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Um die Wirtschaft in Gang zu halten, muss Geld verkehren - vom Kleinen bis zum Grossen. Hier sind nun alle Akteure gefragt. Bild: Markus Spiske

Kommentar Jetzt muss Geld fliessen

Jean-Claude Raemy

Die Liquidität wird auf allen Seiten immer enger. Geld zurückhalten vor Partnern und Konsumenten kann aber keine Lösung sein. Immerhin gibt es nun Lösungen und damit hoffentlich auch einen Silberstreifen.

Seit gestern können Schweizer Unternehmen vom Bund günstige Kredite einfach beziehen. Wer davon in welchem Umfang Gebrauch gemacht hat, wissen wir noch nicht, hören aber von ersten Fällen, dass das Geld tatsächlich recht locker fliesst. Zu hoffen ist nun, dass damit der Cash-Flow wieder in Gang kommt.

Denn aktuell ist der Geldfluss komplett blockiert. Man stelle sich vor: Kunde Müller hat Osterferien gebucht und bezahlt; nun wurden die Osterferien aber wegen dem Coronavirus annulliert. Kunde Müller gehört zu jenen, die nicht einfach umbuchen möchten, sondern er will jetzt das Geld zurückhaben, um seine eigenen Rechnungen in dieser heiklen Phase sicher bezahlen zu können. Allerdings erhält er das Geld nicht zurück. Warum? Weil die Leistungsträger dieses auf unbestimmte Zeit zurückhalten. Die Rückerstattung sei nicht in den üblichen Fristen machbar, automatisierte Refunds wurden eingestellt. So geschehen bei der Lufthansa Gruppe sowie anderen Airlines. Doch nicht nur dort: Wie man hört, versuchen dies auch einige Hotels, vor allem bei «non-refundable» Buchungen, obwohl die Hotels noch nicht mal geöffnet sind. Veranstalter versuchen, durch die Gewährung von Zukunftsversprechen, abgesichert durch Gutscheine, das Geld bei sich zu behalten.

Das «Treuhand-System» in der Reisebranche – Kunde zahlt sofort, Leistung erfolgt später – ist ein Pferdefuss, sobald der Kunde plötzlich das Geld wieder zurück haben will und dies ihm auch zusteht. Dass der Kunde seine Ferien verschiebt statt annulliert, ist ein frommer Wunsch – je länger die Krise andauert, desto weniger werden Kunden dazu bereit sein. Dazu kommt, dass selbst den «Verschiebungswilligen» teils wenig Flexibilität geboten wird. Swiss erlaubt eine Umbuchung bis 31.12.2020, das ist möglicherweise zu wenig sicher bzw. auch zu wenig flexibel. Emirates beispielsweise erlaubt, das Originalticket während einer Dauer von 760 Tagen ab der Ausstellung als «Open Coupon» gültig zu halten, also ganze zwei Jahre. Das ermutigt doch eher, das Geld nicht zurückzufordern.

Ewig können die Leistungsträger aber sowieso nicht auf der geborgten Liquidität sitzen und werden früher oder später zum Zurückzahlen verpflichtet, sofern der Kunde nicht umbucht. Dass die Reisebranche ein Liquiditätsproblem hat, mögen einige Kunden verstehen. Andere werden kein Verständnis haben und auf ihr Recht pochen. Für Reisebüros in mehrerer Hinsicht ein Problem: Zum einen können sie eigentlich nicht zurückzahlen, solange sie das Geld nicht vom Leistungsträger erhalten haben, und stehen als Lackierte da oder müssen – sehr riskant – in Vorkasse gehen. Die Kulanz gewisser Airlines oder auch von Hotel-Bettenbanken mag teils Abhilfe schaffen, aber schürt in der Öffentlichkeit doch nur die Ansicht, dass man eigentlich bei einer Direktbuchung sicherer fährt.

Hilfe von Staat und SRV

Es ist also wichtig, dass das Geld wieder fliesst, und zwar in alle Richtungen. Und die Reisebüros, die aktuell sicherlich oft den «Schwarzen Peter» von unzufriedenen Kunden erhalten, sollten sich auf Positives konzentrieren – etwa auf Kunden, die ihnen jetzt erst recht die Stange halten, sowie auf Hilfe, die nun kommt.

Vom Staat, wie eingangs erwähnt. Airlines erhalten ihrerseits Kredite und Regelungs-Auflockerungen, die es ihnen zumindest ermöglichen sollten, nicht mehr auf der Liquidität zu sitzen wie das Huhn auf dem Ei. Auch sie müssen rückvergüten, wo dies rechtens ist.

Und auch der SRV macht einen guten Job. Auf dessen Ersuchen hin hat der Garantiefonds der Schweizer Reisebranche sich soeben bereit erklärt, den vorgeschriebenen Zeitpunkt für das Inkasso des Reiseveranstalters gegenüber einem Teilnehmer von 14 Tagen auf 7 Tage vor dem Abreisedatum hinauszuschieben. Diese Änderung der kumulativen Voraussetzung für die Geltendmachung einer Schadloshaltung gegenüber dem Garantiefonds gilt ab sofort bis zum 20. April 2020. Entsprechend dem vorübergehenden Entgegenkommen des Garantiefonds wurden die grossen Reiseveranstalter (Hotelplan, DER Touristik Suisse, TUI Suisse, Globetrotter, Knecht Reisen und alle TTS-Veranstalter, FTI und Bentour) ersucht, die Belastungen mit «Business Direct Debit» (BDD) / Lastschriftverfahren mit Widerspruchsrecht (LSV+) bzw. das Inkasso ohne BDD/LSV+ vorübergehend anzupassen. Das schafft wieder etwas Luft.

Nicht zuletzt gewinnen Reisebüros, selbst wenn einige Kunden nun wegen der verzögerten Rückerstattung den Reisebüros am liebsten die (geschlossenen) Türen einrennen würden, unter dem Strich wieder massiv an positivem Image. Wir haben in den vergangenen Wochen den kompletten Zerfall der Reisewelt, wie wir sie kannten, erlebt und Schreckensgeschichten von stundenlangem Warten in Telefonschlaufen bei Airlines, OTAs und mehr gehört. OK, auf sozialen Medien machen diese möglicherweise einen guten Job, aber nicht jeder kann mit dieser Art der Serviceleistung etwas anfangen. Und ob die Massenhysterie wegen dem Virus gerechtfertigt ist oder nicht, ist eine Diskussion, die man gar nicht erst starten soll – sie ist nun mal Realität.

In der Welt, die sich zunehmend wieder auf Lokales und Vertrautes bezieht, kann das «Reisebüro Ihres Vertrauens» doch wieder punkten. Die Telefone werden dort noch abgenommen. Es wird Hilfe, wo möglich und sinnvoll, geleistet. Es wird klar, dass die Hilfeleistung einen Wert hat und die Gebühren dafür sogar vergleichsweise tief sind – immerhin geht es um die wichtigsten Wochen des Jahres… Und Reisebüros sind ja eigentlich in einem permanenten Krisenmanagements-Modus, weil dem Kunden immer mal wieder was wiederfährt – nun eben einfach auf grösserer Skala – und somit darf man davon ausgehen, dass ein Reisebüro adäquat zu helfen weiss.

Always look on the bright side…

OK, man muss keine rosa Brille aufsetzen: Die Reiseindustrie wird sich nicht zu 100 Prozent erholen und manche Reisebüros und auch Reiseveranstalter sowie Leistungsträger werden auf der Strecke bleiben. Die noch vorhandenen Reisebüros müssen danach aber kaum mehr «Legitimierungsfragen» beantworten und werden dann auch hoffentlich wieder von allen Seiten als wesentlicher, solider Bestandteil der Reisevertriebskette angesehen.

Und es ist wohl keine gewagte Wette zu sagen, dass die Menschen bald wieder reisen wollen. Als ich selber mich gestern wieder auf einen spannenden Tag einstellte, dessen Höhepunkt der Gang in den Garten ist, regten sich wie inzwischen üblich Überlegungen, wohin es denn nun als nächstes gehen sollte, sobald man sich wieder frei bewegen darf. Es soll dann aber nicht einfach irgendwohin gehen, weil einfach und billig. Nein, jetzt gilt es sich zu überlegen, wohin man wirklich noch hin will. Dafür werde ich wohl Hilfe von Profis brauchen. Gerne früher als später. Sobald das Geld wieder fliesst.

Gleichzeitig kam mir das berühmte Lied aus der Schlussszene von Monthy Pythons inzwischen schon 41 Jahre altem Film «Life of Brian» in den Sinn. Irgendwie darf man ja, ob man nun als Reisebüro, Privatperson oder anderswie denkt, den Mut nicht verlieren…