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Massentourismus, wie hier in Rom, ist an immer mehr Orten zu beobachten. Regelt sich das Problem von selber oder braucht es Leitplanken für Unternehmen und Konsumenten? Die Diskussion ist eröffnet! Bild: Adobe Stock

Einwurf «Es ist irritierend, wenn ein Unternehmer der Tourismusbranche im Stil einer NGO argumentiert»

Alberto Moreno

Touristikprofi Alberto Moreno findet es im Prinzip lobenswert, wenn ein CEO der Reisebranche sich Gedanken zur Tourismuszukunft macht. Er ist aber der Meinung, heutige Kunden seien ausreichend sensibilisiert und der Markt könne sich selber regeln. Anbei seine Replik auf den jüngsten Einwurf von Globetrotter-CEO André Lüthi.

André Lüthi, erfolgreicher Unternehmer und Weltenbummler, ist ein selbstkritischer Betrachter der Reisebranche. Ich lese seine Beiträge sehr gerne, spricht er doch auch immer wieder gesellschaftlich relevante Themen an. Spürbar wird in den Berichten seine Passion für das Reisen. Ebenso interessant sind die Aussagen zu den Führungsprinzipien, mit denen es ihm gelungen ist, ein grosses, wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen aufzubauen. Der letzte Woche auf Travelnews.ch publizierte «Einwurf» (unter diesem Link nachzulesen) über die negativen Einflüsse des Tourismus ist inhaltlich richtig. Ich erfasse jedoch nicht, was dieser Artikel bezwecken soll, und ich erkenne auch nicht, welche Konsequenzen sein Unternehmen aus den Erkenntnissen zieht. Ich möchte meinen Einwand erläutern und hole etwas aus.

Bereits in seinem «Einwurf» vom 1.3.2017 fragt André Lüthi, ob wir den Pauschaltourismus wirklich wollen und wünscht sich «Reiseveranstalter, die den Reisenden wieder vermehrt das Entdecken der Welt näherbringen – sie (die Kunden) sollen mit offenen Augen, selbstbewusst, wach und neugierig durch die Welt gehen.». Nebenbei bemerkt: Wer sagt denn, dass ein Pauschaltourist per se mit Scheuklappen reist? Der Artikel schliesst mit einer Entschuldigung an «Thomas Cook» ab, welcher im zitierten Beitrag wohl die Augen geöffnet werden sollten und die stellvertretend für alle Pauschal-Reiseunternehmen genannt wird.

Im aktuellen «Einwurf» vom 29.11.18 über «Overtourism» äussert sich Lüthi zur Problematik von Kurzreisen. Wir erfahren, was «Richtiges Reisen» ist sowie dass kurze Reisen mehr soziokulturelle und ökologische Negativeinflüsse erzeugen. Wie schon im früheren Beitrag nimmt er die Reisebranche in die Verantwortung: «Ein grundlegender Ansatz ist, dass die Reiseveranstalter wie auch die Reisenden sich ihrer Verantwortung bewusst sind». Ich lese darin eine Anleitung für die Kunden (für verantwortungsvolles Reisen) und eine Ermahnung an seine Mitbewerber (an die Verantwortung, die sie wahrnehmen müssten). Es werden zusätzlich alle Arbeitgeber gebeten mitzuwirken, indem diese den reisewilligen Arbeitnehmenden längere Abwesenheiten bewilligen - eine in der Tourismus-Branche etablierte Grosszügigkeit, denn die Unternehmen profitieren von der Reiseerfahrung der Mitarbeitenden.

Utopische Forderungen

Es sind aus meiner Sicht utopische Forderungen an die falschen Adressaten. André Lüthi müsste - wenn er wollte - die Kunden ansprechen und ihnen vermitteln, dass die Reisen, die sie nicht zuletzt in seinen Unternehmen nachfragen, grosse Nachteile haben. Welche Verkaufsberaterin oder Verkaufsberater wagt zu sagen: «Herr Moreno, jetzt sind sie in diesem Jahr schon drei Mal mit dem Flugzeug auf einer Kurzreise gewesen. Stellen Sie sich vor, was für einen Riesenabdruck ihr ökologischer Fuss hinterlässt und wie wenig sie von der Kultur und den Menschen in der Fremde mitbekommen haben! Sprechen Sie mit ihrem Arbeitgeber oder Ihrer Arbeitgeberin und versuchen Sie für 2021 einen längeren Urlaub am Stück zu erhalten. Ich empfehle Ihnen eine Wanderung von Bern entlang der Pilgerroute nach Santiago de Compostela, wo sie aber auf keinen Fall bleiben dürfen, sie wissen ja, «Overtourism». Ich rate Ihnen stattdessen auf dem Rückweg einen Umweg über die spanische Provinz Soria, da können Sie mit Ihrem Geld dazu beitragen, die Landflucht und die Arbeitslosigkeit einzudämmen. Ab Biarritz dürfen Sie dann den Zug zurücknehmen, das ist o.k.». Mit solchem Verständnis für Dienstleistung und diesem «Erziehungsmodell» besteht vermutlich kein erfolgreiches Unternehmen der Tourismusbranche.

Reisen und Entdecken wird im Artikel definiert als beste Lebensschule und Mittel zur Völkerverständigung, das Toleranz und gegenseitigen Respekt erzeugt. Es gibt aber auch Menschen, die auf anderen Wegen zu interessanten Persönlichkeiten reifen. Reisen muss daher nicht als ein Grundrecht betrachtet werden oder als Pflicht und Voraussetzung für die Reifung einer Person. Touristen reisen aus unterschiedlichen Gründen und weil sie es sich leisten können.

Es ist für mich irritierend, wenn ein Unternehmer der Tourismusbranche im Stil eines CEO einer NGO argumentiert und seine Konkurrenten auffordert, auf Charter- und Kurzreisen zu verzichten. Das sind unternehmerische Entscheidungen, die jede Firma für sich treffen muss. Ein Unternehmen ist in der Regel zuerst den Aktionären/Gesellschaftern verpflichtet und wird anbieten, was gesetzlich erlaubt und gesellschaftlich akzeptiert ist, so lange es einen Gewinn verspricht. Jedem Touristikunternehmen ist es freigestellt, sich personell und finanziell für Sozial- und Umweltprojekte einzusetzen und damit zu signalisieren, dass man die Schattenseiten der Entwicklung anerkennt und mithilft, diese zu reduzieren und die positiven Effekte des Tourismus zu verstärken. Das hat Vorbildcharakter.

Die Konsumenten bestimmen über die Nachfrage das Angebot. Wer möchte, dass Charter- und Kurzferien zurückgehen, der kann bei sich anfangen und auf diese Reisen verzichten. Ich glaube, es besteht keine Gefahr, die Offenheit und Toleranz zu verlieren, nur weil man nicht oder weniger reist. Die Möglichkeit, sich die Welt auf anderen Wegen zu erschliessen, ist heute einfacher denn je. Einerseits kann durch das Lesen, den Medienkonsum und die Informationssuche über das Internet die eigene Reiseerfahrung aktualisiert werden. Andererseits besteht beispielsweise die Möglichkeit, sich als Freiwillige oder Freiwilliger im Flüchtlingsbereich zu melden. Mit den Schutzsuchenden aus praktisch allen Kontinenten kommt die Welt auch in die Schweiz. Diese Arbeit eröffnet Gelegenheiten, Kulturen kennen zu lernen und Toleranz zu üben.

Mündige Konsumenten treffen ihre Entscheidungen selber

Wir haben es in der Schweiz mit einer informierten Kundschaft zu tun. Diese ist mündig und kann die negativen Einflüsse genauso gut erkennen wie jeder innerhalb der Reisebranche. Es liegt an jedem Einzelnen, diese Vor- und Nachteile mit der eigenen Wertehaltung abzustimmen und die richtige Entscheidung zu treffen. Es wird immer Touristen geben und nach deren Wünschen werden auch die Reisen gestrickt werden, welche die Unternehmen anbieten. Die Branche braucht sich da keine Sorgen zu machen. Unser Kompass für Produkte, die angeboten werden und solche, die besser nicht offeriert werden, spiegelt ein Stück weit die Wertehaltung der Gesellschaft, in der wir leben. Orientierung bieten Forschende in der Soziologie, Ökonomie, Ökologie und in der Freizeit- und Tourismus- Branche, aber auch der Journalismus, Konsumentenschutz und nicht zuletzt die NGOs, die unserer Branche als «externe Beratende» einen Spiegel vorhalten können. In diesem Sinne sind die hier gestellten Forderungen eines Marktteilnehmers an die Reisebranche - insbesondere an die Pauschalreise-Anbietenden und an deren Kundschaft - nicht glaubwürdig. Mit einer kurzen Geschichte möchte ich meine Replik abschliessend als Parabel zusammenfassen:

Ich stelle mir vor, André Lüthi wäre Metzger von Beruf und hätte als erfolgreicher Unternehmer ein grosses Netz von Metzgereien aufgebaut. Er erkennt die negativen Auswirkungen des Fleischkonsums und setzt ein Fragezeichen dahinter. So schreibt er eines Tages in einem Fachportal: «Fleisch liefert viel wertvolles Eiweiss, Vitamine und grosse Mengen Eisen und ist wertvoll für uns. Ich esse selbst viel Fleisch, auch von Berufs wegen. Der Fleischkonsum bringt aber viele negativen Folgen mit sich: Klimawandel, immenser Ressourcenverbrauch und Biodiversitätsverlust. Wir Metzger sollten uns für die Selbst-Beschränkung vom Fleischkonsum einsetzen. Fünf fleischlose Tage pro Woche sind gut für die Umwelt. Metzger sind gefordert, den Kunden die Vorteile des Lebens als «Teil-Vegetarier» aufzeigen».

Wie reagiert seine Zunft auf diese Selbstkritik? Wie glaubhaft wirkt diese Forderung im Wissen, dass dieser Metzger-Meister-Kollege selbst kaum eine «Metzgete» auslässt? Ich glaube nicht, dass aufgrund des Appels auch nur eine Metzgerei auf gut nachgefragte Spezialitäten verzichten und damit riskieren wird, dass das Geschäft zurückgeht. Die Zunft-Kollegen werden aber künftig genau hinsehen, wie die Metzgerei Lüthi ihre Auslagen präsentiert und die Forderungen für sich umsetzt. Denn Metzger-Geselle Moreno ist irritiert.

[Hinweis der Redaktion: Alberto Moreno äussert sich in diesem Einwurf als Privatperson und nicht im Namen aktueller oder früherer Arbeitgeber]