Rail & Road

Tested «Wir hätten besser bei etwas anderem gespart»

Mit Flixbus kommt man günstig in Europa herum. Leider kann es aber auch ganz viele Nerven kosten.

Polterwochenende in Mailand! Heutzutage kann man ja nicht mehr einfach in der nächsten Stadt den Polterabend verbringen, es muss schon was Spezielles sein. Dann eben Mailand, der lieben Freundin zuliebe, welche bald in den Hafen der Ehe einfährt. Nur ein Problem: Das kleine Reisli geht ins Geld.

Die meisten auf der Reisegruppe setzen auf den Zug, schliesslich ist ja Mailand nicht weit weg. Und ich? Ich entscheide mich, gemeinsam mit meiner Partnerin, für den Flixbus und versorge die Kids für eine Nacht bei der Oma. Warum Flixbus? Weil das Ticket hin und zurück nur 55 Euro kostet und weil man Flixbus «mal gemacht haben» muss. Die Zeiten scheinen optimal: Abfahrt am Busbahnhof beim HB Zürich um 10.15 Uhr, Ankunft in Mailand voraussichtlich um 14 Uhr. Damit muss ich auch nicht selber fahren, und die Benzinkosten wären wohl höher gewesen als der Preis für das Busticket.

Wir sind pünktlich am Busbahnhof und da steht auch schon ein grüner Flixbus, der mit «Mailand» angeschrieben ist. Allerdings sagt der Chauffeur, dass dies nicht der 10.15-Uhr-Bus sei und fährt von dannen. Soweit kein Problem, ausser dass der nächste Mailand-Bus nirgends zu sehen ist. Nach einigen Minuten kommt plötzlich eine SMS: «Lieber Fahrgast, Linie N207 mit Ziel Milan (Lampugnano) hat ca. 5 Minuten Verspätung.» Was für ein toller Service! OK, dann sind wir wenigstens im Bild.

Doch dann… kommt ein weiteres SMS: 15 Minuten Verspätung. Und noch eins: 35 Minuten Verspätung. Und noch eins: 55 Minuten Verspätung. Und noch eins: 1 Stunde 15 Minuten Verspätung. Wusste man nicht von Beginn weg, dass die Verspätung ziemlich happig ist? Da es draussen an diesem Samstagmorgen ziemlich kühl ist, haben wir uns längst in einen Starbucks verzogen und warten auf die nächste Meldung. Die Kollegen, die Zug gefahren sind, melden sich aus Chiasso. Wir sind derweil immer noch in Zürich.

Als eine weitere Meldung ausbleibt, gehen wir zum Busbahnhof zurück. Hurra, der Bus ist da! Doch es gibt ein grosses Kofferchaos. Die Passagiere laden selber ein und verschwinden im Bus. Billet-Kontrolle? Fehlanzeige. Wir finden irgendwo hinten im Bus zwei Sitze und warten gespannt auf die Abfahrt. Um etwa 12.30 Uhr, also mit über zwei Stunden Verspätung, geht es los. Wir informieren uns schon mal über die Fahrgastrechte für diesen Fall.

Manche fühlen sich im Bus wie zuhause - leider!

Erster Eindruck im Bus: Hier war kein Reinigungsteam zwischen den Fahrten am Werk. Der Boden ist übersät mit nicht klar identifizierbarem Abfall, staubig und abgestanden. Erste Mitpassagiere haben die Schuhe ausgezogen; der Lärmpegel ist ziemlich hoch, einerseits durch Musik aus Kopfhörern, andererseits durch Grüppchen, die sich lautstark unterhalten. War ja auch nicht anders zu erwarten.

Als der erste Mitfahrende beginnt, seine Zehennägel im Bus zu schneiden, wird uns aber schon etwas mulmig. Einer spricht offenbar mit sich selber. Augen zu und durch… wer wenig bezahlt, darf auch nicht murren. Trotzdem…

Kaum haben wir uns etwas «eingelebt», stehen wir im Stau, weit vor dem Gotthard. Kann ja mal passieren. Passiert aber offenbar oft, erzählt der Flixbus-erprobte Fussnagelschneider links von uns. Wir verzichten auf Smalltalk, denn der Bus hat die Autobahn verlassen. Wieso? Der Chauffeur versucht offenbar einen super Trick und verlässt die Autobahn, um über Seitenwege Zeit gut zu machen und die Schlange zu überholen. Im Ort Göschenen merkt er, dass er nicht mehr reinkommt, und muss umkehren und sich wieder weit vor Göschenen in die Schlange einreihen. Da haben wir gleich nochmals 30 Minuten verloren.

Inzwischen macht sich das mitgebrachte Getränk in der Blase spürbar. Die WC-Schüssel ist unansehnlich und Papier hat es auch nirgendwo. Fürs kleine Geschäft reichts noch, aber ich freue mich schon jetzt auf hygienisch bessere Einrichtungen im Hotel in Mailand. Nichts mehr trinken bis dahin!

Gegen 16.30 Uhr erfolgt schliesslich der Grenzübertritt bei Chiasso. Keine Passkontrolle, nix. Schön umstandlos. Aber angesichts der Tatsache, dass wir weder Billet noch Pass vorgewiesen haben, doch etwas seltsam. Was ist mit Sicherheitsbestimmungen?

Um 17.30 Uhr dann endlich die Ankunft im Busterminal Lampugnano, nordwestlich des Mailänder Stadtkerns. Der Chauffeur bittet uns, den Abfall in die Plastiksäcke an der Armlehne zu entsorgen, da er gleich wieder zurück müsse. Und auch hier ist man für die Gepäckentgegennahme selber verantwortlich, manche kriechen ins Innere des Busses, um ihre Habe zu holen. Angesichts des Chaos‘ sind wir froh, dass unsere Sachen überhaupt noch da sind. Kaum haben wir das Gepäck, fährt der Bus wieder los. Der arme Chauffeur hatte gerade mal zehn Minuten Pipipause nach einer fünfstündigen Fahrt und fährt jetzt offenbar gleich wieder zurück nach Zürich. Sicherheitsbestimmungen?

Immerhin: Von Lampugnano ins Stadtzentrum sind es theoretisch nur 20 Minuten; unser Hotel liegt sogar so, dass wir mit dem Taxi in lediglich fünf Minuten dort sind. Kostenpunkt: 15 Euro, fast ein Drittel der ganzen Flixbus-Fahrt von Zürich nach Mailand. Aber gut investiertes Geld nach dieser doch mühsamen Erfahrung.

Für die Rückreise am Folgetag entscheiden wir uns dann für den Zug und pfeifen auf das bereits ausgegebene Geld bei Flixbus. Die Ankunft in Zürich erfolgt nach ruhiger Fahrt pünktlich.

Fazit

Wir wissen, dass dieses Erlebnis nicht repräsentativ ist für das, was Flixbus generell bietet. 40 Millionen Passagiere pro Jahr sind Ausdruck dafür, dass es durchaus auch rund laufen kann. Es ist auch klar, dass irgendwo gespart werden muss und dass auf solchen Fahrten Leute unterwegs sind, denen «Reise-Etikette» nicht viel sagt. Für uns bedeutet dies aber, dass wir – aus unserer Sicht – am falschen Ort gespart haben. Wir wünschen Flixbus weiterhin viel Erfolg und verzichten auf den Anspruch, der uns wegen der über 120-minütigen Verspätung eigentlich zusteht, verzichten aber künftig auch auf die Dienste von Flixbus. Wir werden schliesslich jetzt noch von den Kollegen ausgelacht, welche den Zug nach Mailand genommen hatten...

(JCR)