Reiseanbieter
Jetzt ist gegenseitige Kulanz gefragt
Unsere Freiheit zu reisen, wohin wir wollen, ist derzeit durch die Corona-Pandemie sehr eingeschränkt, ja nahezu inexistent. Das wirft auch rechtliche Fragen auf, nämlich wenn wir eine Reise gebucht haben, die nun vielleicht oder ganz sicher nicht stattfinden kann.
Da derzeit völlig unklar ist, wie lange der Ausnahmezustand hierzulande und im Rest der Welt noch anhalten wird, gibt es nicht auf alles eine klare Antwort. Die auf Reiserecht spezialisierte Anwältin, Sophie Winkler von Flying Lawyers und Franco Muff, Ombudsman der Schweizer Reisebranche, nehmen trotzdem Stellung zu den wichtigsten Fragen rund ums Reisen in Corona-Zeiten. Grundtenor: Im Zweifelsfall sucht man am besten das Gespräch mit dem Reiseanbieter, in der Hoffnung auf eine Lösung, die beiden Seiten möglichst wenig wehtut.
Umbuchen
Das Reisebüro bietet mir an, meine Reise umzubuchen statt zu stornieren – muss ich dem zustimmen?
Sophie Winkler: Nein, das müssen Sie nicht zwingend. Falls man auch weiterhin mit dem Reisebüro oder dem Veranstalter verreisen will und man plant, die Reise irgendwann noch zu machen, kann man den Anbieter aber auf diese Weise unterstützen. Besteht man auf eine Rückerstattung, erhält man allenfalls nur das, was das Reisebüro oder der Veranstalter selbst von weiteren Dienstleistungsträgern in der Kette zurückfordern kann.
Onlinebuchungen
Ich habe online einen Camper für eine Schweden-Reise im April gebucht. Der Bundesrat empfiehlt aber derzeit, auf dringende Reisen zu verzichten. Kann ich jetzt kostenlos annullieren?
Sophie Winkler: Wenn der Anbieter in Schweden seine Leistung wie gebucht zur Verfügung stellen kann, kann man lediglich gemäss den normalen Annullationsbedingungen stornieren – in diesem Fall also vermutlich nicht. Viele Anbieter sind aber derzeit kulant und lassen eine kostenlose Stornierung zu. Wenn man beispielsweise den Flug nach Schweden und den Camper bei unterschiedlichen Direktanbietern gebucht hat, hat man hier mehrere Ansprechpartner und unterschiedliche Bedingungen – und teilweise gilt noch ausländisches Recht. Wer beim Reisebüro gebucht hat, muss sich zumindest nicht selbst um die verschiedenen Anbieter kümmern und hat lediglich einen Ansprechpartner.
Franco Muff: Wenn man in Betracht zieht, dass die Flugverbindungen nach Schweden praktisch zum Erliegen gekommen sind, die Einreise vielleicht verunmöglicht wird, macht es keinen Sinn, an den Reiseplänen festzuhalten. Man sollte annehmen, dass selbst der Vermieter des Campers sich dieser Situation gewahr ist und er gute Stornobedingungen offeriert. Das muss jedoch eine Person, welche im Internet selbstständig gebucht hat, ebenso selbstständig aushandeln. Es sei noch angefügt, dass eine Empfehlung der Schweizer Regierung auf die Entscheidungen der Campervermietung keinen bindenden Einfluss hat.
Osterferien in der Schweiz
Kann ich meine Ferienwohnung, welche ich über Ostern im Tessin gemietet habe, kostenlos stornieren? Der Bundesrat empfiehlt ja, nicht ins Tessin zu reisen.
Sophie Winkler: Auch hier gelten die vertraglich festgelegten Annullationsbedingungen – der Vermieter könnte seinen Teil der Vereinbarung erfüllen. Ich empfehle aber auch hier, eine Lösung zu finden, die für beide Seiten fair und verkraftbar ist. Derzeit zeigen sich viele Vermieter kulant und haben Verständnis für die Situation.
Gutscheine
Dürfen Airlines bei ausgefallenen Flügen oder Reisebüros bei ausgefallenen Reisen Gutschriften verteilen anstatt das Geld zurückzubezahlen?
Sophie Winkler: Grundsätzlich gibt es in der Schweiz keine rechtliche Grundlage dafür, dass ich als Kunde einen Gutschein anstelle von Geld annehmen muss. Ausser, dies wäre vorgängig so vereinbart worden oder der Staat schafft ein solche (temporäre) Grundlage, wie es derzeit in anderen Ländern geschieht. Falls man vorhat, wieder bei diesem Anbieter zu buchen, ist es aus heutiger Sicht aber richtig und empfohlen, den Gutschein anzunehmen. Es gilt derzeit, Lösungen zu finden, die für Kunden und Anbieter tragbar sind und für alle eine positive Zukunft ermöglichen. Wichtig ist es sicherlich, jeden Fall individuell zu betrachten.
Franco Muff: Die Situation mit den Airlines stellt sich kompliziert dar. Obgleich das Gesetz eine Rückzahlung in bar vorsähe, verhält sich zurzeit keine Airline entsprechend. Es besteht die Wahl zwischen Umbuchung oder Akzeptanz eines Gutscheins für die Reisenden, unabhängig davon, ob es sich um eine Buchung via Reisebüro, eine Buchungsplattform oder direkt bei der Airline handelt. Möchte man die Reise später wahrnehmen, ist eine Umbuchung sinnvoll. Man kann als Alternative den Gutschein akzeptieren und diesen für Flüge zu einem späteren Zeitpunkt einlösen. Es kann aus meiner Sicht auf keinen Fall sein, dass Reisebüros Flugbillette als Einzelleistung den Kunden in bar erstatten müssen und gleichzeitig seitens Airlines nichts erhalten.
Reiseversicherung
Wenn ich jetzt eine Reise neu buche und diese dann aufgrund der Corona-Krise abgesagt werden muss, ist diese durch meine Reiseversicherung gedeckt?
Sophie Winkler: Das unterscheidet sich von Reiseversicherung zu Reiseversicherung, deren Versicherungsbedingungen vorgängig angeschaut werden müssen. Viele decken bei jetzt neu gebuchten Reisen die Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht mehr ab, weil es sich beim Coronavirus nun um «ein vorbestehendes Ereignis» handelt, welches bei Vertragsschluss bereits eingetreten ist. Bei vor längerer Zeit gebuchten Reisen zeigen sich viele Reiseversicherer aber sehr kulant. Eine allgemeingültige Regel für alle Reiseversicherungen gibt es nicht.
Rechnungen
Muss ich Rechnungen, die nun fällig werden, während nicht sicher ist, ob die Reise stattfindet, jetzt bezahlen?
Sophie Winkler: Ja, die muss man bezahlen. Solange die Reise nach heutigem Wissensstand voraussichtlich möglich ist, gibt es keinen Grund, diese nicht zu bezahlen. Die Vereinbarung beziehungsweise Buchung bleibt gültig, ganz nach dem Motto «pacta sunt servanda» (Verträge sind einzuhalten). Auch in anderen Lebensbereichen können Vereinbarungen nicht einfach aufgelöst werden, nur weil man die Dienstleistung dann vielleicht doch nicht in Anspruch nehmen kann. Will der Kunde einfach aus Angst eine Reise doch nicht antreten, obwohl diese im Zeitpunkt der Rechnungsstellung voraussichtlich möglich ist oder weil ihm die Reise nun ungünstig erscheint, so ist die entsprechende Rechnung trotzdem zu begleichen. Es spricht aber auch hier nichts dagegen, mit dem Veranstalter oder Reisebüro eine individuelle Lösung zu suchen.
Rückerstattung
Ist es eigentlich rechtens, dass die Reisebüros Rückerstattungen erst machen, wenn sie selbst das Geld von den Leistungsträgern zurückerhalten haben?
Sophie Winkler: Hier stellt sich die Frage: Ist die volle Rückerstattung geschuldet, oder nur das, was die Veranstalter oder Reisebüros sich selbst zurückholen können? Es herrscht momentan grosse Unsicherheit. Der Gesetzgeber hat einen Fall wie die Corona-Pandemie nicht vorgesehen. Eigentlich gilt für Pauschalreisen gemäss Gesetz: Annulliert der Veranstalter, muss es eine Ersatzreise oder volle Rückerstattung geben. Es ist aber nicht klar, ob diese Artikel jetzt greifen. Wenn Kunden das Geld zurückfordern, gibt es irgendwo in der Kette Verluste – noch ist nicht klar, bei wem und wer diese zu tragen hat. Aber es sind Lösungen erforderlich, bei denen alle Parteien gewisse Abstriche machen. Oder man bucht eben um. Zudem gilt es zu bedenken, dass die Reisebüros, bevor sie Rückerstattungen machen können, zuerst einmal die Übersicht über alle Forderungen haben und diese prüfen müssen. In der Regel sind Rückerstattungen innert Tagen zu prüfen und zu leisten. Dies ist für die Reisebranche derzeit schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Und letztlich gilt es für (Reise-)Unternehmen, welche aufgrund von Corona in eine finanzielle Schieflage geraten sind, noch den Gläubigerschutz zu beachten. Das bedeutet, sie dürfen einzelne ihrer Gläubiger nicht zum Nachteil anderer bevorzugen und individuelle Rückerstattungen nicht vornehmen, falls ihnen der Konkurs bereits droht.
Franco Muff: Es ist tatsächlich so: Das Pauschalreisegesetz kennt aktuell keinen Artikel, welcher ausserordentliche Ereignisse wie die Corona-Krise korrekt einbezieht. Legt man das bestehende Gesetz aus, bezogen auf den Punkt, dass ein Veranstalter die Reise stornieren muss, weil er sie nicht durchführen kann, müsste diese erstattet werden. Aus meiner Sicht ist eine Revision des Pauschalreisegesetz absolut notwendig. Zunehmend stellt sich die Frage, ob es korrekt ist, wenn in einem solchen Ausnahmezustand nur eine Partei finanziellen Schaden erleiden soll. Somit drängt es sich zusehends auf, dass flexible Lösungen getroffen werden und selbstverständlich das Szenario Umbuchung als Variante in Betracht gezogen wird. Als Ombudsman würde ich es ausserordentlich begrüssen, wenn die Schweizer Regierung sich diesbezüglich ähnlich verhalten würde wie Italien, wo Gutscheine der Reiseanbieter mit einer Staatsgarantie abgesichert sind.