

Wird auch etwas auf Konzernebene, also bei der Twerenbold Group, etwas gemacht, wovon Vögele profitiert?

Noch nie empfand ich es wertvoller als heute, dass wir nicht «stand alone», sondern Teil der Twerenbold Reisen Gruppe sind. Exzellente zentrale Dienste wie HR, Finanzen und IT haben es erst möglich gemacht, dies alles in kürzester Zeit zu bewältigen. Der regelmässige Austausch und Entscheidungsrhythmus innerhalb der Geschäftsleitung auf Gruppenebene sowie die damit verbundene Kommunikation sorgen für Transparenz und Orientierung in dieser stürmischen Zeit.

«Wir erhalten sehr viel Aufmunterung und Zuspruch unserer treuen Kundschaft.»

Wie sieht es aus hinsichtlich Neubuchungen?

Nach wie vor wird – vorwiegend für Herbst- oder bereits Winterabreisen – gebucht, wenn auch noch eher zurückhaltend. Viele unserer Kunden, die sich schon länger auf eine spezielle Rundreise freuten, möchten einfach auf spätere Daten umbuchen. Darüber dürfen wir uns auch freuen: Wir erhalten sehr viel Aufmunterung und Zuspruch unserer treuen Kundschaft. Sie wollen weiterhin die Welt entdecken mit uns – auch wenn es jetzt etwas Geduld braucht. Aber selbstverständlich ist der Schaden enorm und unmöglich wettzumachen im 2020. Die Buchungszurückhaltung wird noch anhalten. Prognosen sind in der aktuellen Lage sehr schwierig: Wir sind stark abhängig von den Einreisebestimmungen unserer weltweiten Destinationen und den entsprechenden Flugverbindungen.

Ein grosses Thema sind Gutscheine, um den Liquiditätserhalt zu ermöglichen. Wie stehen Sie zu diesen Massnahmen?

Grundsätzlich ist es zu begrüssen, wenn der Konsument Gutscheine anstelle der Rückerstattung bevorzugt. Wir sind froh, dass ein beachtlicher Teil unserer Kunden – mit wachsender Tendenz – diese auch gerne annimmt. Inzwischen wird das Thema ja auch durch Social Media und Printmedien positiv thematisiert.

In einer «idealen Welt» wäre dann die Konsequenz, dass alle entsprechenden Guthaben in der Kette der Leistungsträger stehen bleiben könnten. Was insbesondere für die Mitarbeitenden am Ende der «Nahrungskette» – die unzähligen Mitarbeitenden vor Ort in Ländern ohne soziale Auffangnetze wie z.B. unsere Kurzarbeit – wichtig wäre.

Es gibt doch aber auch problematische Aspekte...

Was ich als sehr problematisch erachte ist, wenn ein einzelner Leistungsträger, wie etwa eine Airline, innerhalb der B2B-Kette einseitig nur noch Gutscheine herausgibt. Auch wenn ich rein betriebswirtschaftlich Verständnis dafür habe. Inakzeptabel wird es, wenn wir als Veranstalter einen verpflichtenden Gruppenvertrag mit einer Airline haben, diese dann aber die Flugannullierung mit Gutscheinen direkt an die Endkonsumenten «verrechnen».  

Vielleicht gibt uns diese Krise die Chance und hoffentlich auch die politische Einsicht, dass es dringend nötig ist, das Pauschalreisegesetz endlich zu überarbeiten.

«Vielleicht gibt uns diese Krise die Chance, das Pauschalreisegesetz endlich zu überarbeiten.»

Prognosen sind momentan unmöglich. Aber inwiefern glauben Sie wird sich «das Reisen» verändern, falls überhaupt?

Ich glaube, dass nur eine Minderheit das Reiseverhalten überdenken und ändern wird. Der Lockdown zeigt ja Einigen, dass es auch anders geht, und das Thema Nachhaltigkeit ist bei vielen nicht vom Tisch – im Gegenteil. Das Gros der Menschen wird jedoch das Bedürfnis nach Freiheit – und unsere Reisefreiheit ist ein elementarer Teil davon – erst jetzt wieder so richtig spüren. Zudem haben sehr viele Konsumenten in den letzten Wochen die Vorteile einer organisierten Reise erleben können. Ich habe im Bekanntenkreis Individualreisende, welche im Ausland festsitzen und jetzt noch auf einen Rückflug warten müssen.

So glaube ich an ein sanftes Revival der Pauschalreise – natürlich immer in zeitgemässer Form. Die bisherigen Entwicklungen werden sich verstärken: Digitalisierung und Flexibilisierung. Und gleichzeitig besteht ein Bedürfnis nach Sicherheit und Convenience. Aber dies war schon vor der Krise meine Überzeugung. Wichtigster Faktor, wie schnell die Reisebranche wieder Fuss fassen kann, ist wohl die gesamte wirtschaftliche Entwicklung. In meinen Augen ist es darum jetzt wirklich wichtig, dass wir bald zu einer massvollen Lockerung der Massnahmen kommen und dass Eigenverantwortung wieder im Vordergrund steht.