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Andrea Lehner arbeitete bis 2009 bereits einmal für Kira Reisen und leitet nun seit 2018 den Osteuropa-Spezialisten. Bild: TN

«Der Juni ist nicht dringend der Reisemonat für St. Petersburg»

Gregor Waser

Russland als Reiseziel hat sich seit 2017 deutlich erholt. Osteuropa-Spezialist Kira Reisen verzeichnet deutliche Zuwächse. Geschäftsleiterin Andrea Lehner nennt die jüngsten Entwicklungen und Trends – und verrät ihr Lieblingsziel.

Frau Lehner, wie laufen die Geschäfte als Osteuropa-Spezialist im Jahr nach der Fussball-WM?

Andrea Lehner: Sehr gut, wir liegen 4 Prozent über Vorjahr. Und letztes Jahr im WM-Jahr konnten wir um 10 Prozent zulegen. Gegenüber 2017 liegen wir somit fast 15 Prozent voraus – eine schöne Entwicklung in einer Zeit, wo anderen Sparten der Reisebranche leiden. Ich denke, unsere Destinationen treffen den Zahn der Zeit. Die meisten Ziele – ausser die Grossstädte – liegen abseits vom Massentourismus und sind mit Kurz- oder Mittelstrecken-Flügen gut erreichbar. Viele Ziele sind auch per Zug gut zu erreichen.

Auf welche Länder verteilt sich die Nachfrage bei Ihnen?

Rund ein Drittel unserer Kunden reist nach Russland; ein knappes Drittel in den Kaukasus und nach Zentralasien, darunter fallen Armenien, Georgien Aserbaidschan sowie Tadschikistan, Kirgistan, Turkmenistan, Kasachstan und Usbekistan. Die restlichen Gäste verteilen sich aufs Baltikum, Tschechien, Polen und Rumänien. Kommende Destinationen sind die Mongolei, Moldawien, Weissrussland und die Ukraine. Ebenso im Programm haben wir Bulgarien und auch Ungarn, wo die Wurzeln von Kira liegen.

Wie hat sich das Russland-Geschäft in den letzten Jahren entwickelt?

2015 kam es wegen der Krim-Krise zu einem starken Einbruch, obwohl unsere Hauptreisegebiete in Russland weit von der Krim liegen. Das war ein schmerzliches Jahr für Kira. Seit 2017 wächst Russland aber wieder stetig. Die WM hat dem Reiseland sehr gut getan, auch dank den tollen SRF-Berichten rund um die Fussball-Spiele. Diese haben die Lust nach Russland sicherlich geschürt.

Welche Aspekte sprechen den Russland-Reisenden denn an?

Der Erstbesuchende will nach St. Petersburg und Moskau. Die beiden Städte lassen sich mit dem Hochgeschwindigkeitszug Sapsan in vier Stunden sehr gut kombinieren. Bei den Fernweh-Gästen oder Bahnliebhabern steht die Transsibirische Eisenbahn weit oben. Vermehrt begehrt sind die alten Städte auf dem goldenen Ring rund um Moskau und die Region Karelien nördlich von St. Petersburg. Reisegewandteren empfehlen wir Bahnreisen oder Reisen in abgelegenere Gebiete wie beispielsweise die Halbinsel Kamtschatka.

St. Petersburg scheint oft sehr überlaufen.

Das ist schon so, in gewissen Wochen herrschen da fast unzumutbare Zustände. Das höchste Besucheraufkommen erfolgt rund um die Weissen Nächte von Mitte Juni bis Mitte Juli. Dann stoppen noch mehr Kreuzfahrschiffe als üblich. 2020 werden dann auch noch Fussball-EM-Spiele hinzukommen und anfangs Juni findet jeweils das World Economic Forum statt. Das hat dazu geführt, dass in dieser Zeit Übernachtungen doppelt so teuer sind wie beispielsweise im August/September. Wir raten darum ab, im Monat Juni die grundsätzlich wunderbare Stadt St. Petersburg zu besuchen. Ja, das steht so im Katalog geschrieben – aber das Jahr hat noch elf weitere tolle Monate.

Wie beurteilen Sie das Preisniveau generell in Osteuropa?

Das Preis-Leistungsverhältnis hat sich deutlich verbessert. Die Qualität der Infrastruktur oder beispielsweise der örtlichen Reiseleitung hat sich in den vergangenen 10 Jahren massiv verbessert. Gleichzeitig sind die Preise mit Ausnahmen in Russland nur moderat gestiegen.

«Wir schätzen es, wenn wir via Telefonlautsprecher ins Beratungsgespräch einbezogen werden»

Mit welchen Neuheiten wartet Kira Reisen im 2020 auf?

Wir haben total 50 neue und zusätzliche Gruppen- und Privat-Reisen im Programm aufgenommen: Etwa eine Wanderreise in den rumänischen Karpaten, Rumänien in seiner ursprünglichen Art. Oder wir versuchen das noch völlig unbekannte Moldawien mit verschiedenen Reisen aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Denn hier, wo der UdSSR-Touch noch sehr spürbar ist, warten landschaftliche Perlen, immense unterirdische Weinkeller und gastfreundliche Einwohner. Zentralasien bieten wir noch tiefer an. Neu ist hier beispielsweise die Reise im Westen Kasachstans zu den einmaligen Salzlandschaften – mit Eindrücken wie in einem Science-Fiction-Film. In Russland möchten wir die Reise ins Altai-Gebirge hervorheben. Eine Reise mit täglichen Wanderungen von drei bis elf Kilometern Länge.

Wie wichtig sind für Sie die Reisebüro-Agenten?

Sehr wichtig. 80 Prozent unserer Buchungen erhalten wir von Agenten, 20 Prozent direkt. Wir haben ein gutes Verhältnis zu den Agenten und uns ist bewusst, dass viele unserer Reisezeile auch im Retail wenig bekannt sind. Darum helfen wir gerne bei der Kundenberatung von der ersten Sekunde und schätzen es, wenn wir via Telefonlautsprecher ins Beratungsgespräch einbezogen werden.

Die neuen Kataloge von Kira Reisen werden diese Woche versandt.

Wie stark ist für Sie als Destinationsspezialist mit tiefem Produktsortiment eigentlich die Konkurrenz direkter Online-Buchungen?

Was bei uns weggebrochen ist, sind die reinen Städtebuchungen, etwa nach Prag oder Budapest. Hier haben wir nur noch Gruppenbuchungen, der Individualgast bucht in den meisten Fällen Flug und Hotel direkt.

Seit dem 1. Oktober gibt es ein E-Visum für St. Petersburg. Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie?

Ich bin gespannt, wie sich Russland entwickelt. Das Visum gilt aktuell für acht Tage und nur bei Ein- und Ausreise über denselben Grenzübergang. Ob nun St. Petersburg mehr online gebucht wird, vorbei am Spezialisten, der auch das Visum organisiert, muss sich nun zeigen. Ab Januar sollte dann auch ein E-Visum für Moskau kommen. Ein Vorteil für uns ist, dass wir nun auch kurzfristige Reisen, wie etwa eine Silvesterreise anbieten können. Bisher galt es mindestens zehn Arbeitstage für die Visabeschaffung einzurechnen.

Und welches ist ihr persönliches Lieblingsziel in Osteuropa?

Mein Favorit in Russland ist Irkutsk und der Baikalsee, diese einzigartige Weite, der immense See und der Aufenthalt in einer sibirischen Blockhütte gefallen mir ausgezeichnet. In Osteuropa bin ich ein grosser Fan von Rumänien. Weniger von Bukarest, aber dafür alles rundherum, ob Siebenbürgen oder das Donau-Delta.