Rail & Road

V.l.: Martin Vincenz (Graubünden Ferien), Barbara Spalinger (SEV), Ueli Stückelberger (VöV), Fabian Stenger (FlixBus DACH), Karin Blättler (Pro Bahn Schweiz), Andreas Windlinger (BAV), Retus Ruffner (PostAuto Schweiz AG), Patrick Angehrn (Domo Reisen), Widar von Arx (Hochschule Luzern), Thierry Müller (Amt für öffentlichen Verkehr, Kanton Graubünden) und Moderator Kurt Metz. Bild: TN

Sind Fernbusse willkommene oder unnötige Konkurrenz?

Ein spannender Anlass der Bahnjournalisten mit hochkarätigen Referenten ging gestern dieser Frage nach. Die Ausgestaltung der künftigen integrierten Transportkette ist eine der grossen Herausforderungen der kommenden Jahre.

Am Montag Nachmittag fand im Zürcher Walhalla Guest House an der Konradstrasse, unweit des Busbahnhofs beim HB, ein grosser Anlass zum Thema «Fernbus-Linien: Konkurrenz oder Ergänzung?» statt. Hintergrund ist natürlich die Liberalisierung des Bahn- und Busverkehrs in der Schweiz, mit welchem das langjährige SBB-Monopol aufgebrochen wird. Rund 50 Vertreter der Bahn- und Bus-Branche sowie Medienvertreter waren zugegen.

Organisiert hatten den Anlass die Bahnjournalisten Schweiz, deren Mitglied Kurt Metz die Paneldiskussion am Abend leitete. Vor dieser wurden mehrere engagierte Referate vorgetragen: Professor Widar von Arx, Dozent und Leiter des Kompetenzzentrums Mobilität und Verkehr an der Hochschule Luzern Wirtschaft, präsentierte eingangs eine Keynote zum Thema «Fernbusse in Europa und der Schweiz». Darin ging es um die Fernbus-«Rennstrecken» und um den Modalsplit zwischen Flugzeug, Bahn und Bus. Dieser ist bei Distanzen zwischen 0 und 300 Kilometern, also etwa der Länge der Schweiz, ziemlich ausgeglichen. Er gab auch Beispiele für das Abwandern von Bahnkunden zu Fernbussen. Sein Fazit zum Potenzial von Fernbusverbindungen im Schweizer Binnenmarkt: « Geschäft ist auf den Rennstrecken in Konkurrenz zur Bahn zu machen.»

Wo blieben die SBB?

Es folgten 15-minütige Präsentationen – Ueli Stückelberger, Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr in Bern, bot eine «Gesamtheitliche Sicht aller öffentlicher Verkehrsträger», in welcher etwa die Konzessionspflicht näher begründet wurde. Darauf folgten die Präsentationen der Busunternehmen: Fabian Stenger (Geschäftsführer Flixbus DACH), Patrick Angehrn (Leiter Linienbusverkehr Schweiz, Domo Reisen) und Retus Ruffner (Leiter Strategie, Projekte und ICT & Mitglied der GL, PostAuto AG) stellten ihre Unternehmen kurzweilig und gehaltvoll vor. Während Flixbus generell Gas gibt und 2018 ab 23 Städten (aktuell: 14) in der Schweiz verkehren wird, konzentrierte sich Angehrn von Domo Reisen (die als bislang einzige ein Konzessionsgesuch für inländische Fernbusstrecken eingereicht haben) unter anderem darauf, aufzuzeigen, dass Domo keine grosse Konkurrenz zur Bahn sein werde.

Doch… grosser Abwesender des Anlasses war just die SBB, die eigentlich im Zentrum des ganzen Geschehens ist. Sie war zwar als Co-Sponsor des Anlasses in den Unterlagen vermerkt. Die Teilnehmenden sagten aber ihre Teilnahme am vergangenen Donnerstag ab. Das war eines der grossen Themen während den Networking-Pausen.

Domo zeigt sich siegessicher

In einer längeren Pause wurde der nahe gelegene Busbahnhof besichtigt. Auffallend dort: Ein Schild «Haltstelle – hier hält ab Dezember 2017 der Domo Swiss Express». Vielleicht ein kleiner Gag, denn eine Konzession für die geplanten Fernbusstrecken innerhalb der Schweiz war zu jenem Zeitpunkt noch nicht vergeben. Doch Domo erwartet diese Konzession jeden Moment und will am 10. Dezember starten. Dieses Schild sollte also auch die Zuversicht des Unternehmens signalisieren.

Anschliessend ging es mit weiteren 15-Minuten-Referaten weiter. Den Auftakt machte Barbara Spalinger, Vizepräsidentin der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV). Engagiert erklärte sie, dass man am Erfolgsmodell des ÖV in der Schweiz festhalten wolle und dieses nicht durch «vermeintlich notwendigen» Wettbewerb beschädigen soll. Sie sieht keinen Bedarf für inländische Fernbus-Angebote. Sie setzt sich auch für branchenübliche Arbeitsbedingungen ein und war deshalb der Meinung, ein Einstieg von Domo wäre «sehr mutig» im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit.

Karin Blättler von Pro Bahn Schweiz sprach offen darüber, für wen Fernbusse geeignet seien und was aber auch deren Nachteile seien – etwa die Zuverlässigkeit. Sie fürchtet eine weitere Verstopfung der Strassen und eine Gefährdung des Taktfahrplans und lehnt deshalb die Fernbusse inländisch ab. International sieht sie darin eine Ergänzung, «sofern Bahn und Bus gleich lange Spiesse haben.»

Abgerundet wurden die Kurzreferate von zwei Vertretern aus Graubünden. Thierry Müller, Projektleiter im Amt für öffentlichen Verkehr Graubünden in Chur, machte sich für Fernbusse als Ergänzung und als Anschlussmittel an die Bahn stark und erinnerte daran, wie wichtig solche Busangebote gerade für etwas abgelegenere Regionen wie Graubünden seien. Integrierte Transportketten seien lebenswichtig für den Kanton.

Martin Vincenz, CEO von Graubünden Ferien, schlug ähnliche Töne an: Auch er sieht Fernbusse als sinnvolle Ergänzung, die zudem nachhaltiger seien als individueller Autoverkehr. Gute News in diesem Zusammenhang: Heute (7. November) wurde eine neue Fernbusstrecke von Ulm bis nach Chur in Betrieb genommen – von Flixbus. Und gleich noch eine Nachricht: Im Zusammenhang mit der Förderung der Fernbus-Angebote wird in Graubünden der Nachtzuschlag abgeschafft. Damit geht Graubünden einmal mehr mit Innovationsgeist voran.

Fazit

Die anschliessende Podiumsdiskussion wurde leidenschaftlich geführt. Das zeigte auf, wie wichtig diese Diskussionen sind und wie berechtigt und spannend der Anlass letztlich war. Allerdings darf man nicht aus den Augen verlieren, dass ein Bus 50-80 Plätze hat, ein Flugzeug 100-200, und ein Zug in kleiner Formation 400 – so gesehen müssten eigentlich alle Transportmittel ihre Berechtigung haben. Zudem findet der Wettbewerb in einer relativ überschaubaren «Überschneidungszone» statt. In diesem Zusammenhang dürfte auch noch die «Studie zum internationalen Personenverkehr» des Bundesamts für Verkehr (BAV) erhellend sein.

(JCR)