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Der scheidende TUI-Suisse-CEO Martin «Tinu» Wittwer besuchte seine Filialen auch mal auf dem Rennrad. Bild: TUI

Kommentar Tinu steigt vom Rad

Gregor Waser

Dem Abgang von Martin Wittwer als CEO von TUI Suisse ist ein längeres Vorspiel vorangegangen.

Eine Woche nach der Ankündigung von Martin Wittwer, per Ende Februar 2020 TUI Suisse zu verlassen, zeichnet sich ab, wie es zum abrupten Abgang gekommen ist. Schon im Interview mit Travelnews von letzter Woche, räumte Wittwer ein, dass in jeder Beziehung einmal der Zeitpunkt komme, wo man sich überlegen muss, wo man steht und welches die Interessen des Unternehmens und von einem selber sind.

Das tönt verklausuliert, dürfte aber heissen: die Vorstellungen, in welcher (verschlankten) Form TUI Suisse im Schweizer Markt künftig agiert, drifteten zwischen dem CEO und der Führungsetage in Hannover wohl immer weiter auseinander. Kein Wunder erlebte man Martin Wittwer in den letzten Monaten vermehrt auch mal unwirsch oder verschlossener, als er eigentlich selber sein wollte, wenn es ums Fachsimpeln ging, wie es mit TUI Suisse weitergeht.

Hier liegt der Hund begraben

Dass der Mann, der in 20 Jahren TUI Suisse erfolgreich durch die Anfangswirren zu einem ertragsstarken, soliden und gut angesehenen Reiseunternehmen dirigiert hat, trocken in einem nur 226 Zeichen langen Zitat verabschiedet wird – «er hat TUI Suisse zu dem gemacht, was es heute ist» – überrascht doch sehr. Vor allem kommt der müde Abschiedsgruss vom VR-Präsidenten David Burling und nicht von Zentraleuropa-Chef Marek Andryszak, der den Geschäften von TUI in Deutschland, Polen, Österreich, der Schweiz und Italien vorsteht. Hier dürfte der Hund begraben sein.

Einerseits ist Andryszak als unzimperlicher, kostenfokussierter und online-getriebener Manager bekannt, andererseits verspürt dieser enormen Druck. Die 102 Millionen Euro Gewinn, die im vergangenen Geschäftsjahr in seinen fünf Ländern total angefallen sind, enttäuschen – im Vergleich etwa zum Gewinn der TUI-Kreuzfahrtensparte in der Höhe von 366 Millionen Euro.

Kein Wunder, setzt Andryszak vehement den Rotstift an. Was TUI Suisse blühen dürfte, zeigt sich in Österreich, wo TUI mittlerweile als reine Vertriebsorganisation fungiert – CEO Lisa Weddig wurde Ende September 2019 nicht ersetzt, der bisherige CFO Gottfried Math leitet nun die Geschicke von TUI Austria.

Hannoversche Daumenschraube

Für Martin Wittwer dürfte sich im letzten Jahr nun verstärkt abgezeichnet haben, dass es mit der Narrenfreiheit und der losen Leine aus Hannover vorüber ist. Dabei stiess Wittwer noch zahlreiche Initiativen an, die aufzeigten, dass mit wenigen Mitteln, dafür mit Innovationsgeist, einiges zu bewegen ist. Mit der Verjüngung und Verschlankung seines Managements erzielte er nicht nur Einsparungen, sondern zeigte sich dabei offen, mit neuen Arbeitsmodellen und neuer Einstellung: «Um Veränderungen voranzutreiben, müssen wir auf unsere Jungen hören und sie fördern. Was soll ich machen, dass junge Leute noch Reisen buchen? Wie schaut der ideale Arbeitsplatz aus? Diesen Fragen bin ich bei den jungen Mitarbeitenden persönlich nachgegangen», sagte er anlässlich seines 20-Jahre-Jubiläums bei TUI.

Der Hannoverschen Daumenschraube wurde Wittwer nun aber überdrüssig und zog von sich aus einen Strich. Klar, mit erwachsenen Kindern und guter finanzieller Absicherung lässt sich auch im Alter von 58 ein solcher Schritt ohne neue Job-Option machen; ein Schritt, vor dem sich viele andere in ähnlichem Alter scheuen würden – wegen finanziellen Fragezeichen und dem Verlust von Prestige und CEO-Titel.

Doch Sportsmann Wittwer scheint zu wissen, wann es reicht und es Zeit ist, vom Rad zu steigen. Denn überaus fit ist er, um nochmals eine neue, unbeschwertere Aufgabe in Angriff zu nehmen. Es würde nicht überraschen, wenn er als Dozent in irgendeiner Form künftig in Erscheinung treten würde, schliesslich stammt der Berner aus einer Lehrer-Familie und begann vor seiner Reisebüro-Laufbahn ein Lehrer-Seminar.

Doch wie geht es weiter bei TUI Suisse? Dass der Saisonstart allem Anschein nach in allen Vertriebskanälen (Filialen, Agenten, Online) positiv ausgefallen ist und über Vorjahr liegt, dürfte weiteren möglichen Filialschliessungen vorerst entgegenwirken. Und die Nachfolge von Martin Wittwer? Geht es nach österreichischem Szenario wird Martin Wittwers Chefsessel nicht neu, sondern intern, etwa von CFO Rainer Schenkel oder mit einer deutschen Lösung, besetzt.