Rail & Road

«In Zukunft wird noch mehr gereist», sagt TCS-Generaldirektor Jürg Wittwer. Bilder: TN

«Wir sind da, wenn etwas passiert»

Gregor Waser

Jürg Wittwer leitet seit diesem Sommer den Touring Club Schweiz. Der Generaldirektor äussert sich im Interview mit travelnews.ch über die künftige Mobilität, die Bedeutung des Reisesektors und die Performance der Pannenfahrzeuge.

Herr Wittwer, wie sieht Ihr Fazit nach einem halben Jahr TCS aus?

Jürg Wittwer: Sicher stand in den ersten Monaten im Vordergrund, den TCS kennenzulernen – ein grosses Gebilde, verwurzelt in der Schweiz und in den Kantonen. Wir haben ein vielseitiges Tätigkeitsfeld, etwa als grösster Reiseversicherer, ein Feld das ich gut kenne; dann die Pannenhilfe, die ganze Logistik, die dahinter steht; wir sind Marktführer bei Campingplätzen, grösster Anbieter von Fahrsicherheitstrainings... ich wusste vor einem halben Jahr noch nicht, was eine Schleuderplatte ist. Und der TCS ist Herausgeber des meistgelesenen Monatsmagazins. Das erste Halbjahr hat mich absorbiert, alle Bereiche und Leute kennenzulernen. Mein Fazit? Ich freue mich sehr, jeden Morgen arbeiten zu gehen.

Wo stehen Veränderungen an beim TCS?

Die Mobilität ist ein Feld, das sehr starken Veränderungen unterworfen ist. Wie wichtig wird der Individualverkehr in Zukunft sein? Was bedeutet die Elektromobilität? Es gibt viele Fragen mit direktem Einfluss auf den TCS. Wir müssen uns darüber klar sein, wo wir die Akzente setzen. Wenn der TCS für eine Position einsteht, dann hat das eine Bedeutung aufgrund unserer grossen Mitgliederzahl, da müssen wir uns gut überlegen, in welche Richtung wir gehen.

Wo orten Sie die grössten Veränderungen in der Mobilität?

Lassen Sie mich bei den Good News für die Reisebranche anfangen: die Mobilität wird zunehmen, es wird in Zukunft noch mehr gereist. Doch wie? Gewisse Trends haben ein Stadium erreicht, das daraufhin deutet, dass sie sich durchsetzen, etwa der Bereich Shared Mobility. Soll ich überhaupt noch ein Auto besitzen oder teile ich es mit jemandem? Die tiefere Motivation einst, schon fast ein dogmatischer Approach, ich bin Autofahrer, darum das Auto, oder für andere das Velo oder GA mit gleicher Überzeugung – das weicht sich auf. Viele Menschen sind heute bereit, auf eine Vielfalt von Fortbewegungsmitteln zu setzen. Wichtig für uns ist auch die E-Mobilität, hier spielen wir bereits eine wichtige Rolle etwa bei der Koordination von Ladestationen. Im Vordergrund steht, möglichst schnell, komfortabel und günstig ans Ziel zu kommen, egal wie. In dieser Welt wollen wir eine prominente Rolle spielen.

Und wie sieht diese Rolle aus?

Wir haben 1,5 Millionen Mitglieder, sind der Club mit dem direktesten Zugang zu so vielen Leuten. Wir warten heute schon mit Verkehrsinfos auf und möchten unseren Mitgliedern einen integrierten Zugang zur Mobilität ermöglichen. Präventive Infos zu übermitteln, etwa bezüglich der Sicherheitslage, wird noch eine wichtigere Rolle spielen. Wir sind da für die Mitglieder, die Bedürfnisse unserer Mitglieder, das ist unsere Aufgabe als TCS. Wenn ein Mitglied unterwegs ist, möchten wir ihm die Mobilität auf alle erdenkliche Art erleichtern und wir wollen da sein, wenn etwas passiert, ob auf der Strasse, der Schiene oder am Flughafen.

«Der Touring Club steht für die gesamte Mobilität – vom Velo bis zum Auto, und vom Arbeitsweg bis zu den Ferien am Strand»

Wie entwickelt sich die Mitgliederzahl beim TCS?

Im Vergleich zu den Clubs in den Nachbarländern sind wir der einzige, der stagniert. Wir hatten vor zwei Jahren einen kleinen Bump on the road und bestimmte Probleme auch im technischen Bereich. Unsere Schwesterclubs wachsen aber, das Bedürfnis nach Mobilität ist unverändert, wir werden uns sicher wieder auf Wachstum einstellen können.

Haben Sie ein Nachwuchsproblem?

Tatsächlich werden unsere Mitglieder immer älter, wenn wir nichts machen. Die Kollegen in Österreich etwa verzeichnen in der Altersgruppe 20 bis 30 das stärkste Wachstum. Neue Mobilitätskonzepte haben auch dort viel Gewicht. Selbstverständlich stehen wir als TCS für die bestehende Welt ein, verfolgen neue Mobilitätsmodelle aber genau und unterstützen auch das Zueinander von Strasse und Schiene.

Jüngst erklärte mir jemand, der TCS sei mal das gewesen, was Facebook heute ist.

Das einzige was daran nicht stimmt, ist, dass Sie in der Vergangenheit reden. Die Zeit der Clubs und Vereine ist nicht abgelaufen. Vielleicht hat der Dorfverschönerungsverein heute mehr Mühe, Leute zu mobilisieren, die in der Freizeit mithelfen. Aber überall, wo der Austausch gefördert wird, geht es Vereinen gut. Und wir nehmen unseren Mitgliedern nicht Freizeit weg, sondern geben ihnen welche zurück.

Sie sagen, der TCS sei der grösste Reiseversicherer. In der Reisebranche nimmt man vor allem die Europäische und die Allianz wahr. Ist ein Schritt für den TCS zur Reisebranche hin denkbar?

Mit 700'000 ETI-Schutzbriefen im Markt sind wir mit Abstand die Nr. 1. Unser Produkt werden wir aber auch künftig nicht über den Tourismuskanal absetzen, sondern an unsere Mitglieder richten. Als Konkurrenz der genannten Reiseversicherer sehen wir uns nicht. Unsere Devise lautet: Der Versicherungsnehmer soll zu jenem Versicherer gehen, der für die Interessen am besten einsteht. Und bei diesem Punkt, denke ich, hebt sich der TCS ab. Wir sind da für unsere Mitglieder und nicht um Gewinn zu machen, sondern um dem Mitglied zu helfen. Unsere Performance hängt nicht vom Börsenkurs ab. Gewinne fliessen bei uns in irgendeiner Form zurück zu den Mitgliedern.

Haben Sie vor, neue Vericherungsprodukte einzuführen?

Sicher müssen wir auch die Produkte überdenken. Heute bieten wir die klassischen Produkte Annullierung und Rückführung-Reapatriierung an. Schlussendlich werden die Mitglieder entscheiden, was und welche etwaigen Zusatzleistungen sie wollen. Unser Kernthema ist, dass die Mitglieder uns vertrauen. Wer zahlt, ist das eine, wer vor Ort helfen kommt das andere. Wenn man einer Organisation anruft, muss man Vertrauen haben und wir müssen schnell, freundlich und medizinisch fachgerecht reagieren. Niemand anders hat ein solches Pannennetzwerk wie wir.

Wie schnell sollte das Pannenfahrzeug vor Ort sein?

Unsere 220 Patrouilleure rücken jährlich rund 400'000 Mal aus und der Durchschnittswert liegt bei 32 Minuten. Das ist eine beachtliche Leistung. Probleme bereitet uns der Stau. Wer schon mal auf der Autobahn auf dem Pannenstreifen warten musste, weiss, das sich dann jede Minute des Wartens zäh anfühlt. Bei einer Repatriierung, etwa bei einem Unfall in Kenia, fällt es im Normalfall nicht so in Gewicht, ob der Flieger nun eine halbe Stunde später oder früher abhebt. Die Schwierigkeit der Pannenhilfe wird unterschätzt, die Schwierigkeit der medizinischen Hilfe überschätzt.

Wie wichtig ist der Reisesektor heute noch? Der TCS hatte vor 15 Jahren mal noch 100 Millionen Franken Umsatz und 30 Reisebüros.

Über die Umstände in der Vergangenheit kann ich wenig sagen. Was ich sagen kann: wir haben einen statutarischen Auftrag, für die Mobilität da zu sein, dazu gehört die Freizeit und das Reiseverhalten. Das ist unser Kernthema. Aber Reisebüros werden wir keine eröffnen.

Aber von welchen Reiseangeboten können TCS-Mitglieder künftig profitieren?

Der Touring Club steht seinen Mitgliedern in ihrer gesamten Mobilität bei – vom Velo bis zum Auto, und vom Arbeitsweg bis zu den Ferien am Strand. Unser Auftrag ist einerseits, dem Mitglied dabei mit Rat und Hilfe beizustehen, andererseits wollen wir für unsere Mitglieder auch vorteilhafte, massgeschneiderte Angebote in allen Bereichen der Mobilität anbieten, dazu gehören auch Ferienreisen. Ferienreisen sind jedoch nur eines von verschiedenen Mitgliedervorteilen, welches wir in nächster Zeit genauer anschauen werden. Sicher ist, dass jenes Angebot und jene Vertriebsart berücksichtig wird, welche von unseren Mitgliedern gewünscht wird.

Welche Rolle spielen die Sektionen beim TCS?

Das sind 24 organisatorisch selbstständige Organisationen. Die Präsidenten der Sektionen sind der Verwaltungsrat des TCS, an dieses Organ rapportiere ich. Die Sektionen spielen eine ganz wichtige Rolle, das ist unser flächendeckendes Netz. In der Zentrale kümmern wir uns um den Kontakt zu den Mitgliedern, das Clubleben läuft über die Sektionen, sie sind das Herz.