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Die Pleite hatte laut Lothar Buss keine höhere Gewalt und keine Besonderheiten der Reisebranche als Grund. Bild: AdobeStock

Einwurf «Die Pleite von Thomas Cook ist ausschliesslich auf Fehlentscheidungen zurückzuführen»

Lothar Buss war lange Jahre Leiter Hoteleinkauf bei Thomas Cook. Heute ist er zwar im Ruhestand, verfolgt aber immer noch sehr nahe, was mit dem inzwischen Pleite gegangenen Grosskonzern passiert. Und rechnet in diesem Einwurf gnadenlos ab.

«Ich war lange Jahre in leitender Position bei Neckermann Reisen/C & N/Thomas Cook tätig, bin daher Zeuge aus der ersten Reihe und kann für mich sagen, dass diese Pleite vorhersehbar war. Sie hatte als Ursache keine höhere Gewalt und keine Besonderheiten der Reisebranche, sondern ist ausschliesslich zurückzuführen auf Fehlentscheidungen der Spitze des Managements beziehungsweise des Aufsichtsrates.

Ich will dies begründen. Aus dem Geschäftsbericht der C & N Touristic AG für das Jahr 1998/99 geht hervor, dass das Unternehmen bei einem Umsatz von 9,1 Mrd. DM ein Betriebsergebnis (Ebita) von 284 Mio. D-Mark und einen Jahresüberschuss von 121,6 Mio. D-Mark erzielte. Trotz dieser beeindruckenden Zahlen fühlte sich der damalige Vorsitzende des Aufsichtsrates, Jürgen Weber, Vorstandsvorsitzender der Lufthansa, veranlasst, den damaligen Vorstandsvorsitzenden der C & N, Wolfgang Beeser, von seinen Aufgaben zu entbinden. Einziger Grund aus meiner Sicht: Er widersetzte sich dem Wunsch des Aufsichtsrates, die Aktivitäten des international aufgestellten Unternehmens auch auf England auszudehnen, weil er und auch die meisten seiner Führungskollegen darin mehr Risiko als Chancen sahen.

Der Nachfolger Stefan Pichler setzte danach das Verlangen des Aufsichtsrates in die Tat um und inszenierte für C & N den Kauf von Thomas Cook mitsamt des englischen Veranstalters JMC (der Name stand für James Mason Cook, Sohn des Gründers) für 1,8 Milliarden D-Mark. Zuvor hatte die TUI C & N bei der geplanten Übernahme des britischen Marktführers Thomson überboten. Da JMC bereits beim Kauf als Veranstalter Verluste produzierte, C & N nur noch mit der Integration beschäftigt war und damit selbst in die Verlustzone geriet, wurde Pichler, obwohl nicht der eigentliche Initiator dieses Kaufs, wegen Erfolglosigkeit entlassen.

Bezüge in der Höhe fünf Millionen Euro

Nachfolger wurde dann nach vierjähriger Abwesenheit wieder für zwei Jahre Wolfgang Beeser. Mittlerweile war Thomas Middelhoff als Vorstandvorsitzender von Karstadt Quelle zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates des Unternehmens, nun in Thomas Cook umbenannt, gewählt worden. Dieser wurde nach Weber zum zweiten Hauptverantwortlichen für das heutige wirtschaftliche Desaster. Er machte Manny Fontenla-Novoa zum Chef des Gesamtunternehmens. Die Konzernzentrale wurde von Oberursel nach London verlegt, dem vermutlich teuersten Standort Europas. Gleichzeitig stattete Middelhoff Fontenla-Novoa und damit auch die künftigen Unternehmenslenker mit Bezügen aus, die fern jeder bisherigen deutschen Realität waren. Im ersten Jahr seines Wirkens erhielt Fontenla-Novoa, wie man später aus der Presse erfuhr, Bezüge von umgerechnet fünf Millionen Euro.

Die vermutlich wichtigste Entscheidung für den Weg in den Abgrund traf dann Fontenla-Novoa, natürlich mit Billigung des Aufsichtsrates. Er leitete 2007 den Zusammenschluss mit dem englischen Grossveranstalter My Travel ein, womit rechnerisch nach Passagierzahlen der grösste Veranstalter in UK entstand. My Travel war auch auf dem skandinavischen Markt aktiv und mit dem Kauf der dortigen Veranstalter Spies, Tjaereborg und Vingresor von SAS zum Marktführer geworden und arbeitete dort stets sehr profitabel. In die Ehe von Thomas Cook und My Travel wurden 1200 Reisebüros eingebracht, die in England leider aus der Zeit gefallen waren, sowie erhebliche weitere Verbindlichkeiten durch verschiedene Akquisitionen. Damit war Thomas Cook, gekauft und vermutlich vor dem Ruin gerettet von C + N, endgültig ein englischer Touristikkonzern mit Sitz in London.

Durch die Fusion mit dem wirtschaftlich angeschlagenen und bereits börsennotierten Konzern My Travel war Thomas Cook in London an der Börse notiert. Der Kurs und damit der Wert des Unternehmens stieg rasch nach der Fusion. Dies lag im Interesse von Middelhoff, weil der von ihm geführte Arcandor-Konzern (ehemals Karstadt Quelle) bereits selbst erhebliche finanzielle Probleme hatte. Nun war Thomas Cook unter Leitung des CEO Manny Fontenla-Novoa voll mit der Integration aller Unternehmensteile beschäftigt. Dies war in UK eine ideale Situation für einen aggressiven touristischen Newcomer wie Jet2 Holidays, gegründet 2007. Statt planungsgemäss die Nummer eins vor TUI/Thomson in UK zu werden, schrumpfte Thomas Cook binnen drei Jahren hinter Jet2 Holidays nach Gästezahlen zur Nummer drei. Über die wirtschaftlichen Auswirkungen für das Unternehmen, das ja auch die Mitarbeiter von My Travel zu integrieren hatte, muss man nicht spekulieren.

Fankhauser hätte Plan B haben müssen

Wie nicht anders zu erwarten, wurde Fontenla-Novoa 2012 wegen mangelndem wirtschaftlichen Erfolg seines Amtes enthoben und durch eine Seiteneinsteigerin, die in England sicherlich renommierte Harriet Green, ersetzt. Nach zweijährigem kostspieligen Intermezzo wurde sie zum Rücktritt gezwungen.

Dem seit Ende 2014 amtierenden CEO Peter Fankhauser hätte in der Endphase seiner Amtszeit klar sein müssen, dass bei der bestehenden Relation zwischen den Kosten, darunter ein erheblicher Aufwand für den Schuldendienst, und dem möglichen Ertrag im Gesamtunternehmen die Insolvenz unvermeidlich war, wenn der Deal mit dem chinesischen Konzern Fosun nicht klappt.

Realistischerweise hätte er mit einem 'Plan B' retten müssen, was zu retten war, zum Beispiel den deutschen Veranstalter, der stets profitabel war. In Skandinavien ist dies bekanntlich gelungen, sehr zur Freude der Zielländer, beispielsweise aktuell der Kanaren. In den wichtigsten Zielgebieten wie Spanien, Griechenland oder Türkei, in denen Thomas Cook jeweils dreistellige Millionensummen schuldig blieb und damit etliche Hotels fast in den Ruin trieb, wird man ein Verfahren wegen Insolvenzverschleppung als selbstverständlich erachten, auch wenn dies nachträglich nichts an dem Desaster ändern würde.

Aus der Schweizer Presse ist zu erfahren, dass Fankhauser als Honorarprofessor an der Universität St. Gallen lehren wird. Für die ehemaligen Mitarbeiter in Oberursel, die ihn seit vergangenem Juni nicht mehr gesehen haben, muss es ein Affront sein, wenn sie lesen, dass er 'seine Erfahrungen in seine Lehrtätigkeit einbringen' soll. Von dem einstigen deutschen Reisepionier Neckermann, der weltweit einen exzellenten Ruf genoss, ist zum Schluss nur das Foto der Mitarbeiter vor der Zentrale in Oberursel übrig geblieben, das in der fvw in einem Bericht mit dem Titel 'Wehmütiger Abschied' veröffentlicht wurde.»

(JCR)